THEMEN DER ZEIT
Medizintechnik: Schneller von der Idee zum Produkt


beziehungsweise mögliche Innovationshürden für neue Medizinprodukte und Verfahren.
Prothesen:
Direkte Nervensteuerung
soll möglich werden.
Foto:
Otto Bock
Navigationssystem und Planungssystem für die
„maßgeschneiderte“ Hüfte nach dem „Femur-First“-
Prinzip (Brainlab)
Im Unterschied zu Arzneimitteln seien neue medizintechnische Verfahren häufig komplex und müssten den Ärzten in speziellen Trainings- und Weiterbildungseinheiten nähergebracht werden, beispielsweise bei neuen OP-Methoden, erläuterte Dr. Meinrad Lugan, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Medizintechnologie e.V. (BVMed). „Für dieses Training and Education ist eine enge Zusammenarbeit von Industrie und Ärzten unabdingbar.“ Es gehe um die sichere Handhabung und effektive Anwendung neuer Methoden und um die Sicherheit der Patienten. Dafür brauche es Kooperationen, Trainings- und Weiterbildungsangebote, die in „ethisch einwandfreier Umgebung“ stattfinden müssten.
Lugan verwies in diesem Zusammenhang auf den „MedTech-Kompass“, eine Initative, die der BVMed Anfang 2008 gestartet hat, um die notwendige Kooperation zwischen Industrie, Krankenhäusern und Ärzten auf eine sichere Grundlage zu stellen: „Mit seinem umfangreichen Informations- und Beratungsangebot und mit klaren Handlungsempfehlungen wirbt der Kompass für eine gute und transparente Zusammenarbeit im Gesundheitsmarkt. Indem wir die bestehenden Unsicherheiten beseitigen, können wir den medizinischen Fortschritt weiter befördern.“
Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen für Innovationen sieht die Studie unter anderem in der Steigerung der Qualität in der medizintechnisch-klinischen Forschung, in neuen Ansätzen zur Finanzierung und Förderung klinischer Studien, in eindeutigen und längerfristig gültigen Kriterien für die Kosten-Nutzen-Bewertung innovativer Medizinprodukte sowie in der stärkeren Einbeziehung der Anbieter in den Prozess der Aufnahme eines innovativen Medizinprodukts in die Erstattung.
Die Studie „Das Einsparpotenzial innovativer Medizintechnik im Gesundheitswesen“ belegt nach den Vorgängerstudien aus den Jahren 2006 und 2007 bereits zum dritten Mal das große ungenutzte Einsparpotenzial, das in der Nutzung moderner Medizintechnik steckt. An zehn Beispielen haben die Technische Universität Berlin und die Unternehmensberatung Droege & Comp. im Auftrag des Branchenverbands Spectaris und des Zentralverbands der Elektrotechnik und Elektroindustrie (ZVEI) erneut untersucht, wie Medizintechnikprodukte Abläufe und Kostenstrukturen verändern. Für die ausgewählten Beispiele der dritten Studie errechneten die Autoren eine Summe von rund 330 Millionen Euro, die pro Jahr eingespart werden könnte. Zusammen mit den Ergebnissen der Vorgängerstudien, in denen insgesamt 30 Produktbeispiele untersucht wurden, summiert sich das Einsparpotenzial auf jährlich rund 2,7 Milliarden Euro. „Die Studie unterstreicht eindrucksvoll, welchen Beitrag innovative Medizintechnik für die Qualität und die Effizienz in der Gesundheitsversorgung leistet“, sagte Ulrich Krauss, Fachverbandsvorsitzender Medizintechnik bei Spectaris. Mit modernen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten der Medizintechnik seien oftmals Effizienzsteigerungen verbunden, die direkte Einsparungen ermöglichten, sei es durch kürzere Operations- und Liegezeiten, die Reduzierung von Personal- und Materialkosten oder die Vermeidung von teuren Nachbehandlungen. Nicht betrachtet seien dabei indirekte volkswirtschaftliche Einspareffekte, wie eine schnellere Genesung oder eine rasche Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess. „Diese Kosteneinsparungen werden in der finanziellen Bilanz des Gesundheitswesens praktisch nicht berücksichtigt“, kritisierte Krauss. Es sei bedauerlich, dass die innovativen Produkte in Deutschland noch nicht in vollem Umfang genutzt würden, sondern oft auf gesundheitspolitische oder bürokratische Hürden stießen, die eine schnelle Verbreitung behinderten. Aus Sicht der Medizintechnikverbände erlaubt der Anschaffungspreis eines Produkts allein daher keine Aussage über die Wirtschaftlichkeit einer Investition. Krankenhäuser und Arztpraxen müssten deshalb in die Lage versetzt werden, eigenständig über ihre Investitionen zu entscheiden, fordern die Verbände.
Herz im Takt: Fluoreszensmessungen
zeigen eine rotierende elektrische Welle, die
sich auf der Oberfläche eines Herzmuskels
ausbreitet (rot = Gebiete hoher Anregung,
schwarz = Gebiete niedriger Anregung).
Abbildung: MPIDS/Cornell University/F. Fenton, R. Gilmour
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Seit 1999 wurden mehr als 1 000 Anträge eingereicht, aus denen bundesweit 112 Gewinner hervorgingen, die das BMBF mit insgesamt 51 Millionen Euro fördert. Zwei Drittel der Anträge seien in den vergangenen Jahren von Verbünden aus Wissenschaft und Industrie vorgelegt worden, berichtete Meyer-Krahmer. Mehr als die Hälfte der erfolgreichen Projekte verwerten die Ergebnisse inzwischen wirtschaftlich.
Heike E. Krüger-Brand
Kompass-Initiative:
www.medtech-kompass.de
Studie Einsparpotenziale:
www.aerzteblatt.de/plus4508
*veranstaltet von den Industrieverbänden Bundesverband Medizintechnologie e.V., Deutscher Industrieverband für optische, medizinische und mechatronische Technologien (Spectaris) und dem Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie gemeinsam mit dem BMBF
Innovationswettbewerb des BMBF
Beispiele für prämierte Projekte:
- Zu den Gewinnern zählt eine Arbeitsgruppe, die lärmbedingte Hörverschlechterungen bei Schädeloperationen durch ein Mess- und Alarmsystem für die Operateure vermeiden will. Bei Fräsarbeiten am Schädel können den Forschern zufolge Schallpegel von mehr als 85 dB(A) erreicht werden.
- Ein Navigationssystem soll dazu beitragen, die Komplikationsraten bei der Implantation von Hüftgelenkprothesen durch die individuelle Anpassung der Position des Implantats zu verringern. Dabei wird computergestützt die Ausrichtung von Gelenkpfanne und -kopf exakt berechnet und zunächst der Hüftkopf durch ein Implantat am Oberschenkelknochen ersetzt, bevor die Hüftpfannenprothese eingesetzt wird („Femur-First“-Prinzip).
- Patienten mit Herzrhythmusstörungen und Kammerflimmern könnten künftig von neuartigen implantierbaren Defibrillatoren profitieren, die im Unterschied zu konventionellen Geräten gleichzeitig mehrere Bereiche des Herzmuskels mit einer deutlich niedrigeren Pulsfolge stimulieren. Schmerzhafte Nebenwirkungen lassen sich so deutlich verringern.
- Ein Forscherteam arbeitet an Prothesen, die sich mit Nervenimpulsen steuern lassen. Hierzu soll eine dauerhaft implantierbare Elektrode die Verbindung zu den noch vorhandenen Nervenfasern des Patienten und einem Computer herstellen.
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