ArchivDeutsches Ärzteblatt41/2008Gendiagnostikgesetz: Streit um Gentestverbot

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Gendiagnostikgesetz: Streit um Gentestverbot

Richter-Kuhlmann, Eva

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LNSLNS Sollte Pränataldiagnostik bei sich spät manifestierenden Erkrankungen gesetzlich verboten werden? Jürgen Rüttgers Vorstoß hat eine Diskussion unter Humanmedizinern entfacht.

Ungewohnten Beifall von den Grünen erhielt jüngst der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers (CDU). Einig sind sie sich nämlich, dass die Regierung ein Verbot der Pränataldiagnostik von sich spät manifestierenden Krankheiten in das geplante Gendiagnostikgesetz aufnehmen sollte. Rüttgers hatte den vor einem Monat vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf öffentlich kritisiert, weil er ein solches Verbot nicht enthält. Insbesondere bemängelte Rüttgers, dass es auf diese Weise möglich sei, beispielsweise wegen des Risikos auf Alzheimer eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Proteste vonseiten der SPD und der FDP folgten. Sie halten ein solches Verbot für nicht relevant für die medizinische Praxis und für kontraproduktiv.

Zu den sich spät manifestierenden Erkrankungen gehören zum Beispiel Huntington-Chorea oder hereditäre zerebellare Ataxien, autosomal vererbt. Die Symptome der Huntington-Chorea treten meist erst um das 40. Lebensjahr auf. Je nach Definition lassen sich zu dieser Krankheitsgruppe aber auch multifaktoriell bedingte Erkrankungen zählen, wie Brust- und Darmkrebs, oder „Volkskrankheiten“, wie Diabetes mellitus, Alzheimer-Krankheit sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Die Gefahr, dass Kinder künftig wegen des Risikos einer solchen Erkrankung abgetrieben werden, hält der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Bioethik der Christdemokratischen Partei im Europäischen Parlament (EVP-ED), Dr. med. Peter Liese, nicht für weit hergeholt. Schon heute seien Pränataldiagnostik und Abtreibungen bei Huntington-Chorea an der Tagesordnung. „Die Gefahr, dass sich dieses Problem in Zukunft ausweitet, ist real“, meint der auf dem Gebiet der Humangenetik promovierte Arzt. „Der Gesetzgeber darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen.“ Ähnlich wie beim Thema Spätabtreibungen müsse die Politik eine Entscheidung treffen und dürfe nicht immer nur an die Verantwortung der Ärzte appellieren.

An der Freien Universität Brüssel würden bereits Embryonen im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik aussortiert, weil sie ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs trügen, berichtet Liese. „Wenn so etwas heute in Europa möglich ist, kann man nicht so tun, als gäbe es keinen Diskussionsbedarf.“ Zweck vorgeburtlicher Untersuchungen sei meistens, dass im Fall eines Hinweises auf die Krankheit eine Abtreibung stattfinde.

Liese unterstützt die Aufnahme des Verbots in das Gesetz. Die Einführung von Mindeststandards in der DNA-Diagnostik würde auf europäischer Ebene voraussichtlich noch auf sich warten lassen, sodass die Verantwortung des nationalen Gesetzgebers bestehen bleibe.

Anderer Ansicht sind in dieser Frage viele Humangenetiker. So auch Dr. med. Andreas Tzschach, genetischer Berater an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. „Ich bin froh, dass ein solches Verbot nicht im Gesetz verankert ist. Die Entscheidung über einen Gentest muss letztlich bei den Eltern bleiben“, betont er. Unverzichtbar sei aber eine ausführliche Beratung vor dem Test sowie die Möglichkeit der Eltern, einen Gentest auch gänzlich abzulehnen.

Aber auch nach einem Gentest müssten den Eltern grundsätzlich alle Optionen offen stehen, inklusive der Möglichkeit einer Abtreibung, meint Tzschach. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass Paare mit einem genetischen Risiko von vornherein Abstand vom eigenen Kinderwunsch nähmen. „Wir beraten die Eltern über die Höhe des Risikos, ein Kind mit dem Gendefekt zu gebären, über die Möglichkeiten der Prävention und Behandlung sowie die Aussichten auf künftige Therapiemöglichkeiten bis zum Ausbruch der Erkrankung.“ Gerade bei sich spät manifestierenden Defekten sei es angesichts des anhaltenden medizinischen Fortschritts durchaus denkbar, dass es bis zum Ausbruch der Erkrankung Therapieoptionen gebe.

Die Gefahr, dass wegen eines positiven Tests auf die genetische Veranlagung zu Volkskrankheiten Kinder abgetrieben werden könnten, sieht der Berliner Humangenetiker nicht. „Die multifaktoriellen Krankheiten sind in der Regel nicht schicksalhaft und bereits heute therapierbar oder gar vermeidbar – sei es durch Medikamente, Vorsorgemaßnahmen oder Ernährungsumstellung. Auch beim familiären Brustkrebs sind durch engmaschige Kontrollen Früherkennung und Heilung möglich.“ Eine Anfrage von einer Schwangeren auf einen vorgeburtlichen Test auf Mutationen in den Brustkrebsgenen sei ihm noch nie untergekommen, sagt Tzschach.

Den Gesetzentwurf der Koalition will der Bundestag gemeinsam mit dem bereits vor eineinhalb Jahren vorgelegten Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen in den nächsten Monaten beraten und noch in diesem Jahr ein Gendiagnostikgesetz für Deutschland beschließen.
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

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