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Rehaklinik auf Borkum: Arbeiten, wo andere Urlaub machen


Schöne Umgebung,
strukturierter
Tagesablauf:
Bettina von Stuckrad
hat es nicht bereut,
als Ärztin von
der Akut- in die Rehaklinik
und aus
dem Ruhrgebiet
nach Borkum gewechselt
zu haben.
Foto: privat
viele Jahre ausüben können, ohne daran zu zerbrechen – ein Erfahrungsbericht.
Als Frauenärztin habe ich zwölf Jahre lang überwiegend in Akutkrankenhäusern gearbeitet, zunächst 1996 bis 2001 in Norddeutschland, anschließend bis April 2007 im Ruhrgebiet. In dieser Zeit habe ich zwei Kinder bekommen und meine Berufstätigkeit dafür einmal sechs Monate und einmal zwölf Monate unterbrochen. Nach dem zweiten Kind habe ich mit reduzierter Stundenzahl wieder gearbeitet und habe zunehmend, da ich nun Fachärztin war, verantwortungsvolle Aufgaben übernommen. Aufgrund von zahlreichen Überstunden habe ich dann die Wochenstundenzahl von 20 auf 30 erhöht, damit ich auf der Arbeit nicht so unter Druck stand – denn es war nahezu unmöglich, den Arbeitsanfall zu bewältigen.
Ich habe das Dilemma erlebt, beruflich sehr gefordert zu werden, was auch mit Anerkennung und Selbstbestätigung honoriert wird, und sich auf der anderen Seite in der Organisation der Familie aufzureiben. So habe ich nach Alternativen gesucht, die es mir ermöglichten, Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren, zumal sich auch zunehmend körperliche Beschwerden einstellten (unter anderem ständige Verspannungen mit Kopfschmerzen und Schlafstörungen).
Da fiel mir eine Anzeige im Deutschen Ärzteblatt ins Auge, bei der eine Stelle in der Knappschaftsklinik auf Borkum ausgeschrieben war. Die Insel war mir von der Fortbildungswoche der Ärztekammer Westfalen-Lippe bekannt, und nach reiflicher Überlegung habe ich im April 2007 hier angefangen. Ich arbeite nun mit voller Stundenzahl in einer onkologischen Rehaklinik und betreue überwiegend Patientinnen nach Mammakarzinom-OP. Die Arbeit bietet viele Vorteile. So ist der Tagesablauf sehr strukturiert, weil ich genau weiß, wie viele Patientinnen ich aufzunehmen und zu betreuen habe. Die Patientinnen bekommen Termine für ihre Aufnahme- und Entlassungsgespräche ebenso für die Visiten und alle Therapien. Das war für mich zunächst sehr erstaunlich, da ich es bisher gewohnt war, ständig in meiner aktuellen Tätigkeit unterbrochen zu werden, um zum Beispiel in den Kreißsaal zu rennen oder in den OP. Teilweise war es nicht möglich gewesen, einen einzigen Satz zu beenden, ohne dass das Telefon klingelte. Hinzu kamen die vielfältigen zusätzlichen Aufgaben und Verpflichtungen, die ständig an mich herangetragen wurden, wie etwa Unterrichtstätigkeit, Zertifizierungsmaßnahmen, Schreiben des OP-Plans, Kodierungen, Ausfüllen und Pflege der Qualitätskontrolldaten.
Als junge Assistenzärztin hätte ich mir eine Arbeit in einer Rehabilitationseinrichtung nicht vorstellen können, aber mit meiner heutigen Erfahrung gefällt es mir sehr gut, Menschen über eine Zeit von drei bis vier Wochen intensiv zu begleiten und dabei den Schwerpunkt mehr auf den Menschen in seinem psychosozialen Umfeld zu setzen als lediglich auf das erkrankte Organ.
Die Lebensbedingungen auf Borkum sind durch die Insellage speziell. Wir leben in einer wunderschönen Umgebung und haben viele Freizeitmöglichkeiten am und im Wasser. Es gibt ein Nachtfahrverbot für Autos und eine große autofreie Zone in der gesamten Innenstadt. Vor allem für kleinere Kinder ist es hier ideal, da sie sich schon früh selbstständig auf der Insel bewegen können und die Wege kurz sind. So entfällt das tägliche Herumkutschieren zu Sportveranstaltungen und anderen Terminen. Auch der Arbeitsplatz ist in unmittelbarer Nähe, es entfallen lange Anfahrtswege. Da ich eine Dienstwohnung auf dem Klinikgelände bewohne, kann ich die Bereitschaftsdienste von zu Hause aus absolvieren – gerade als berufstätige Mutter ein riesiger Vorteil. Die Dienste an sich sind auch sehr entspannt, weil wenig akute Notfälle auftreten. Da die Dienste interdisziplinär geleistet werden, habe ich im Durchschnitt weniger Dienste als im Akuthaus. Insgesamt herrscht eine eher familiäre Atmosphäre. Man lernt schnell sämtliche Mitarbeiter von der ärztlichen Abteilung bis zum Hausmeister kennen, und viele Anfragen lassen sich auf dem „kurzen Dienstweg“ klären.
Natürlich gibt es auch Nachteile. So haben wir Probleme, Stellen zeitnah neu zu besetzen, sodass es gerade in Urlaubszeiten zu einer höheren Arbeitsbelastung kommen kann. Diese empfinde ich aber im Vergleich zu den Erfahrungen im Akutkrankenhaus als weniger belastend. Kulturell ist das Angebot, insbesondere in der Nebensaison, selbstverständlich kleiner als beispielsweise im Ruhrgebiet, und im Winter gibt es weniger Fährverbindungen zum Festland. Man muss sich also schon selbst beschäftigen können, kann aber zum Beispiel in Vereinen schnell Anschluss finden. Der Schulbesuch ist bis zur zehnten Klasse möglich, danach müssen die Kinder beispielsweise ins Internat nach Esens gehen, das Insulanerkinder bevorzugt aufnimmt. Das ist dann aber meistens auch ein Zeitpunkt, an dem die Kinder recht froh sind, die Insel verlassen zu können, um die „weite Welt“ kennenzulernen.
Nach gut einem Jahr hier kann ich sagen, dass ich es nicht bereue, diesen Schritt gewagt zu haben. Ich habe bei voller Wochenstundenzahl (und damit auch vollen Rentenbeiträgen) weniger Stress. Gesundheitlich geht es mir viel besser; ich habe wesentlich mehr Zeit für Sport und andere Freizeitaktivitäten, vor allem aber auch für die Familie. Ein wenig hatten wir bei unserem Umzug das Gefühl auszuwandern. Allerdings haben wir hier den großen Vorteil, dass wir uns in Deutschland befinden, also keine Sprachprobleme haben und auch sonst mit den Strukturen vertraut sind. Ich erhalte sämtliche Sozialleistungen, die ein großes Unternehmen bietet, habe Möglichkeiten zur Weiterbildung, geregelte Arbeitszeiten und ein kollegiales Arbeitsklima.
Vielleicht kann mein Bericht dazu beitragen, Kollegen zu ermutigen, den Rehabereich in ihre Suche nach attraktiven Arbeitsfeldern mit hineinzunehmen.
Dr. med. Bettina von Stuckrad
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