POLITIK
Kontra: Finanzielle Anreize für postmortale Organspenden
Dtsch Arztebl 2008; 105(44): A-2309 / B-1973 / C-1921


Dr. phil. Ingrid Schneider, wissenschaftliche
Mitarbeiterin der
Fachgruppe Medizin/
Neurowissenschaften
des Forschungsschwerpunkts
Biotechnologie,
Gesellschaft und Umwelt, Universität
Hamburg
Die Entlohnung der Lebendspende wäre aussichtsreicher, und es wird ihr so der Weg bereitet. Sie wird propagiert als Autonomiezuwachs und als Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Körper. Kritiker werden als paternalistisch und freiheitsbeschränkend denunziert. Man entwirft Modelle eines staatlich regulierten Organkaufs in einen Pool, mit Festpreisen und „gerechter“ Organverteilung, die nicht nach reichen und armen Organempfängern diskriminiert. Der Haken bleibt: Keiner derer, die sich hier so eloquent engagieren, imaginiert sich in der Rolle des Organverkäufers, identifiziert sich vielmehr damit, vielleicht dereinst selbst einmal ein Organ zu „brauchen“. Über die Herkunft braucht man sich, bei staatlicher Fürsorge, keine Gedanken zu machen. Unausgesprochen aber bleibt: Wer soll und wird sich gegen Cash eine Niere oder ein Stück seiner Leber herausoperieren lassen? Hier herrscht keine Egalität. Es ist der zum Bodensatz gemachte Teil der Gesellschaft, der solches erwägt, ja unter neuen Verhältnissen erwägen muss: In Überschuldung Geratene, Hartz-IV-Verarmte, Verzweifelte, die in ihrer Not auch die Verstümmelung ihres eigenen Körpers riskieren, um sich selbst, Haus und Familie vor einem drohenden Ruin zu retten. Die Kidney-Zones in Indien, in denen hochzinstreibende Geldverleiher gleich auch Organverträge im Gepäck haben, bieten Anschauungsmaterial für eine solche Zukunft.
Was bleibt auf der Strecke? Zuallererst die Humanität und die universell geteilte Norm der Nichtkommerzialisierbarkeit des menschlichen Körpers. Unser Leib steht uns nicht wie ein disponibles Objekt zur Verfügung, sondern ist Existenzbedingung unseres Seins. Das Kalkül „Organe gegen Geld“ kehrt den Raubtierkapitalismus ins Körperinnere.
Die entscheidende Frage ist: Wollen wir in einer solchen Gesellschaft leben, die Menschen zum bloßen Organkapital erklärt? Wer „finanzielle Anreize“ propagiert, treibt die Spaltung der Gesellschaft voran und ruft zur Entsolidarisierung mit den Schwachen auf: Soll die soziale Kälte ruhig wachsen, wenn man sich selbst im warmen Nest wähnt.
Herz und Intuition der Bevölkerung allerdings schlagen anders. Die Diskussion ist verfehlt. Sie wird nicht Leben retten und neue Organe zuführen, sondern die Vertrauenskrise der Transplantationsmedizin vertiefen.
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Bachert, Roland
Flörchinger, Bernhard
Borgaes, Angelina
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