ArchivDeutsches Ärzteblatt PP12/2008Lovis Corinth: Unbeirrbar subjektiv

KULTUR

Lovis Corinth: Unbeirrbar subjektiv

Goddemeier, Christof

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Lovis Corinth: Salome, II. Fassung, 1900 Foto: Museum der bildenden Künste, Leipzig
Lovis Corinth: Salome, II. Fassung, 1900 Foto: Museum der bildenden Künste, Leipzig
Vor 150 Jahren wurde der Maler im ostpreußischen Tapiau geboren. Zum einen war er ganz Traditionalist, aber zugleich zeigen seine Bilder einen Hang zu parodistischer Auseinandersetzung mit der Gegenwart.

Feinfühliger Meister und Berserker“, Maler mit „feinem Sinn fürs Grobe“, „zu spät gekommener Romantiker“ – diese Versuche, Lovis Corinth zu charakterisieren, bezeugen vor allem die beständige Widersprüchlichkeit des Künstlers. Zum einen ist er ganz Traditionalist, malt Historienbilder, Selbstbildnisse und Landschaften. Doch zugleich zeigen seine Bilder einen Hang zu parodistischer Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Dabei ist seine Nähe zum Objekt immer auch ein Sehen im Namen der gesamten Tradition.

Am 21. Juli 1858 wird Franz Heinrich Lovis Corinth im ostpreußischen Tapiau geboren. Er wächst zusammen mit fünf Halbgeschwistern aus der ersten Ehe seiner Mutter auf. Konflikte mit der Mutter und den Stiefgeschwistern prägen seine Jugend. „Ich bin während des gesamten Lebens unglücklich gewesen. (. . .) Ich beneidete die, welche ein heiteres Temperament oder mehr Fähigkeiten hatten als ich. Ein brennender Ehrgeiz hat mich schon immer verfolgt“, schreibt er in seiner „Selbstbiographie“. Zunächst studiert Corinth an der Königsberger Akademie, ab 1880 setzt er sich in München mit Wilhelm Leibls Realismus und dem Naturalismus Max Liebermanns auseinander. Doch unabdingbare Grundlage jeder künstlerischen Arbeit, „das Latein der Malerei“, werden für Corinth das genaue Studium und die präzise Darstellung des nackten menschlichen Körpers. „Die gezeichneten Akte zu zählen, bin ich außerstande. (. . .) Modelle gingen in Corinths Atelier ein und aus“, schreibt seine spätere Frau Charlotte Berend-Corinth.

In einer Zeit, in der dieses Genre noch einmal auflebt, dann aber umkippt in seine eigene Parodie, möchte Corinth vor allem eins sein: Historienmaler. Dabei hat er seine Lektion aus Friedrich Nietzsches „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ gelernt und nennt Geschichte sein Lebensthema. Von Rembrandt übernimmt Corinth das Verfahren, sich selbst in biblische und antike Szenen einzubringen. So fügt er Historie und Selbstbild zusammen und sieht sich selbst als Stellvertreter etwa Jesu Christi oder des leidenden Menschen. Die Kreuzigungsszene von 1907 zeigt nicht Jesus, der ans Kreuz gebunden wird. Bewusst nennt Corinth das Gemälde auch nicht „Kreuzigung“, sondern „Martyrium“ und spielt damit auf sich selbst und seine Rolle als Künstlerheros an.

Anfang der 1890er-Jahre ist Corinth mit seinen Gemälden unzufrieden und wendet sich der Radierung zu. 1894 entsteht eine Reihe grafischer Blätter, die er „Tragikomödien“ nennt. Vor seiner skeptischen Fantasie verschwindet alle Lyrik der Weltgeschichte. Da erscheint selbst die todgeweihte französische Königin („Marie Antoinette auf dem Wege zum Schafott“) als komödiantische Figur. Die Münchener Sezession lehnt Corinths „Salome“ (1899) ab. Auf einer Ausstellung der Berliner Sezession ein Jahr später wird das Bild ein großer Erfolg. Das will das Berliner Publikum sehen – nicht eine verträumte romantische Tänzerin wie bei Gustave Moreau, sondern aggressive Präsenz, die sich zugleich vom dargestellten Thema distanziert.

Lovis Corinth: Selbstporträt im weißen Kittel, 1918 Foto:Wallraf-Richartz-Museum, Köln
Lovis Corinth: Selbstporträt im weißen Kittel, 1918 Foto:Wallraf-Richartz-Museum, Köln
In den ersten zwei Dritteln seines Lebens trinkt Corinth zu viel; erst nach einem Schlaganfall Ende 1911 ruft er sich zur Ordnung. Dem Schlaganfall eine Veränderung seines Stils zuzuschreiben, ist ein Mythos der Kunstwissenschaft, der so nicht haltbar ist. Doch hat die Erkrankung – Corinth ist danach linksseitig gelähmt – seine expressive Kraft noch gesteigert. 1925 stirbt Corinth auf einer Reise nach Amsterdam.
Christof Goddemeier

Die Ausstellung „Lovis Corinth und die Geburt der Moderne“ ist bis 15. Februar 2009 im Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg zu sehen.
Informationen: www.kunstforum.de

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