SUPPLEMENT: Reisemagazin
Großglockner: „Die ihr auf hoher Zinne steht...“
Dtsch Arztebl 2008; 105(41): [20]


Auf dem Gipfel: Vormals „vornehmstes Ziel wissenschaftlicher Betätigung“, heute sportlich-alpine Herausforderung. Foto: Tourismusbüro Kals
An der Stockerscharte begegnen wir einer Schafherde im sülzigen Schnee; ein schwarzes ist darunter. Tief unten fließt die Leiter. Die Bergführer singen die Kärntnerhymne. Hinter der Salmhütte reißt der Himmel plötzlich auf. Der Glockner kommt zum Vorschein – mächtig und scheinbar so nah. Nach einer Stunde ist wieder alles dicht. Wir ziehen uns mit gefrorenen Fingern die vereiste Hohenwartscharte hoch, steigen am Grat entlang und erreichen kurz darauf bei 3 460 Meter Höhe die bewirtschaftete Erzherzog-Johann-Hütte auf der Adlershöhe. Nach einer warmen Suppe drängt Ernst Rieger zur Eile. Das Schneetreiben hat kurzfristig aufgehört. Am Leitl legen wir die Stöcke weg. Von jetzt an brauchen wir die Arme zum Klettern. Das steile Leitl und der extrem schmale Übergang zwischen Kleinglockner und Großglockner an der Pallavicinirinne sind die Gefahrenstellen des Bergs. Hier geschehen die meisten Unfälle. Wir erreichen den Kleinglockner, nur 15 Höhenmeter unterhalb des Hauptgipfels.
Die Heiligenbluter Zimmerleute Klotz spannten seinerzeit Seile über die gefährliche Passage und ließen ihrem Gottesmann den Vortritt. Am 28. Juli 1800 stand Pfarrer Horasch als erster Mensch auf dem Gipfel in 3 798 Meter Seehöhe. Ihm folgten die Brüder Klotz und zwei Wissenschaftler. Im Tal fielen Böllerschüsse. Der Bischof tanzte. Der schwarze Berg war besiegt.
Ein kurzer vereister Abstieg an den befestigten Stahlseilen, die Überquerung der oberen Glocknerscharte, ein letzter Aufstieg, noch zwei Seillängen, und auch wir sind auf dem Gipfel. „Die ihr auf hoher Zinne steht, kommet her und sehet die Werke Gottes“, steht auf dem Gipfelkreuz. Aber so viel wir auch schauen, man kann „sein Schöpfungswerk voll Herrlichkeit und Schöne“ leider nur erahnen. Trotzdem singen wir mit dem tief religiösen Bergführer zusammen „Lobet den Herrn“, bevor es wieder „obe“, also abwärts geht. Mit Einbruch der Dunkelheit sind wir wieder in der Hütte auf der Adlershöhe. Nachts rüttelt der Schneesturm an den Fensterläden. Am nächsten Morgen stapfen wir durch 50 Zentimeter Neuschnee über das Hofmannskees ins Tal. Wir brauchen drei Stunden. Noch immer ist die Pasterze der größte Gletscher der Ostalpen, aber sie schrumpft ständig weiter. Die Verbindung zum Hofmannsgletscher ist abgerissen. Das macht die Routen steiler und gefährlicher. Blankeis und Steinschlag gefährden die Bergsteiger.
Der Abstieg endet an der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe. Zwei Stunden soll der Monarch hier schweigend gesessen und andächtig auf den Glockner gestarrt haben. Heutzutage kommt kein Gedanke an Ruhe auf. Der verunstaltete Platz mit der grandiosen Aussicht ist der meistbesuchte Ort Österreichs nach Schloss Schönbrunn. Die Wirte der Gaststätten versorgen die Touristen mit Würstl und Bier, die Urlauber die Murmeltiere mit Keksen. Überall pfeift es. Fast alle Besucher verlassen die Franz-Josefs-Höhe mit einem Stoffmurmeltier als Souvenir – made in Taiwan. Roland Motz
Informationen: Österreich Werbung, Klosterstraße 64,
10179 Berlin, Telefon: 0 30/21 91 48-0, Telefax: 0 30/2 13 66 73. E-Mail: deutschland@austria.info, www.austriatourism.com.
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