ArchivDeutsches Ärzteblatt43/2008„Safe motherhood“ in Äthiopien: „Mein Dorf braucht mich“

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„Safe motherhood“ in Äthiopien: „Mein Dorf braucht mich“

Pose, Barbara

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Komplikationen bei der Geburt: Männer aus dem Dorf tragen eine Schwangere zum nächsten Hospital. Fotos: Barbara Pose
Komplikationen bei der Geburt: Männer aus dem Dorf tragen eine Schwangere zum nächsten Hospital. Fotos: Barbara Pose
Geburtshilfliche Notfallmaßnahmen sollen für äthiopische Frauen zugänglicher werden. Dorfhebammen dienten dabei als Mittler zwischen den Kliniken und der Landbevölkerung. Das Projekt war nur in Teilen erfolgreich.

Weltweit stirbt jede Minute eine Frau im Verlauf einer Schwangerschaft, die meisten von ihnen in Afrika. Um diese Situation zu verbessern, empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass bei einer Geburt eine professionelle Hebamme oder Krankenschwester assistieren soll. In Ländern wie Indien oder Äthiopien entbinden mehr als 90 Prozent der Frauen zu Hause. Dort dürfte es noch eine Generation dauern, bis dieses Ideal erreicht wird. So lange werden vielerorts sogenannte Dorfhebammen – erfahrene, aber nicht medizinisch ausgebildete Frauen – weiterhin eine wichtige Rolle spielen, auch wenn die WHO das nicht gern sieht. Viele lokale Nichtregierungsorganisationen arbeiten weiterhin mit ihnen, weil sie in abgelegenen Regionen oft als einzige eine minimale Gesundheitsversorgung sichern.

Care International führte von 2002 bis 2005 in Äthiopien ein Projekt durch, das den Zugang der Frauen zu geburtshilflichen Notfallmaßnahmen verbessern sollte. Im ländlichen Projektgebiet in der westlichen Hararghe-Region verbesserte sich nicht nur die Qualität der Krankenhausleistungen. Man bezog auch die Dorfhebammen mit ein, um dem Misstrauen der Dorfbevölkerung und der Fremdheit der Institution Krankenhaus entgegenzutreten.

Dieses „Safe motherhood“-Projekt (wörtlich „sichere Mutterschaft“) wurde von der Hebammen-Vereinigung unterstützt. Um Geburten in ihrem Einzugsgebiet sicherer zu machen, erhielten drei Krankenhäuser eine intensive Mitarbeiterfortbildung sowie Ausrüstung und Medikamente, beispielsweise Geburtszangen, Vakuumglocken oder Oxytozin. Am Ende des Projekts im Jahr 2005 konnten in allen beteiligten Hospitälern Komplikationen während der Geburt nach einem Standardkatalog von neun nothilflichen Maßnahmen behandelt werden. Nur die Einrichtung einer Blutbank war nicht gelungen. Darüber hinaus hatte das Projekt das Thema „sichere Mutterschaft“ ins Bewusstsein der Ärzte und Politiker gebracht und zur Einberufung einer nationalen Arbeitsgruppe geführt.

Durch zusätzliche Mittel konnten in der ländlichen Projektregion neben den klinischen Diensten die traditionellen Hebammen in das Projekt integriert werden. Alle Dorfhebammen in einem Umkreis von zehn Kilometern zum jeweiligen Krankenhaus wurden zu einer Fortbildung eingeladen. In der Folgezeit erhielten die Teilnehmerinnen regelmäßig Materialien, wie Handschuhe, Vitamin A und Eisenfolat-Tabletten.

Auch Maimouna wurde Teil des Care-Projekts. Die 41-Jährige ist eine der Dorfhebammen in der Region um das Gelemso Hospital, die am Hebammentraining teilnahm. Die Frauen erlernten neben grundlegenden lebensrettenden Maßnahmen auch, wie man Infektionen verhütet, Komplikationen frühzeitig erkennt und den Transfer ins Krankenhaus rechtzeitig einleitet.

Die klinische Komponente des Projekts zielte darauf ab, die Qualität der Geburtshilfe in den Krankenhäusern zu verbessern und die hohe Sterblichkeit von Frauen mit Geburtsstillstand von mehr als zehn Prozent zu vermindern. Auch auf Gemeindeebene sollten geburtshilfliche Notfallmaßnahmen für die Frauen zugänglicher werden, indem sich das Verhalten der Dorfgesellschaft änderte.

Armut und die Angst vor den Transportkosten sind die ökonomischen Gründe, die die Landbevölkerung davon abhalten, zur Entbindung in die Klinik zu gehen. Außerdem entspricht es ihrer Erfahrung, dass Babys ganz von selbst den Weg in die Welt finden. Kritisch ist jedoch, dass niemand weiß, wann eine normale Geburt nicht mehr zu erwarten ist und die kreißende Mutter Hilfe benötigt. In manchen Regionen wird bis zu fünf Tage abgewartet, bevor medizinische Hilfe gesucht wird. Von der Fortbildung der Dorfhebammen versprach man sich, dass sich dieses oft tödliche Verhalten ändert und die Dorfgemeinschaft in die Lage versetzt wird, die Komplikationen während einer Geburt besser zu beurteilen. Als weitere vertrauensbildende Maßnahme trafen sie sich regelmäßig mit dem Krankenhauspersonal: Die Dorfhebammen berichteten den Krankenhaushebammen von ihren Erfahrungen und händigten ihnen Tätigkeitsberichte aus.

Gelemso Hospital ist eine der Kliniken, die sich am Care-Projekt „Safe motherhood“ beteiligen.
Gelemso Hospital ist eine der Kliniken, die sich am Care-Projekt „Safe motherhood“ beteiligen.
Die meisten Frauen in Äthiopien entbinden zu Hause mithilfe des Ehemanns oder anderer Verwandter. Nur sechs Prozent der Geburten erfolgen mit professioneller Hilfe im Gesundheitszentrum oder Krankenhaus. Dabei ist der Prozentsatz in städtischen Zentren höher als auf dem Land. Es ist eine Frage der Bildung, der Information über die Vorteile einer professionell assistierten Entbindung, aber auch eine Frage der Sicherheit, des Komforts, des fehlenden Vertrauens in die Institutionen des staatlichen Gesundheitssystems und – vor allem – eine Frage des Geldes. „Warum sollte eine Frau sich freiwillig der fremden Krankenhausumgebung aussetzen, sich orientierungslos von einem Raum zum anderen schicken lassen, geschüttelt von im 3-Minuten-Rhythmus wiederkehrenden Wehen, außer im Zustand eines Notfalls?“, fragt Dr. Muna Abdullah, die ehemalige Managerin des Projekts.

Wie erkennt man, dass ein Notfall vorliegt? Genau diese Frage war Mittelpunkt der Fortbildung der Hebammen: wann und warum eine Frau in den Wehen ohne Verzug ins nächste Gesundheitszentrum transferiert werden muss, ungeachtet der Transportkosten.

Im Verlauf des Projekts lernte die Dorfgemeinschaft die Entscheidungen der Hebammen zu schätzen, und sie wurden häufiger zu Geburten gerufen und, noch wichtiger, sobald ein Geburtsverlauf nicht mehr normal erschien, hinzugezogen. Die Dorfhebammen begleiteten die Schwangere im Notfall ins Hospital und leiteten sie durch die fremde Krankenhausumgebung, massierten ihr Rücken und Beine und brachten dörflichen Beistand in die fremde Umgebung.

Zwei Jahre nach Projektende beschloss die Leitung des Gesundheitsprogramms von Care die Nachhaltigkeit der Maßnahme zu überprüfen: Eines der Krankenhäuser bietet heute keine Notfallmaßnahmen mehr an, da ein Operateur fehlt, eines ist zur Trainingseinrichtung für Jungmediziner (für Kaiserschnittentbindung) avanciert, und das dritte, Gelemso, führt weiter geburtshilfliche Notfallmaßnahmen durch.
Maimouna: Sie ist eine der wenigen Dorfhebammen, die auch nach dem Projekt weiterarbeiten.
Maimouna: Sie ist eine der wenigen Dorfhebammen, die auch nach dem Projekt weiterarbeiten.
Aber wie steht es um die Gemeindekomponente? Die Ausbeute der unangekündigten Visite in Gelemso war mager: Einige Dorfhebammen haben ihre Tätigkeit aufgegeben, sie erhalten keine Vitamine und Handschuhen mehr, weil das Krankenhaus diese Rolle nicht übernehmen konnte. Auch die regelmäßigen Treffen mit dem Kreißsaalpersonal gehörten der Vergangenheit an. Dennoch machen einige von ihnen weiter. Eine davon ist Maimouna. In der Überzeugung, dass ihre Gabe gottgegeben ist, kann sie nicht aufhören, ihren Nachbarinnen bei der Geburt zu assistieren.

Maimouna hat drei eigene Kinder, zwei Söhne und eine Tochter, die den Haushalt und die Felder versorgen. „Meine Söhne bestellen die Felder, und meine Tochter muss meistens das Essen zubereiten“, berichtet Maimouna, „weil ich so oft außer Haus bin, um Frauen bei der Geburt zu helfen. Ich assistiere bei ungefähr drei Geburten pro Woche. Das ist deutlich weniger als noch vor drei bis vier Jahren. Seit Care uns über Verhütungsmethoden aufgeklärt hat, haben die Frauen angefangen, Kontrazeptiva anzuwenden.“

Maimouna verwendet weiterhin Handschuhe – sie zahlt sie aus der eigenen Tasche. Manchmal versuchen ihre Kinder, sie über HIV/Aids zu unterrichten und darüber, dass sie sich bei ihrer Arbeit schützen muss. Aber das weiß sie schon aus ihrer Fortbildung. „Wenn Leute es sich leisten können, mich zu bezahlen, verlange ich ein paar Birr (Landeswährung Äthiopiens) für meine Dienste“, sagt Maimouna. „Aber wenn sie arm sind, sind meine Aus-
gaben oft höher als die Bezahlung.“

Maimouna lebt mit ihren drei Kindern allein. „Mein Mann verließ mich, ein Jahr nachdem ich anfing, mit Care zu arbeiten, weil ich so viel zu tun hatte.“

Maimouna spricht mit Leidenschaft von ihrer Arbeit und mit Mitgefühl von ihren Nachbarn. Sie zeigt ihre berufsbedingten Verletzungen. Beide Ohrläppchen wurden bei der Geburt einer Erstgebärenden gespalten, die ihr unter dem Geburtsschmerz die Ohrringe herausriss: Vor vier Jahren setzten bei Mutter und Tochter die Wehen gleichzeitig ein, und weit und breit war kein Ehemann zu sehen. Als Maimouna die Mutter untersuchte, sah sie, dass sie zuerst entbinden würde, und blieb bei ihr. Als das Baby da war, half Maimouna der Tochter bei ihrer ersten Geburt. „Als sie Wehen hatte, zog sie mich an den Haaren und Armen, griff sich meine Ohrringe und zog daran, bis die Ohrläppchen völlig zerschnitten waren. So bluteten wir beide. Aber alles ging gut, und sie hatte eine gesunde Tochter.“

Auf die Frage, was sie an ihrer Arbeit mag, antwortet Maimouna: „Die Familien respektieren mich jetzt, sie suchen meinen Rat, wenn die Wehen einsetzen, und wenn ich sage, dass eine Frau ins Krankenhaus muss, dann diskutieren sie nicht, sondern befolgen meinen Vorschlag. Früher wusste keiner, wann es Zeit war aufzugeben, und weil keiner in die Klinik wollte, gingen die Frauen häufig zu spät und das Baby war tot, und oft starb auch die Mutter“, erläutert Maimouna.

Treten bei einer Geburt Komplikationen auf, muss die Frau ins Krankenhaus getragen werden. „Wenn bereits alle zur Feldarbeit gegangen sind, dann dauert es einige Zeit, um die acht Männer für den Transport zusammenzubekommen“, berichtet Maimouna. Aus Stöcken und Stricken wird dann eine Liege improvisiert, und auf dem Weg ins Hospital wechseln sich die acht Helfer beim Tragen ab. Oftmals wird noch ein Regenschirm über die Schwangere gehalten, um sie vor der Sonne zu schützen.

„Gott ist mir beigestanden, ich habe nie eine meiner Mütter verloren“, sagt Maimouna. Sie sei Care dankbar, dass man ihr beigebracht habe, wie sie ihren Schwestern helfen könne. „Mein Dorf braucht mich.“
Dr. Barbara Pose
Gesundheitskoordinatorin Care Äthiopien

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