POLITIK
DGPPN-Kongress: Auf der Suche nach der Identität


Fotos: DGPPN
Der Begriff „Psychiatrie“ ist bereits 200 Jahre alt. Erstmals wurde er im Jahr 1808 von einem Arzt aus Halle verwendet. Die Psychiatrie als Fachgebiet hat sich seither enorm entwickelt: Die Entdeckungen der neurobiologischen Wissenschaften in der Genetik und den bildgebenden Verfahren haben zu dieser Beschleunigung in den letzten 15 bis 20 Jahren beigetragen.
Nun standen Diagnostik und Therapie psychischer Erkrankungen sowie Fragen der seelischen Gesundheit im Mittelpunkt der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) Ende November in Berlin. Bereits vorab verkündete die DGPPN, es handele sich um die größte wissenschaftliche Tagung in Europa zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit psychischen Erkrankungen. Die Zahlen konnten sich sehen lassen: 7 639 Teilnehmer hatten sich für die mehr als 500 Seminare angemeldet. Das Motto des Kongresses lautete: „Psychiatrie als therapeutische Disziplin“. Vor allem wollte man aber die Frage der Identität von Psychiatrie und Psychotherapie klären.
„Wir versuchen, einen
mehrdimensionalen Zugang zum
Patienten zu finden.“ Prof. Dr. med.Wolfgang Gaebel, Präsident der DGPPN
Psychiater betrachten sich selbst inzwischen als mehr als nur Pharmakotherapeuten, sondern viel- mehr als eine Art Schnittstelle zwischen Geisteswissenschaft, Neurobiologie und Psychologie. „Damit sind die Psychiater die Generalisten in der Gruppe der Therapeuten“, resümierte Bergmann. Der Psychiater verfüge über eine umfassende differenzialdiagnostische und therapeutische Kompetenz. „Wir versuchen, einen mehrdimensionalen Zugang zum Patienten zu finden“, ergänzte Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel, derzeitiger Präsident der DGPPN.
Häufig werden die Psychiater allerdings immer noch mit der Kritik konfrontiert, sie würden den Patienten zu schnell zu viele Medikamente verschreiben. Gegen diese Pauschalisierung verwahren sich die Psychiater: „In der Psychiatrie kommen neben Medikamenten und Gesprächen viele andere Methoden zur Anwendung“, betonte Gaebel. Vor allem sei sie heute ohne Psychotherapie nicht mehr vorstellbar, sagte Bergmann. Längst gelte seiner Meinung nach nicht mehr der Satz des Neurologen, Psychoanalytikers und Psychosomatikers Alexander Mitscherlich (1908 bis 1992): „Der Arzt ist heute ein Konfektionär, der die Mittel der pharmazeutischen Industrie vertreibt.“ Gaebel erklärte, dass die Psychiater in Zukunft noch viel stärker eine integrierende und steuernde Funktion übernehmen müssten. „Das Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie steht in einem komplexen System von Anbietern in Diagnostik und Therapie psychischer Störungen“, betonte er. Man müsse sich die Frage nach der Abgrenzung beziehungsweise Integration der „Nachbardisziplinen“ stellen. Genau diese gestaltet sich allerdings häufig schwierig: Immer wieder kommt es zu Grabenkämpfen zwischen Psychiatern und Psychologischen Psychotherapeuten. Daher sollen nach Ansicht von Gaebel die Versorgungsaufgaben von Psychiatrie, Psychosomatik, Psychologie und Neurologie stärker differenziert werden – neben den Generalisten solle der Spezialist treten, so sein Fazit.
Sunna Gieseke
Sporner, Thomas
Foertsch, Hans-Peter
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