SUPPLEMENT: Reisemagazin

Spanien: Regen, der auf Oliven fällt

Dtsch Arztebl 2008; 105(41): [6]

Motz, Roland

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LNSLNS Ein Tropfen Öl, drei Tropfen Schweiß – die Früchte der Olivenbäume prägen auch heute noch das Leben in der andalusischen Provinz Jaén.

Es gibt kein Entkommen. Millionen Olivenbäume umgeben in strengen Reihen die Provinzhauptstadt Jaén. Foto: picture alliance/Bildagentur Huber
Es gibt kein Entkommen. Millionen Olivenbäume umgeben in strengen Reihen die Provinzhauptstadt Jaén. Foto: picture alliance/Bildagentur Huber
Gleich hinter dem Flughafen von Granada beginnt das Reich der Oliven. Endlose Reihen, so weit man schauen kann, links, rechts, geradeaus, überall. „Der Regen, endlich, etwas Besseres hätte uns nach der Trockenheit der letzten Jahre gar nicht passieren können.“ Unsere Reisebegleiterin Marisa zeigt auf die Felder. „Wenn es keine Oliven gibt, heiraten die Frauen nicht.“ Selbst der Laie erkennt, bald werden eine ganze Menge Frauen heiraten. Dicht an dicht hängen die noch grünen Oliven an den Zweigen. Zinnsoldaten gleich, in militärischer Aufstellung über Hügel, Hänge und Täler hinweg eskortieren die Bäume den Bus. Wir fahren durch die ockerfarbene Erde von Jaén der gleichnamigen Provinzhauptstadt entgegen. Einen Teil der 150 Millionen Olivenbäume, ein Viertel der Weltjahresernte, haben wir bei der Ankunft in der Welthauptstadt des Olivenöls bereits gesehen.

„Nach Jaén kommt man weinend, und von Jaén geht man weinend“, lautet ein uraltes spanisches Sprichwort. Und tatsächlich, selbst nach einer Stunde Olivenfeldern kann man sich an der optischen Abwechslung nicht besonders erfreuen. Die Straße führt am Messegelände vorbei, auf dem jährlich alle wichtigen Produzenten und Händler zusammenkommen. Jaén hat keinen guten Ruf. Dafür hat sie einen wunderschön gelegenen Parador. Von der Luxusherberge in den Mauern des Castillos schweift der Blick über Millionen von Olivenbäumen hinunter in das weite Tal des Guadalquivir.

Foto: Fotolia
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Jaén ist eingekesselt. Beruhigend schön durch die Klarheit der Form und erschreckend streng in ihrem Ordnungswahn zugleich wirkt die einförmige Kulturlandschaft mit ihren geometrischen Linien auf die Sinne. Fast schon wieder unterwegs im Reich der Oliven eine unvermutete Entdeckung unter dem Palast Villardompardo. Großzügig angelegt und liebevoll restauriert mildern Spaniens am besten erhaltene arabische Bäder die kastilische Strenge um Jaén. So wird die Erinnerung an die sinnliche Welt der Araber zwischen Licht und Wasser wach. „Deine edle Palme soll meinen durstigen Olivenhain wässern“, heißt es blumig direkt in einem maurischen Gedicht vor dem Fall Jaéns.

Weitere 50 Kilometer Olivenhaine nordöstlich. Der Bürgermeister empfängt uns im Archiv von Úbeda im oberen Stock des Palacio de las Cadenas. Wir halten das älteste Dokument der Stadtgeschichte in Händen. Die Eroberung der Neuen Welt machte die Cobos Molina aus Úbeda zur mächtigsten Familie Andalusiens. Die üppigen Renaissancepaläste konnten gedeihen. „Jaén ist eine verlassene, eine vergessene Provinz, und heute gewinnt das an Bedeutung. Die Bewohner und die Natur sind ihre Schätze.“ Der junge Mann schaut aus dem runden Fenster. Es regnet. Im Vordergrund der Palast Vela de los Cobos mit den witzigverspielten Eckbalkonen, dahinter der Dächerwald der Stadt und noch dahinter, das gesamte fruchtbare Tal des Guadalquivir ausfüllend, dann die Hänge der Sierra Magina heraufkriechend, Olivenbäume. Spaniens Renaissance versteckt sich zwischen Oliven. Der Großgrundbesitz vergangener Tage hat sich aufgelöst, die harte Arbeit ist geblieben. Mit Stangen werden die reifen Oliven von den Ästen geklopft und dann von großen Tüchern aufgelesen. Alle Versuche, einen rüttelfesten Olivenbaum zu entwickeln, hat die knorrige, uralte Kulturpflanze bisher stur zurückgewiesen. Ein Tropfen Öl, drei Tropfen Schweiß – auch das gilt noch immer.

„Im weiten Tal strömt der Guadalquivir zwischen Orangen und Oliven“, schreibt Federico García Lorca. An der alten Ziegelsteinbrücke Puente del Opispo vor Baeza gibt es nur Oliven. Der Guadalquivir schiebt sich eher widerwillig nach vorne, als ob er nie etwas anderes sehen wollte, weder Córdoba noch Sevilla. Hinter der Brücke liegt die Hacienda La Laguna – Ölmühle, Museum und Landhotel zugleich. Nüchtern erscheint man frühmorgens zur Ölprobe. Vor uns liegen die offiziellen Bewertungsblätter der EU. Mindestens 6,5 Punkte benötigt ein Öl für das begehrte Spitzenprädikat virgen extra. Je länger man die Oliven reifen lässt, umso süßer werden sie. Die Oliven aus den unbewässerten Anbaugebieten in der Sierra sind die besten. Nach fünf bis sechs Jahren trägt ein Olivenbaum erstmals Früchte. Danach kann man 500 Jahre lang seinen Spaß haben. Der Ölgehalt liegt zwischen 22 und 24 Prozent, das Fruchtfleisch bei neun Prozent, die Hälfte der Olive besteht aus Wasser, und der Rest ist Kern.

Im Garten des Museums sind die wichtigsten außerspanischen Ölbaumsorten angepflanzt, in den Innenräumen wird die Kulturgeschichte der herben Frucht erzählt. Die schweren Steinmühlen und die riesigen Pressen lassen die Mühsal der Ölgewinnung erahnen. Auch heute mit dem Einsatz moderner Maschinen über Zentrifugen benötigt man etwa 1 000 Oliven für einen Liter Öl. „Ohne Land und ohne Olivenhaine, was würde aus unseren Städten?“, steht am Ausgang. Eine anachronistische Mahnung. Das Schicksal Jaéns scheint vielerorts eher zu lange und eng mit der Olive verknüpft. Auf der Rückfahrt versucht die Straße manchmal, den Oliven zu entfliehen, schlägt Bögen oder nähert sich den Bergen – vergeblich. Die Bäume folgen. Es gibt kein Entkommen. Im Flughafen von Granada fällt der Blick auf die Schlagzeile der Lokalzeitung: „Olivenhainmörder aus Jaén zu lebenslanger Haft verurteilt.“ Die Maschine zurück in die Welt der Butter hebt ab, unter uns, soweit man sehen kann . . ., dann erst die Wolken. Es regnet. Roland Motz

Information: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Myliusstraße 14,
60323 Frankfurt/M., Telefon 0 69/72 50-33 oder -38, www.spain.info

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