ArchivDeutsches Ärzteblatt PP10/2008Störungsorientierung: Halbe Wegstrecke

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Störungsorientierung: Halbe Wegstrecke

Broda, Michael

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In die Diskussion um übergreifende Psychotherapiestrategien oder störungsspezifische Zugänge kommt mit diesem lehrbuchartigen Handbuch ein Beitrag, der gewichtig auf sich aufmerksam macht. In einem fast 800 Druckseiten umfassenden Werk stellen mehr als 60 Autoren psychotherapeutische Herangehensweisen zur Behandlung unterschiedlicher Störungsbilder vor. Eingeleitet von einem allgemeinen Teil über psychische Störung und Psychotherapie und ihren verschiedenen Aspekten wird im zweiten Teil funktionsorientierte Diagnostik anhand acht unterschiedlicher psychologischer Dimensionen wie Selbstwertaktualisierung, Körperbild oder Bindungserfahrung vorgestellt. Der dritte und Hauptteil des Werks stellt das störungsspezifische Wissen bei unterschiedlichen Diagnosegruppen vor, bevor im vierten Teil besondere Problemstellungen wie Kinder und Jugendliche, alte Menschen oder Straftäter behandelt werden. Der fünfte Teil beschäftigt sich mit den Rahmenbedingungen von Psychotherapie.

Ohne Einschränkung soll hier der Ansatz einer schulenübergreifenden Darstellung des störungsspezifischen Wissens gewürdigt werden. Das hierbei erreichte Volumen des Werks dokumentiert den zwischenzeitlich erreichten Kenntnisstand in den einzelnen psychotherapeutischen Verfahren. Auch scheint die Einbettung in übergreifende Fragestellungen in dem Lehrbuch sehr gelungen – ethische Fragen oder ein Kapitel zu Fehlentwicklungen in der Psychotherapie seien hier als Beispiel genannt.

Insgesamt fällt auf, dass dennoch wichtige Bereiche der Psychotherapie in dem Lehrbuch nicht enthalten sind. Zur Psychotherapie bei Menschen mit chronischen körperlichen Erkrankungen findet man auch beim Kapitel über Komorbiditäten keinen Hinweis, ebenso sucht man vergeblich nach Therapieansätzen bei sexuellen Störungen. Des Weiteren wurde versäumt, die einzelnen therapeutischen Techniken stärker aufeinander zu beziehen – meist werden der Beschreibung verhaltenstherapeutischer Ansätze die psychodynamischen Ansätze gegenübergestellt, wobei die eigentliche Störungsspezifität oft nur schwer erkennbar ist. Humanistische oder systemische Ansätze kommen in diesem Buch eindeutig zu kurz. Dass auch schematherapeutische Überlegungen keinen Eingang in die Darstellung gefunden haben, zeigt, dass das Bemühen um das Auffinden von Bindegliedern zwischen den Grundorientierungen noch zahlreiche Entwicklungsmöglichkeiten hat.

Ein wissenschaftliches Werk, das Anerkennung für das Bemühen verdient, zumindest zwei große therapeutische Grundorientierungen in einem gemeinsamen Buch, wenn auch weitgehend wissenschaftlich, darzustellen, das aber auch aufzeigt, wie viel Wegstrecke in Bezug auf das Ziel einer allgemeinen Psychotherapie noch vor uns liegt. Michael Broda

Sabine C. Herpertz, Franz Caspar, Christoph Mundt (Hrsg.): Störungsorientierte Psychotherapie. Urban & Fischer, Elsevier GmbH, 2008, 782 Seiten, gebunden, 120 Euro

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