POLITIK
Organspende und -transplantation: Für eine Ausweitung der Lebendspenden
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Das Überleben von
Empfängern von Lebendspendernieren
ist signifikant länger
als das von Empfängern
postmortaler
Nieren.
Foto: Mauritius Images
Mehr als 80 Prozent der Deutschen befürworten grundsätzlich die Organspende. Dennoch haben auch elf Jahre nach Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes (TPG) nur zwölf Prozent einen Organspendeausweis ausgefüllt. Zwar sei das Gesetz kein „Organbeschaffungsgesetz“ sagte der Ehrenpräsident der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Dr. med. Karsten Vilmar, bei einem Symposium der BÄK Mitte November in Berlin, dennoch müssten neue Wege erwogen werden, um den Mangel an Spenderorganen zu beheben. Ein Novellierungsbedarf ergibt sich möglicherweise auch durch die geplante EU-Richtlinie über Qualität und Sicherheit von Organspende und -transplantation. Die Bundesärztekammer vermutet, dass durch diese Richtlinie weitreichende Eingriffe in die Struktur der Transplantationsmedizin der einzelnen Mitgliedstaaten vorgenommen werden (dazu DÄ, Heft 16/2008).
Trotz aller Probleme hat sich das deutsche Transplantationsgesetz aber nach Ansicht des Vorsitzenden der Ständigen Kommission Organtransplantation der BÄK, Prof. Dr. jur. Hans Lilie, bewährt. Dazu zähle an erster Stelle die Rechtssicherheit, die mit der Regelung geschaffen worden sei. Ein wichtiger Aspekt sei zudem die Chancengleichheit, ein Organ zu erhalten, sowie die organisatorische Trennung von Organspende und -vermittlung. Auch die Entscheidung für das Hirntodkriterium als Voraussetzung für Transplantationen sei zu begrüßen. Außerdem seien in dem Gesetz klar die Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Spende und ein Verbot des Organhandels geregelt.
Dennoch sieht auch Lilie Novellierungsbedarf, insbesondere was den Bereich der Lebendspenden angeht. Prof. Dr. med. Uwe Heemann, München, bezeichnet vor allem die fehlende versicherungsrechtliche Absicherung von Lebendspendern als „skandalös“. „Die Lebendspende wird im Grundsatz wie eine Schönheitsoperation angesehen, und die Beweislast liegt im Fall von Komplikationen beim Spender. Im Falle eines Arbeitsausfalls von mehr als sechs Wochen muss der Spender seine Krankenkassenbeiträge selbst aufbringen. Selbst die Nachsorge wird nicht vergütet.“
Prof. Dr. med. Paolo Fornara, Halle-Wittenberg, kritisierte auch die gesetzlich verankerte Subsidiarität der Lebendspende. Mehr als zehn Jahre nach Einführung des Transplantationsgesetzes müsse man berücksichtigen, dass zum einen die Fünfjahresfunktionsraten nach Lebendnierentransplantationen um circa 15 Prozent höher liegen als nach Transplantationen postmortal entnommener Nieren. Außerdem sei inzwischen nachgewiesen, dass das Überleben von Empfängern von Lebendspendernieren signifikant länger sei als das von Empfängern postmortaler Nieren. Diese Daten seien zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Transplantionsgesetzes noch nicht vorhanden gewesen.
Eine frisch implantierte
Niere in der
Jenaer Klinik für Urologie
der Friedrich-
Schiller-Universität.
Ärzte, Politiker und
Juristen sprachen
sich in Berlin gegen
die gesetzlich verankerte
Subsidiarität
der Lebendspenden
aus.
Foto: dpa
Fornara spricht sich auch für eine Ausweitung des Spenderkreises aus. Seit der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes habe große Unsicherheit bei der Cross-over-Spende bestanden. Erst die Entscheidung des Bundessozialgerichts im Dezember 2003, wonach die Cross-over-Spende grundsätzlich zulässig sei, habe zu mehr Rechtssicherheit geführt. Fornara schlägt eine Spenderpoollösung vor. Dieser Vorschlag wird von der FDP-Bundestagsfraktion geteilt. Fraktionssprecher Michael Kauch teilte anlässlich der Tagung mit, dass die Liberalen vor allem die Überkreuzspende bei blutgruppenunverträglichen Paaren und altruistische Spenden in einem Organpool ermöglichen wollen. Das deutsche Transplantationsgesetz setze der Lebendspende heute enge Grenzen – anders als in anderen Ländern. So bedürfe es einer verwandtschaftlichen Beziehung oder eines besonderen Näheverhältnisses zwischen Organspender und -empfänger. „Ein Arzt, der eine Transplantation dessen ungeachtet vornimmt, macht sich strafbar. Dabei wird kein Unterschied zwischen dem zu Recht strafbewehrten Organhandel und einer uneigennützigen Hilfeleistung des Spenders gemacht“, betonte Kauch. „Die Begrenzung des Spenderkreises und die Strafbewehrung sollten ganz schnell aufgehoben werden“, forderte auch Prof. Dr. jur. Ulrich Schroth, München. Wichtig sei jedoch, dass die Lebendspende auf freiwilliger Basis beruhe. Es müsse ein einheitliches Prozedere und standardisierte Kriterien geben, nach denen Lebendspendekommissionen die Freiwilligkeit der Organspende prüften und Organhandel ausschlössen. Die persönliche Anhörung der Betroffenen müsse Standard werden.
Während man sich, was den Novellierungsbedarf im Bereich der Lebendspenden angeht, weitgehend einig war, wurde über die Richtlinienkompetenz der BÄK kontrovers diskutiert. Nach § 16 des Transplantationsgesetzes stellt die Bundesärztekammer zu Fragen der Aufnahme von Patienten in die Warteliste, der Allokation von Organen und zur Hirntoddiagnostik in Richtlinien den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft fest. Aber ist die BÄK dazu überhaupt verfassungsrechtlich legitimiert? Es sei ein kardinaler Geburtsfehler des Gesetzes, die Bundesärztekammer mit der Erstellung dieser Richtlinien beauftragt zu haben, meinten Prof. Dr. jur. Wolfram Höfling und Dr. jur. Steffen Augsberg, beide Köln. Den Fehler sollte man schnellstmöglich beheben. Anders als es das Gesetz suggeriere, handele es sich bei den Richtlinien keineswegs um rein naturwissenschaftlich-deskriptive Feststellungen. Vielmehr würden auch soziale Wertungen vorgenommen, die sich auf die Zuteilung von Chancen für Leben und Gesundheit auswirkten – und damit auf elementare Grundrechte. Beispiele für soziale Wertungen seien die zu erwartende Compliance bei der Aufnahme der Patienten in die Warteliste oder die Wartezeit bei der Vergabe von Nieren. Diese Kriterien könnten zwar sinnvoll, aber nicht zwingend und schon gar nicht rein naturwissenschaftlich begründet werden.
Bei der BÄK handele es sich um eine privatrechtliche Organisation. Sie sei von ihrem Rechtsstatus her nicht legitimiert, hoheitlich und autonom Aufgaben wahrzunehmen in einem so grundrechtssensiblen Bereich wie der Transplantationsmedizin. Das Transplantationsgesetz nennt als Kriterien für die Zuteilung von Organen lediglich Erfolgsaussicht und Dringlichkeit, ohne diese beiden, in der Praxis oft gegenläufigen Kriterien zueinander ins Verhältnis zu bringen.
„Das Gesetz strukturiert zu wenig die Normen vor, die die privatrechtliche Organisation setzt. Das läuft auf einen pauschalen Regelungsverzicht des Staates zugunsten eines privaten Vereins hinaus“, betonte Höfling. Allenfalls könne eine staatlichprivate Zusammenarbeit unter strengen Voraussetzungen zulässig sein: Wenn der Gesetzgeber selbst die entscheidenden Grundaussagen mache und außerdem konkret vorgebe, wie ein Richtlinien erstellendes Gremium organisiert, zusammengesetzt und beaufsichtigt werden solle. Gegenwärtig müssten die Richtlinien der BÄK nicht einmal von einer demokratisch legitimierten Instanz genehmigt werden.
Ganz anderer Ansicht ist Lilie: „Zur Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer gibt es eine Parallele, die juristisch offenbar anders gesehen wird, nämlich den Gemeinsamen Bundesausschuss. In Zusammensetzung und Struktur unterscheiden sich die entsprechenden Gremien des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht wesentlich von denen der Bundesärztekammer.“ Zum einen habe der Gesetzgeber den Rahmen für die Richtlinien ausreichend vorgegeben. Zum anderen traue er die Richtlinienkompetenz zur Organtransplantation keiner anderen Institution als der BÄK zu. Auch Neutralität, Objektivität und Partizipation von Betroffenen seien gewährleistet. Probleme sieht Lilie weniger in den Richtlinien selbst als in den beschränkten Möglichkeiten, deren Einhaltung wirksam zu überwachen.
Ausführungsgesetze zum Transplantationsgesetz
Wenn das Potenzial postmortaler Organspender in den Kliniken tatsächlich realisiert würde, ließe sich der Bedarf an Organen vermutlich decken, haben Studien der Deutschen Stiftung Organtransplantation ergeben. Ende letzten Jahres hat die BÄK Richtlinien zur ärztlichen Beurteilung gestorbener Patienten als potenzielle Organspender verabschiedet (DÄ, Heft 49/2007). Für die einzelnen Bundesländer führe ein entscheidender Weg, das Ziel zu erreichen, über Ausführungsgesetze zum Transplantationsgesetz, die es noch nicht überall gebe, sagte Dr. jur. Sebastian Rosenberg, Berlin. Es sei sinnvoll, in den Kliniken Transplantationsbeauftragte vorzusehen. Die Zusammenarbeit zwischen dem zuständigen Personal an den Krankenhäusern müsse dann durch klare Regelungen der Verantwortlichkeiten gestärkt werden. Die Ärzte würden allerdings die zeitaufwendigen Zusatzaufgaben des Personals gern auch finanziert sehen. „Allein mit der Zusammenstellung der Daten für die Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung ist ein Facharzt mehrere Tage lang beschäftigt“, erläuterte Prof. Dr. med. Ernst-H. Scheuermann, Frankfurt/M.
Der Aufwand dürfte sich künftig noch erhöhen. Denn die Daten der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS) sollen nicht nur den Transplantationszentren eine Rückmeldung über die Qualität ihrer Transplantationsprogramme geben, sondern auch Anhaltspunkte für die Erfolgsaussicht vor der Transplantation liefern. Dazu ist es notwendig, die Funktion der Transplantate und Komplikationen bei den Empfängern über einen langen Zeitraum, möglichst zehn bis 15 Jahre lang, zu erfassen. Derzeit werden die Verlaufsdaten nur bis zu drei Jahren nach Transplantation erhoben, erläuterte der Ärztliche Projektleiter bei der BQS, Dr. med. Sven Bungard, Düsseldorf. Es sei geplant, den Erfassungszeitraum auf fünf und dann möglicherweise noch auf mehr Jahre auszuweiten – mit einer Optimierung der Risikoadjustierung. Dies gelte auch für die Transplantation nach einer Lebendorganspende, inklusive der Nachsorge der Empfänger. „Auf diese Weise könnte ein lückenloses Lebendorganspenderegister entstehen, das wir dringend benötigen“, sagte Heemann gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt.
Kritik an der geplanten EU-Richtlinie übte Prof. Dr. med. Dr. phil. Eckhard Nagel, Augsburg. Seiner Ansicht nach würde eine EU-weite Regelung einen enormen administrativen Aufwand bedeuten. Falls mit einer Vereinheitlichung auch eine Festlegung von Regelungen unterhalb deutscher Standards verbunden sei, werde dies das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dem Thema Organspende verstärken. Außerdem würde es den Errungenschaften einer transparenten, in ihren Abläufen detailliert geregelten Transplantationsmedizin nachhaltig schaden. Sinnvollerweise, darin war man sich einig, sollte das Transplantationsgesetz so rechtzeitig novelliert werden, dass es mit der zu erwartenden EU-Richtlinie nicht kollidiert und der Handlungsspielraum des Gesetzgebers nicht eingeschränkt wird.
Gisela Klinkhammer, Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
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