SUPPLEMENT: Reisemagazin

Türkei: Wandern im Land des Lichts

Dtsch Arztebl 2008; 105(41): [26]

Sturmhoebel, Elke

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LNSLNS Auf dem Lykischen Pfad regiert die Stille. Der erste Fernwanderweg der Türkei folgt auf einer Länge von 500 Kilometern alten Steigen und Maultierpfaden.

Er sei wahrscheinlich der einzige Türke, der in der Türkei sein Geld verdiene und in Deutschland ausgebe, sagt Cezmi, und Lachfältchen legen sich um die Augen unseres Wanderführers, die so blau blitzen wie die Lagune von Ölüdeniz. Zwischen Apollonia und Aperlai hat er sich verplaudert und die Abzweigung des Lykischen Wegs verpasst. Anstatt zurückzugehen, schlägt er sich mit der Wandergruppe durch die Macchia, quer durch Dickicht und Karst. Doch Cezmi ist unverbesserlicher Optimist und sich sicher, den rechten Weg zu finden und zur Küste zu gelangen, wo schon das Ausflugsboot auf uns wartet. Als wir glauben, uns hoffnungslos verirrt zu haben, stoßen wir plötzlich auf die Wegmarkierung.

An Bord des Schiffs ist das Büffet angerichtet. Bei frischen Salaten und knusprig gebratenem Fisch lassen wir uns auf dem Wasser treiben. Vor und unter uns liegen die Ruinen einer versunkenen Stadt. Zwischen Kaleköy, Üçagiz und der Insel Kekova schlummert eine andere Epoche. Wie durch eine Lupe spiegeln sich im glasklaren Wasser Mauerreste, Säulen und Bögen. Aus dem Meer ragen Sarkophage. Sanfte Wellen glucksen an steinerne Sargdeckel, die aussehen wie kieloben liegende Boote.

Versunkene Stadt: Mauerreste, Säulen und Bögen, aus dem Meer ragen Sarkophage
Versunkene Stadt: Mauerreste, Säulen und Bögen, aus dem Meer ragen Sarkophage
Versunkene Stadt: Mauerreste, Säulen und Bögen, aus dem Meer ragen Sarkophage
Versunkene Stadt: Mauerreste, Säulen und Bögen, aus dem Meer ragen Sarkophage
Wenig weiß man über die Kultur und den Alltag der Lykier, die im Jahr 546 v. Chr. ihre Unabhängigkeit verloren und sich den Persern ergeben mussten. Der Tod zumindest scheint ein wichtiger Teil des Lebens gewesen zu sein. Eher brachten sich die Leute um, als sich den Feinden zu ergeben. Das musste schon Brutus, Cäsars Mörder, mit ansehen, als er bei einem Feldzug im Jahr 42 v. Chr. Xanthos, ein wichtiges Mitglied im lykischen Städtebund, angriff.

Ab 190 v. Chr. übernahmen die Römer die Herrschaft in Lykien. Doch die Grabmale der Lykier, zumeist aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert, sind noch überall sichtbar. Schön anzuschauen sind vor allem die Felsnekropolen in Fethiye (das ehemalige Telmessos), Tlos, Kaunos und Myra. Doch wie sich die alten Lykier das Jenseits vorstellten, bleibt rätselhaft. Warum sie die Tempel- und Hausgräber so hoch in den Felswänden errichteten, prächtige Sarkophage auf Podeste setzten, lässt sich nur vermuten. Vogeldämonen, sogenannte Sirenen, sollen die Seelen aufgeklaubt und in ein Reich zwischen Menschen und Göttern gebracht haben.

Die Grenzen des antiken Lykien dehnten sich aus zwischen Dalyan und Antalya. Die heutige Teke-Halbinsel liegt bäuchlings in der Sonne. Im Rücken erhebt sich der mächtige Taurus, dessen zentrales Kalksteinplateau sich auf etwa 1 000 Meter Höhe erstreckt. Unsere Gruppe wandert im westlichen Teil der Halbinsel. Im Hinterland geht es durch würzige Zedernwälder, die in über 700 Meter Höhe wachsen. Oberhalb der Baumgrenze laufen wir entlang einer Flanke des schwindelerregend hohen Akdag, was so viel heißt wie „weißer Berg“, weil das Massiv sein kalkweißes Oberteil bloßgelegt hat.

Auch der Lykische Weg entlang der Küstenlinie ist uns mehrere Etappen wert. Der „Likya Yolu“ zwischen Fethiye und Antalya ist der erste Fernwanderweg der Türkei. Er ist auf Initiative einer dort lebenden Engländerin entstanden. Auf einer Länge von mehr als 500 Kilometern folgt er alten Steigen und Maultierpfaden, die einst die Ortschaften miteinander verbanden, berührt Dörfer und Städte wie Kalkan oder Kas, die ganz ohne Bettenburgen auskommen. Der Lykische Weg windet sich abseits von Massentourismus und All-inclusive-Anlagen. Vielerorts ist der Tourismus noch ein zartes Pflänzchen, das sich erst entwickeln soll. Auf dem Lykischen Pfad regiert die Stille. Es duftet nach Pinien, Thymian und Lorbeer. Ziegen und Landschildkröten kreuzen den Pfad. Blumen blühen am Wegesrand. Insekten brummen, und bunte Schmetterlinge torkeln im Licht der Sonne.

Für Cezmi beginnt der Lykische Weg schon westlich von Fethiye, oberhalb der Traumbucht Ölüdeniz. Ölüdeniz heißt übersetzt Totes Meer – im Sinn von totenstill, weil das Wasser in der geschützten Bucht so ruhig ist. Im Sommer muss dort die Hölle los sein. Denn was schön und gut zu erreichen ist, ist nahe liegend für Urlauber. Hotels in mehreren Reihen lassen auf ein lukratives Geschäft schließen.

Oberhalb der Bucht machen wir Picknick. Cezmi schnibbelt Tomaten und Gurken, schneidet Schafskäse, türkische Wurst sowie Fladenbrot und erhält Schützenhilfe von anderen Männern aus der Gruppe. Über uns schweben Paraglider wie Adler durch die Lüfte. Vom Berg Babadag (1 975 Meter) heben sie ab, um irgendwann am Strand von Ölüdeniz zu landen.

Cezmi ist gebürtiger Trojaner, seine Vorfahren stammen aus Bulgarien. Einen großen Teil des Jahres lebt er in Berlin und ist daher voller Neugierde, wie es seinen Landsleuten geht. Er unterhält sich mit jedem, der uns entgegenkommt. Vor dem Gebirgsort Gömbe zieht eine Nomadenfamilie mit ihren Ziegen umher. Im Herbst wandern sie mit ihrer Herde hinunter zur Küste. Drei Tage werden sie brauchen bis nach Kas, der Hausstand wird mit Kamelen vorgeschickt. In Elmali, mit 13 000 Einwohnern die größte Siedlung im lykischen Taurus, schmückt ein alter Mann sein Pferd mit roten Trotteln und spannt es vor einen Karren. Er sei der letzte seiner Zunft, sagt er stolz. Seit 60 Jahren schon befördere er Lasten und Menschen. Heute sei er zu einem Beschneidungsfest bestellt.

Der letzte seiner Zunft in Elmali: Seit 60 Jahren befördert der alte Mann mit seinem Pferdekarren Lasten und Menschen. Fotos: Elke Sturmhoebel
Der letzte seiner Zunft in Elmali: Seit 60 Jahren befördert der alte Mann mit seinem Pferdekarren Lasten und Menschen. Fotos: Elke Sturmhoebel
Seit die Regierung Erdogan die Subventionen für Bauern gestrichen habe, seien viele verarmt, sagt Cezmi. Vielen stehe nicht einmal das offizielle Mindesteinkommen von 500 türkischen Lira (etwa 300 Euro) zur Verfügung, das lohnabhängig Beschäftigte erhalten. Der Wanderführer sorgt für ein kleines Zubrot, indem er einen Imbiss bei einer Bäuerin bestellt. Im Wohnzimmer bewirtet sie die Gäste mit Ayran und Gözleme – einem Joghurtgetränk und herzhaft gefüllten Pfannkuchen. Ihre Tochter Saniye zupft das Kopftuch zurecht und geht ihr dabei zur Hand.

Bald wird die 20-Jährige heiraten und zur Hochzeit ein weißes Kleid mit roten Bändern tragen, als Zeichen für Keuschheit und Unberührtheit. Ihr Verlobter, der Besitzer eines Gemüseladens, wird ihr Goldschmuck schenken und ein Haus mit in die Ehe bringen. Das könne sie erwarten, sagt Cezmi. In Lykien sei das so üblich. Die Eltern der Braut müssten im Gegenzug für die Innenausstattung des Heims sorgen. Arrangiert wie in früheren Zeiten seien in der Türkei kaum noch Ehen, sagt Cezmi. „Die Eltern helfen nur.“

Kaunos: Warum die Lykier ihre Gräber so hoch in den Felswänden errichteten, bleibt rätselhaft.
Kaunos: Warum die Lykier ihre Gräber so hoch in den Felswänden errichteten, bleibt rätselhaft.
Der Lykische Weg führt durch Patara, das eigentlich Gelemis heißt. An den staubigen Straßen unter schattigen Eukalyptusbäumen liegen eine Post, ein Internetcafé, eine Moschee, einige Pensionen und ein Juwelier, der auch Geld wechselt. Zwei Friseure und ein Minikaufhaus namens „Harrods“ bedienen knapp 1 000 Einwohner. Preiswerte Restaurants und Imbissstuben liefern Kebab und Köfte. In Patara ist Cezmi auf vertrautem Terrain. Als er vor 20 Jahren hierher kam, war ihm klar, dass Patara eine große Zukunft als Traumziel vor sich hat. Sind es acht, zwölf oder gar 14 Kilometer unverbauter Sandstrand? Die Reiseführer sind sich da uneins. Aber egal, der breite naturbelassene Dünenstrand ist endlos und leer. Cezmi kam in Goldgräberstimmung, steckte einen Claim ab und baute ein einfaches kleines Hotel. 1989, zwei Wochen nach Eröffnung, kam der Baustopp. Andere, die es ihm gleichtaten, durften nicht zu Ende bauen und gingen pleite. Das Gebiet von Patara wurde unter Naturschutz gestellt, der Strand nachts zur Sperrzone erklärt. Denn dann hieven sich die zentnerschweren unechten Karettschildkröten Caretta caretta an Land zur Eiablage. 60 Tage später wird sich der Nachwuchs ausbuddeln und den gefahrvollen Weg zum Meer suchen. Wenn das weibliche Tier erwachsen und geschlechtsreif ist, wird es sich wiederum an den Ort seiner Geburt begeben. Ein ewiger Kreislauf, der nur funktioniert, solange sich die Tiere orientieren können. Die amtliche Verordnung ist daher eine glückliche Fügung. So ist Patara immer noch ein Traumziel, aber keines für die Massen geworden.

Zwei Kilometer vor dem Strand wird Eintritt verlangt. Denn zwischen dem Ort und den Dünen liegt die Ruinenstadt Patara. Wer baden will, muss also zunächst einen Gang durch die Antike absolvieren. Der Legende nach wurde in Patara der Sonnengott Apollon geboren. Ganz gewiss aber stammt der heilige Bischof Nikolaus von hier, der später in Myra wirkte und den heute jedes Kind kennt. Jahrhundertelang war Patara eine blühende Hafenstadt und gehörte zu den führenden Städten des lykischen Bundes. Diese Föderation, der 23 Städte angehörten, gab sich eine demokratische Verfassung, die als eine der besten der Antike gilt.

Ölüdeniz – Totes Meer: In der geschützten Bucht geht es nur außerhalb der Touristensaison ruhig zu.
Ölüdeniz – Totes Meer: In der geschützten Bucht geht es nur außerhalb der Touristensaison ruhig zu.
Unter den Römern war Patara Hauptstadt der Provinz Lykien und Sitz des Statthalters Quintus Veranius. Den endgültigen Niedergang besiegelte im 13. Jahrhundert der Schlamm, der von einem Arm des Xanthos-Flusses angeschwemmt wurde und das Hafenbecken unter sich begrub. Der Westwind wehte den Dünensand herbei und konservierte die römischen Ruinen. Erst 1989 begann ein Archäologenteam aus Antalya mit der Ausgrabung. Ans Tageslicht kamen unter anderem Thermen, Tempel, Grabdenkmäler, ein Parlamentsgebäude, Getreidespeicher am alten Hafen, der zu einem sumpfigen See geschrumpft und verschilft ist. Gefunden wurden sogar ein Wegweiser und ein Leuchtturm.

Ein Zauber liegt über der weitläufigen Ruinenstadt, zu der man durch den Triumphbogen gelangt. Anders als im nahen Xanthos kommen keine Reisebusse hierher. Johanniskraut und Rosmarin flankieren die Steinblöcke aus der Antike, Blumen wachsen in Mauerritzen. Vögel zwitschern in die Stille. Eidechsen huschen über die heißen Steine. Von den oberen Rängen des Amphitheaters schaut man auf das tintenblaue Meer und auf die große Düne. Vom nahen Ort ruft der Muezzin. Elke Sturmhoebel


Informationen:
Die 15-tägige Wanderreise wird von Lupe Reisen in 53844 Troisdorf (Telefon: 02 28/65 45 55, www.lupereisen.com) angeboten.
Weitere Auskünfte: Informationsabteilung des Türkischen Generalkonsulats, Baseler Straße 35–37, 60329 Frankfurt/M.,
Telefon 0 69/23 30 81, E-Mail: info@reiseland-tuerkei-info.de, Internet: www.reiseland-tuerkei-info.de.

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