MEDIZIN: Aktuell
Die Rolle von Boswellia-Säuren in der Therapie maligner Gliome
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Die Therapie der primären Hirntumoren stellt ein nach wie vor nicht zufriedenstellend gelöstes Problem dar.
Dabei ist die durch eine Reihe unterschiedlicher Faktoren bestimmte "klinische Wertigkeit" für die
Prognosestellung bedeutsamer als die allein feingeweblichen Kriterien folgende Tumorklassifikation. So sind
bei Lokalisation eines nach histologischen Kriterien "gutartigen" pilozytischen Astrozytoms im Hirnstamm der
vollständigen Entfernung Grenzen gesetzt, und die Tumorlokalisation bestimmt die Prognose des Patienten (7,
13). Dagegen darf bei vollständiger Exstirpation eines pilozytischen Astrozytoms - etwa aus einer
Kleinhirnhemisphäre - mit einer dauerhaften Heilung gerechnet werden (5). Grundsätzlich anders stellt sich
das Problem bei den übrigen Gliomen dar: Bei diesen Tumoren ist praktisch immer mit einem Rezidiv zu
rechnen, wobei die Zeitdauer zwischen der ersten Behandlung und dem Auftreten des Rezidivs sowohl von der
gewählten Therapie wie auch von der histologischen Klassifikation abhängt (1, 13). Die Eigentümlichkeit der
ausgesprochen hohen Rezidivneigung der Gliome - unabhängig von ihrer histopathologischen Klassifikation -
ist bedingt durch die Fähigkeit der Gliomzellen zur Migration. Die prognostisch bedeutsamsten Faktoren sind
Alter des Patienten, Grad der tumorbedingten Beeinträchtigung der Selbständigkeit des Patienten (KarnofskyIndex) und Therapieform: Ausmaß der Tumorresektion, Bestrahlung und Chemotherapie (3). Bei der
bösartigsten Form der Gliome, dem Glioblastom, kann mit einer medianen Überlebenszeit nach
Diagnosestellung ohne Tumortherapie von zwei bis vier Monaten gerechnet werden (8). Die operative
Tumorentfernung verdoppelt diese Zeit (9). Durch zusätzliche postoperative Bestrahlung werden mediane
Überlebenszeiten von 8 bis 18 Monaten erreicht.
Zusätzliche Chemotherapie kann einen weiteren Gewinn an Überlebenszeit von ein bis zwei Monaten bewirken
(12). Etwa 35 bis 50 Prozent der Patienten mit Glioblastomen überleben postoperativ ein Jahr, 10 bis 20
Prozent zwei Jahre (8, 11). Da sowohl operative Behandlungsmethoden wie auch strahlentherapeutische
Verfahren technisch hoch entwickelt sind, lassen sich auf diesen Gebieten wesentliche Verbesserungen der
Therapieergebnisse maligner Gliome nicht mehr erzielen. Eine Verbesserung der Ergebnisse der
Chemotherapie hängt von der Einführung neuer Substanzen ab, wobei derzeit ein durchschlagender Erfolg
nicht in Sicht ist. Daher richtet sich das wissenschaftliche Augenmerk zunehmend auf die Entwicklung neuer
Therapiemodalitäten. Wir untersuchen in diesem Zusammenhang die Wirksamkeit von Boswellia-Säuren
(H15R). Die bisher gewonnenen Ergebnisse sollen kurz dargestellt werden.
Die neurologischen Störungen bei Patienten mit Gliomen sind häufig nicht nur durch den Tumor allein,
sondern auch durch das den Tumor umgebende, zusätzlich raumfordernde perifokale Ödem bedingt. Eine
Voraussetzung der Ödemausbildung ist eine Störung der Blut-Hirn-Schranke, welche den Ausstrom
proteinreicher Flüssigkeit aus den Hirngefäßen in das Hirnparenchym erlaubt (10).
Unter normalen Umständen stellt die Blut-Hirn-Schranke ein System zur Aufrechterhaltung der Homöostase
im Zentralnervensystem dar, das den Eintritt notwendiger Substanzen, beispielsweise des Energieträgers
Glukose, und den Abtransport nicht mehr benötigter oder gar toxischer Substanzen erlaubt (6). Neben einer
Vielzahl von anderen Substanzen werden in peripheren Körperorganen Prostaglandine und Leukotriene für die
Ödembildung verantwortlich gemacht (2, 4). In früheren Untersuchungen wurde die malignitätsabhängige
Synthese von Leukotrienen durch humane Gliomzellen in vitro nachgewiesen (14). Analog konnte bei
Gliompatienten eine in ihrer Höhe zum Grad der Tumormalignität korrelierende Ausscheidung inaktiver
Leukotrienenabbauprodukte im Urin nachgewiesen werden (16). Weiter konnten wir eine signifikante
Korrelation zwischen der Menge ausgeschiedener Leukotrienenabbauprodukte und Ausprägung des perifokalen
Ödems bei Gliomträgern nachweisen (17, 18).
Es lag daher nahe zu überprüfen, inwieweit die Hemmung der Leukotrienensynthese Auswirkungen auf die
Ausprägung eines perifokalen Ödems bei Patienten mit malignen Gliomen hat. Ein oral anwendbares Präparat,
das aufgrund seiner Lipophilie auch die intakte Blut-Hirn-Schranke passieren kann, enthält einen Extrakt aus
Boswellia serrata (indischer Weihrauch) mit einem Gemisch verschiedener Boswellia-Säuren.
Studienprotokoll
In einer prospektiven, kontrollierten Studie (genehmigt durch die Ethik-Kommission der Ruhr-Universität
Bochum, Registriernummer 548) wurde die Wirkung der Boswellia-Säuren auf das perifokale Ödem bei
Patienten mit Gliomen untersucht. Die Patienten erhielten präoperativ über sieben Tage dreimal 400, dreimal
800 oder dreimal 1 200 mg oral verabreicht. Sie durften während der Prüf-Medikation nicht mit Dexamethason
behandelt werden. Vor und nach der Testmedikation wurde jeweils ein kraniales Computertomogramm erstellt,
um die Volumina von Tumor und perifokalem Ödem plan- und volumetrisch zu bestimmen. Zur Bestimmung
eines Therapieeffektes wurde jeweils der Quotient aus Ödem- und Tumorvolumen vor und nach Medikation
gebildet.
Ergebnisse
Insgesamt wurden 29 Patienten mit malignen Gliomen untersucht. 14 Patienten erhielten dreimal 1 200 mg
Boswellia-Säuren/die, neun Patienten dreimal 800 mg/die und fünf Patienten dreimal 400 mg/die. Die Therapie
wurde überwiegend gut vertragen. Bei einem Patienten traten Übelkeit und Erbrechen (Schweregrad der
Komplikation WHO III) auf. Die Behandlung wurde am dritten Tag abgebrochen. Zwei Patienten entwickelten
nach zwei Tagen Hautausschläge (WHO II), die symptomatisch behandelt wurden. Alle Nebenwirkungen
bildeten sich nach Absetzen des Präparats zurück.
Die ausgeprägteste Reduktion des perifokalen Ödems wurde unter der Dosierung von dreimal 1 200 mg/die
beobachtet. Sie betrug 33,61 1/2 6,27 Prozent. Deutlich geringer war die Reduktion des Ödems unter der
Dosierung von dreimal 800 mg/die mit 12,39 1/2 4,18 Prozent. Durch Boswellia-Säuren in der Dosierung von
dreimal 400 mg/die ließ sich keine Reduzierung des perifokalen Ödems erreichen (Grafik 1). Deutliche
Besserungen der klinischen Symptomatik wurden nur unter der höchsten Dosierung registriert. Geringer
ausgeprägt war die Rückbildung neurologischer Symptome unter der Dosierung von dreimal 800 mg. Unter der
niedrigsten Testdosierung sahen wir keinerlei Einfluß auf den klinischen Zustand der Patienten (Grafik 2).
Wegen der geringen Fallzahl und der Heterogenität der neurologischen Herdsymptome wird auf eine
differenziertere Darstellung der klinischen Veränderungen verzichtet. Da Patienten mit malignen Hirntumoren
in den meisten Fällen der antiödematösen Therapie bedürfen, wurde dieser Therapiearm (dreimal 400 mg)
vorzeitig beendet. Ein Einfluß auf die Tumorgröße wurde nach einwöchiger Medikation bei keinem der 29
Patienten gesehen (Grafik 3). Die dosisabhängige Reduzierung des perifokalen Ödems im Gegensatz zur
Wirkungslosigkeit hinsichtlich einer Tumorreduktion bei der geprüften Therapieform wird noch deutlicher bei
der Betrachtung des Quotienten aus Ödem- und Tumorvolumen. Bei der Prüfgruppe mit der höchsten
Dosierung war der Quotient signifikant gegenüber den beiden anderen Gruppen reduziert, während ein
signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen mit einer Dosierung von dreimal 800 mg und dreimal 400 mg
nicht bestand (Grafik 4).
Resümee
Boswellia-Säuren vermögen offenbar über eine Hemmung der Leukotrienensynthese durch Gliomzellen die
Ausprägung des perifokalen Ödems günstig zu beeinflussen. Unsere Studie zeigt eine eindeutige Dosis/Wirkungsbeziehung. Aufgrund dieser Studie kann allerdings keine Aussage darüber gemacht werden, ob mit
längerer Therapiedauer ein Nachlassen der Wirksamkeit eintritt. Während der nur siebentägigen Therapie hat
sich ein belegbarer Effekt von Boswellia-Säuren auf die Tumorgröße im Sinne einer Tumorreduktion nicht
nachweisen lassen. Allerdings hat sich in vitro an Gliomzell-Linien, die mit Boswellia-Säuresubtypen in
Reinsubstanz inkubiert wurden, eine konzentrationsabhängige Abnahme vitaler Tumorzellen zeigen lassen.
Hieraus könnte neben der antiödematösen Wirkung auch eine gliomzell-proliferationshemmende
Wirkung abgeleitet werden. Dieser Schluß ist jedoch bei dem derzeitigen Stand der Kenntnisse verfrüht: Die
Schwierigkeiten der Übertragung von In-vitro-Ergebnissen auf In-vivo-Verhältnisse beim Menschen sind
allgemein bekannt. Darüber hinaus ist nichts darüber bekannt, ob und inwieweit die untersuchten Zellinien mit
spontanen Gliomen übereinstimmende Reaktionen zeigen. Ehe wissenschaftlich fundiert eine Beeinflussung
des Gliomwachstums im Sinne einer Proliferationshemmung durch Boswellia-Säuren angenommen werden
kann, sind weitere Untersuchungen notwendig.
Wenn eine bereits projektierte Studie zur Proliferationskinetik im Tiermodell weiterhin für eine
proliferationshemmende Wirkung der Substanzen spricht, muß eine klinische Pilotstudie Ergebnisse in diesem
Sinne liefern, um Voraussetzungen für eine umfassende kontrollierte klinische Prüfung des Präparats zu
schaffen. Erst nach dem Abschluß einer solchen Studie ist eine Aussage über die Rolle von Boswellia-Säuren in
der Therapie von Gliomen möglich und zulässig.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-1197-1199
[Heft 18]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck,
anzufordern über die Verfasser.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Dieter-Karsten Böker
Neurochirurgische Klinik der Justus-Liebig-Universität Gießen
Klinikstraße 29 35385 Gießen
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