

Vor mir sitzt ein Patient, der vor fünf Jahren durch eine Akutintervention mit Rekanalisation einer Herzkranzarterie vor einem Herzinfarkt bewahrt wurde und sich seither bester kardialer Gesundheit erfreut. Erfreut? Am Boden zerstört ist er, von Gram zerfressen. Das Leben erscheint nicht mehr lebenswert, denn: Das Versorgungsamt hat ihm keine Prozente auf seinen Herzinfarkt gegeben. Zu seiner größten Verzweiflung kann ich auch jetzt, fünf Jahre später, keine myokardiale Narbe nachweisen, keine Ischämie des Herzmuskels mehr aufspüren. Gemeinsam beraten wir nun die schier ausweglose Situation. „Ist mir denn gar nicht mehr zu helfen?“, fleht er mich an. Nun, so meine ich zögerlich, es gibt tatsächlich Verfahren, um Herzinfarkte hervorzurufen, wie die transkoronare Ablation der Septumhypertrophie bei hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie, oder die Applikation kardiomyotoxisch wirksamer Substanzen wie die Anthrazykline, die zur Herzschwäche führen. All diese Maßnahmen könnten die begehrten Prozente in traumhaft greifbare Nähe rücken, aber das seien nun mal Verfahren, die nur bei bestimmten Erkrankungen Anwendung finden würden. Das Versorgungsamt und dessen bürokratische Auswirkungen würden meiner Kenntnis nach allerdings nicht unter die Indikationsliste fallen. Trotzdem blinkt ein Hoffnungsschimmer in seinen Augen wie eine Pulsanzeige auf einem Intensivmonitor. Ich merke, dass ich mich mit meinen schrägen Vorschlägen allzu sehr ins therapeutische Abseits begebe und rufe einen sehr geschätzten und erfahrenen Kollegen in einer großen kardiologischen Klinik um Hilfe an. Der wiederum ist fassungslos. „Herr Böhmeke, haben Sie denn dem Patienten nicht gesagt, dass seine Prognose durch den Eingriff um mindestens zehn Jahre verbessert wurde?“ Äh . . . ja nun . . . äh . . . ja, das habe ich, so beeile ich mich den hörbar entsetzten Kollegen zu besänftigen. „Und was will er eigentlich mit dieser Schwerbehinderung, mit diesen Prozenten, was hat er eigentlich davon?“ Äh . . . hm . . . äh . . . das weiß er auch nicht.
„Herr Kollege Böhmeke, wenn Sie mich fragen: Die besten Glossen schreibt das Leben.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
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