MEDIEN
Kaiserschnittoperationen: Erwünschte Subjektivität


Caroline Oblasser,
Ulrike Ebner, Gudrun
Wesp (Fotos): Der
Kaiserschnitt hat
kein Gesicht. Fotobuch,
Wegweiser und
Erfahrungsschatz aus
Sicht von Müttern und
geburtshilflichen
Expertinnen. edition
riedenburg, Salzburg,
2007, 492 Seiten,
kartoniert, 34,80 Euro
Betroffenheitsliteratur also, die sich bekanntlich gut verkauft? Frauen, die sich über die unzureichende Begleitung ihrer Ärzte und Hebammen beklagen? Die über mangelnde Aufklärung und ihre Aufarbeitungsstrategien berichten? Ja, das findet man alles, neben vielen, sehr ästhetischen Fotos der Narbentorsi befragter Frauen, die einen teilweise schon schlucken lassen, weil die Verletztheit, die aus ihrer Haltung rührt, einen geradezu anspringt. Das Buch geht also tiefer. Es touchiert nicht, es berührt. Vor allem, wenn die ebenfalls befragten Ärzte und Hebammen, insgesamt 156 an der Zahl, ihre Sicht der Dinge verkünden. Da findet man ebenso viel Subjektivität wie bei den Frauen. Da stellt man aber vor allem eine eklatante Diskrepanz zwischen den Sichtweisen von Ärzten und Hebammen fest.
Aus der Essenz ihrer Befragungen haben die Autorinnen deshalb Empfehlungen zu unumgänglichen Kaiserschnittoperationen erarbeitet, die kopiert und beliebig verbreitet werden dürfen. Großer Wert wird dabei auf die psychosoziale Begleitung gelegt, genauso – wenn die Zeit bleibt – auf eine Zweitmeinung. Herausragend ist sicherlich die Empfehlung für die Standardisierung der OP-Berichte, denn warum bringt eine solch standardisierte Operation wie ein Kaiserschnitt derart unterschiedliche OP-Berichte zutage? Warum findet man längst nicht immer Hinweise auf das verwendete Nahtmaterial, wie auch auf die Nahttechnik, wie viel geschnitten, gedehnt oder gerissen wurde, wie der Blutverlust war? Hätte man bei einer Standardisierung nicht endlich Anhaltspunkte dafür, warum – glücklicherweise sehr selten – bei manchen Frauen die Naht bei der nächsten Geburt rupturiert und bei anderen nicht?
„Angst vor der Geburt“ wurde von den Geburtshelfern als vorrangiger Grund für eine nicht medizinisch indizierte Sectio genannt – und zwar die Angst der Mütter und der Geburtshelfer. Die Frau hat also Angst vor den Schmerzen, der Arzt hat Angst vor der Klageschrift. Ein Teufelskreislauf, der die inflationäre Zunahme an Kaiserschnitten der letzten Jahre erklärt und dennoch offenlässt, warum die Sectiofrequenz gerade zwischen 18 Uhr und 22 Uhr sowie Montag- und Freitagvormittag Höhepunkte erfährt. Das Buch macht deutlich, dass das große Problem der Frauen die fehlende Information im Vorfeld ist. Vielen sei gar nicht klar, dass die Geburt eher im Kaiserschnitt ende, wenn sie zu schnell vorangetrieben werde, so die Autorinnen, und es gehe darum, „diejenigen zu sensibilisieren, die das erste Kind erwarten“.
Das Buch ist harter Tobak, weil es die Realität abbildet, die so ganz anders ist als die mediale, gemachte, die den Kaiserschnitt als todschick eben bei normaler Schwangerschaft und nicht nur als hervorragenden Notausstieg anpreist. Auch einer der Autorinnen scheint die bemerkenswerte Arbeit an diesem Buch eine weitere Erfahrung gebracht zu haben, wie sie in einem Interview verriet: Sie gebar nach ihrem ungewollten Kaiserschnitt ihre zweite Tochter inzwischen – geplant – im heimischen Badezimmer und schwärmt von dieser körperlich zwar sehr anstrengenden, aber fantastischen Geburt. Martina Eirich
Pieschel-Kammerer
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