ArchivDeutsches Ärzteblatt41/2008Qualitätsmanagement: „Der Weg hat sich gelohnt“

POLITIK: Porträt

Qualitätsmanagement: „Der Weg hat sich gelohnt“

Gerst, Thomas

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Foto: privat
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Bereits seit 2001 befasst sich das Team in einer westfälischen Gemeinschaftspraxis mit einer Verbesserung der Arbeitsabläufe.
Bei der Umsetzung eines Qualitätsmanagementsystems waren die Medizinischen Fachangestellten unverzichtbar.

Es ist auch für Mandy Goldeman eine ungewohnte Situation. Sie ist bei der Hotelkette Hyatt Deutschland zuständig für die Aus- und Weiterbildung. 14 Medizinische Fachangestellte einer Gemeinschaftspraxis für Orthopädie und Neurologie in Delbrück/Westfalen sitzen vor ihr und warten gespannt darauf, was man ihnen über Service und Kundenzufriedenheit vermitteln kann. Schneller als vermutet, kommt man bei der Fortbildung in Köln auf eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten. Zu den „Touches of Hyatt“, den zehn Regeln, die jedem Hotelangestellten in Fleisch und Blut übergehen sollen, gibt es – leicht modifiziert – viele Anknüpfungspunkte. „Greet Guests Warmly“, „Take Pride in Your Appearance“, „Work Safely and Cleanly“ oder „Escort Guests Personally“ – so lauten einige der Merksätze, die sich ohne Weiteres auch auf den Alltag einer großen Gemeinschaftspraxis übertragen lassen. Über einen warmherzigen Empfang, einen angenehmen Eindruck von Praxis und Personal sowie guten Service freuen sich auch die Patienten.

„Das war nicht nur zum Spaß – da hatte ich mir als Chef schon Gedanken gemacht“, betont Dr. med. Karl Böhm. „Ich habe mich gefragt, wie kann ich unseren Service-Gedanken besser verankern. Als Arzthelferin lernt man alles Mögliche, aber nicht den richtigen Umgang mit den Patienten.“ Kathrin Heiling, Medizinische Fachangestellte in der Gemeinschaftspraxis, berichtet von der anfänglichen Skepsis bei einigen Kolleginnen, ob die Inhalte aus der Fortbildung im Hotel auch in ihrem Arbeitsumfeld umsetzbar seien. Aber nach dem Hotelbesuch seien alle von dem Nutzen der Maßnahme überzeugt gewesen. „Der Tag im Hyatt hat alle sehr stark motiviert.“ Patienten reagierten sehr sensibel auf die Atmosphäre in der Praxis, meint Heiling. „Die Behandlung kann noch so gut sein, wenn das Umfeld nicht stimmt, kommt keiner wieder.“ Böhm pflichtet ihr bei: „Die Arzthelferin ist ein ganz wichtiger Faktor. Wenn die nicht gut ist, wirkt sich das direkt auf die Praxis aus.“

Die Fortbildung im Spitzenhotel war ein weiterer Schritt in dem kontinuierlichen Qualitätsmanagement(QM)-Prozess der Gemeinschaftspraxis. „Uns war es wichtig, ein Qualitätsmanagement nicht nur einzuführen, weil es der Gesetzgeber so will, sondern weil wir unser QM-System leben wollen“ – so das Bekenntnis auf der Homepage. Für Böhm, der vor rund sieben Jahren den Anstoß zur Einführung eines Qualitätsmanagementsystems in seiner Praxis gab, war es die Unzufriedenheit aller Mitarbeiter mit den Arbeitsabläufen, die zu der Veränderung führte. „Der eine wusste nicht mehr, was der andere machte. Irgendwann kam dann die Idee, dass man etwas ändern muss. Lange bevor die Selbstverwaltung auf die Idee kam.“ Damals gab es nur wenige Erfahrungen mit Qualitätsmanagement in Arztpraxen; in der Region gehörte die orthopädische Gemeinschaftspraxis zu den ersten, die sich mit dem Thema auseinandersetzten.

Geregelte Arbeitsabläufe und kürzere Wartezeiten
Böhm entschied sich für ein QM-System nach der international gültigen Norm DIN EN 9001:2000. Da es darum ging, die Abläufe in der Praxis zu verbessern, war von vornherein klar, dass sich die Medizinischen Fachangestellten intensiv an der Vorbereitung und Realisierung des Qualitätsmanagements beteiligten. „Das Qualitätsmanagement von ärztlicher Seite allein einführen zu wollen, macht einfach keinen Sinn. Letztendlich haben die Arzthelferinnen bei uns das QM aufgebaut und auch entwickelt. Ich habe relativ wenig damit zu tun gehabt“, erläutert der Orthopäde sicher nicht ohne ein wenig Understatement.

Kathrin Wigge, Medizinische Fachangestellte, gehörte von Beginn an zu dem vierköpfigen Team, das in rund 1 000 Arbeitsstunden das komplette QM-System entwickelte. Sie nennt vor allem zwei Ziele, die erreicht werden sollten: geregelte Arbeitsabläufe für die Praxismitarbeiter und kürzere Wartezeiten für die Patienten. Vor allem bei den Notfallsprechstunden habe es viel zu lange Wartezeiten gegeben, „Früher gab es hier trotz Terminabsprache durchaus Wartezeiten von bis zu drei Stunden“, gibt auch Böhm zu. Mithilfe des Qualitätsmanagements sollten diese auf maximal 30 Minuten Wartezeit reduziert werden. Das Ziel sei auch erreicht worden – etwa indem man bei allen Ärzten bestimmte Zeiten für die Behandlung akuter Fälle reserviert habe. „Wenn jemand akute Beschwerden hat, bekommt er von heute auf morgen einen Termin“, betont Wigge. Man habe die eigenen Patienten halten können, darüber hinaus sei der Einzugsbereich der Praxis aber deutlich größer geworden. „Die Patienten sind viel zufriedener. Das schlägt nicht unmittelbar in Euro und Cent um, aber langfristig merkt man sicherlich auch Auswirkungen.“

Der zweite Schwerpunkt bei der QM-Einführung lag darin, alle Arbeitsabläufe in der Gemeinschaftspraxis zu präzisieren und schriftlich festzuhalten. Bei insgesamt 20 Arzthelferinnen und inzwischen fünf Ärzten erschien dies dringend erforderlich. Gerade bei fehlender Routine in einem bestimmten Bereich – und weil alle Fachangestellten allen Ärzten zuarbeiten – gab es hierfür dringenden Handlungsbedarf. Ergebnis ist ein Handbuch, das eine detaillierte Prozessbeschreibung aller in der Praxis anfallenden Arbeiten enthält. Es reicht von der Neuanmeldung eines Patienten über die Extension der rechten Hüfte bis zur Prüfung des Warenbestands. „Alle Abläufe sind jetzt einfach organisierter“, sagt Wigge, die das Handbuch mit verfasst hat. Beispiel Medikamentenverwaltung: Eine bestimmte Person ist nunmehr verantwortlich dafür, die Vorräte und deren Haltbarkeit regelmäßig zu überprüfen. „Wir überlassen nichts mehr dem Zufall.“

Die kleinen Dinge machen den Unterschied
Für den Orthopäden Böhm bedeutete die Umsetzung des QM-Konzepts noch eine zusätzliche Entlastung. Qualifizierte Arzthelferinnen haben quasi auf einer zusätzlichen Hierarchieebene Aufgaben übernommen, die früher den Ärzten zufielen – zum Beispiel die Personalverwaltung oder die KV-Abrechnung.

Über Mitarbeiterjahresgespräche und regelmäßige Patientenbefragungen sollen Probleme im Praxisablauf rechtzeitig erkannt werden. Es liegen Fragebögen in den Behandlungszimmern aus, die monatlich ausgewertet werden. Nach wie vor – auch wenn man die Wartezeit in der Praxis selbst erfolgreich reduziert hat – ist für die Patienten die lange Wartezeit auf einen Termin ein Ärgernis. Mit Service-Angeboten versucht das Praxisteam darüber hinaus, den Patien-ten den Aufenthalt in der Praxis angenehmer zu gestalten. Dort, wo sich Patienten auskleiden müssen, liegen Bademäntel bereit. Es gibt Bücher zur Überbrückung von Wartezeiten oder Ersatzlesebrillen in verschiedenen Stärken für diejenigen, die ihre Brille zu Hause vergessen haben. Zum Service gehören auch ein Wickeltisch oder ein Kulturtäschchen zum Frischmachen. „Wie in einem sehr guten Hotel machen die kleinen Dinge den Unterschied“, meint Böhm. Die Reaktionen der Patienten auf diese Ideen, die von den Arzthelferinnen eingebracht würden, seien sehr positiv.

Die neue Qualität hatte – vor allem in der Phase der Implementierung – ihren Preis. Die Personalkosten für die freigestellten Medizinischen Fachangestellten und den externen Berater während der QM-Einführung beliefen sich auf rund 20 000 Euro, schätzt Böhm. Jedes Jahr wird die Gemeinschaftspraxis von einem TÜV-Auditor, der sich einen ganzen Tag lang die Arbeitsabläufe anschaut, rezertifiziert. Dafür fallen jedes Mal Kosten in Höhe von rund 1 700 Euro an. „Die Auditoren sind immer ganz begeistert von uns und sagen, so etwas hätten sie noch nie gesehen“, berichtet Böhm nicht ohne Stolz.

Wir machen das nicht, weil es im SGB V steht
Der Orthopäde sieht aber durchaus noch Verbesserungsmöglichkeiten. Derzeit bereite das Team beispielsweise eine Befragung der zuweisenden Hausärzte vor; man möchte erfahren, wie zufrieden sie mit der Zusammenarbeit sind. Geplant ist auch ein Benchmarking mit einer etwa gleich großen orthopädischen Gemeinschaftspraxis, wobei auch die betriebswirtschaftlichen Daten in den Blick genommen werden sollen.

Die Investitionen in ein besseres Qualitätsmanagement haben sich Böhm zufolge gelohnt. Sein Fazit: „QM macht uns Spaß. Wir machen das nicht, weil es im SGB V steht.“
Thomas Gerst

QM-Schwerpunkte in der westfÄlischen Gemeinschaftspraxis
- Prozessbeschreibungen zu allen Praxis- und Organisationsabläufen. Hier werden Prozesse wie z. B. Aufnahme von Patienten, Durchführung von Gelenkpunktionen, Erstellen von Gipsen genau vorgegeben.
- Checklisten. Mit deren Hilfe ist garantiert, dass zum Beispiel die hygienischen Anforderungen stets erfüllt werden oder abgelaufene Medikamente mit Sicherheit aussortiert werden.
- Standardisierte Organisation des Bestellwesens
- Kommunikation. Neben einer Kommunikationstafel, Fehlersammelliste und einem Formular für Beschwerden, Anregungen und Verbesserungen, welche vom QM-Team kontinuierlich bearbeitet werden, gibt es monatlich eine kleine Teambesprechung und zweimal jährlich große Teambesprechungen mit allen Mitarbeitern. Protokolle dieser Besprechungen erhält jeder Mitarbeiter.
- Beschwerdemanagement. Kritiken von Patienten und Mitarbeitern werden sehr ernst genommen. In jedem Behandlungsraum liegen Patientenfragebögen aus: Beschwerden und Verbesserungsvorschläge werden sehr begrüßt, da sie zur ständigen Qualitätsverbesserung beitragen.
- Befragungen. In regelmäßigen Abständen erfolgen Befragungen von Patienten und Mitarbeitern. Diese helfen Schwachpunkte aufzufinden und zu beseitigen.

QM-Rechtsgrundlagen
Das am 1. Januar 2004 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet niedergelassene Ärzte, Psychotherapeuten und Medizinische Versorgungszentren, ein internes Qualitätsmanagement (QM) einzuführen. Die konkrete Ausgestaltung und Umsetzung obliegt dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).

Die vom G-BA erarbeitete „Qualitätsmanagement-Richtlinie vertragsärztliche Versorgung“ trat am 1. Januar 2006 in Kraft. Sie nennt die Anforderungen an ein praxisinternes QM und konkretisiert den Zeitablauf. Nach § 7 der Richtlinie sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen QM-Kommissionen einrichten, die in jährlichen Stichproben den Einführungs- und Entwicklungsstand der Praxen bewerten, dokumentieren und dem G-BA berichten. Entspricht der Umsetzungsstand nicht den in der Richtlinie je Zeitphase vorgesehenen Anforderungen, werden die Praxen von der Kommission beraten. Sanktionen sind derzeit nicht vorgesehen. Die Einführung von QM ist verbindlich, die Zertifizierung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben.

Längstens fünf Jahre sind für die vollständige Einführung und Überprüfung des QM vorgesehen, wobei die ersten zwei Jahre zur Planung, Selbsteinschätzung und Festlegung von Zielen genutzt werden sollen. Zwei weitere Jahre dienen der Umsetzung, ein weiteres Jahr der Überprüfung der Zielerreichung. Darauf folgt die Phase der kontinuierlichen Weiterentwicklung.

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