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Praxisführung: Motivationsbremse „Chef“ – gefangen im Vorurteil


Gleiches Verhalten
– unterschiedliche
Beurteilung.
Subjektive Einschätzungen
durch
den Arzt können zu
Minderleistungen
führen.
Foto: Superbild [m]
Erbringt eine Angestellte nicht die Leistungen, die aufgrund ihrer Qualifikationen zu erwarten wären, suchen Praxisinhaber in der Regel überall nach Gründen dafür – nur nicht bei sich selbst. Doch oft genug ist es gerade der Arzt, der seine Mitarbeiterin in die Demotivationsfalle treibt. Dies geschieht in den seltensten Fällen bewusst. Meistens lässt sich der Arzt zu unzutreffenden Beurteilungen durch die „Vorurteilsfalle“ hinreißen.
Ein Beispiel: Ein Internist beurteilt zwei Medizinische Fachangestellte, die sich nahezu identisch verhalten, höchst unterschiedlich:
- Beide Mitarbeiterinnen melden sich freiwillig, um schwierige Aufgaben zu übernehmen.
Bei der einen Arzthelferin wertet der Arzt dieses Verhalten als Zeichen für ein verantwortungsbewusstes Engagement. Ihrer Kollegin unterstellt er hingegen, sie wolle sich in den Vordergrund spielen.
- Beide Mitarbeiterinnen fragen intensiv nach, wenn sie eine Anweisung nicht richtig verstanden haben.
„Sie will etwas Neues lernen und an sich arbeiten“, so die Ansicht des Praxisinhabers bei der einen Helferin. „Sie ist unsicher und scheut die Übernahme von Verantwortung“ – das ist seine Meinung bei der anderen.
Warum der Chef derart urteilt, ist zunächst zweitrangig. Es scheint, als ob er die eine Angestellte als gute und leistungsfähige, die zweite hingegen als „schwache Mitarbeiterin“ oder „Minderleisterin“ einstuft. Dieses einmal gefasste Urteil bestimmt die Wahrnehmung jeder Handlung der Kolleginnen. So entsteht ein unheilvoller Kreislauf: Beide Angestellten können machen, was sie wollen: Ihre Handlungen dienen dem Arzt lediglich als Bestätigung seiner Meinung.
Im schlimmsten Fall legt die vorgeblich schwache Mitarbeiterin Reaktionsweisen an den Tag, die den Chef bestätigen: Sie büßt durch das ständige negative Feedback an Selbstbewusstsein ein und sieht keinen Grund mehr sich anzustrengen. Der Arzt kontrolliert sie immer mehr, ertappt sie bei Fehlern und übersieht Erfolge.
Hinzu kommt: Der Arzt „ermuntert“ die Mitarbeiterin unbewusst, leistungsminderndes Verhalten zu wiederholen, indem er ihr nur noch Routineaufgaben überträgt oder ihr genaue Ziele vorgibt und den Entscheidungsspielraum beschneidet. Die Mitarbeiterin leistet „Dienst nach Vorschrift“ und entwickelt immer weniger Initiative. Der Kreislauf von niedriger Erwartung und Demotivation sowie nachlassender Leistung führt schließlich zur inneren oder tatsächlichen Kündigung.
„Gefangen im Vorurteil“, lässt sich das Problem der Motivationsbremse „Chef“ zusammenfassen. Wie kann der Arzt die Bremse lösen? Hat er erst einmal eingesehen, dass der Grund für die Leistungsschwäche einer Mitarbeiterin auch mit seiner Etikettierung als „Minderleisterin“ zu tun haben könnte, ist der erste Schritt zur Überprüfung der fragwürdigen Kategorisierung getan. Der Arzt sollte sich fragen, ob und inwiefern er dazu beiträgt, wenn eine Mitarbeiterin nicht die Leistungen erbringt, zu denen sie eigentlich in der Lage sein müsste.
„Warum habe ich diese Mitarbeiterin eingestellt, was hat mich damals zu dieser Entscheidung bewogen?“ Es ist schwierig, sich diese Frage im hektischen Praxisalltag zu stellen. Sie kann der nächste Schritt sein, der aus der Vorurteilsfalle herausführt – lenkt sie doch die Aufmerksamkeit weg von den Schwächen und hin zu den Stärken, die den Arzt ja irgendwann einmal bewogen haben müssen, die Mitarbeiterin einzustellen.
Dr. med. Martin Herkenhoff, Kinderarzt mit Praxis im bayerischen Germering, empfiehlt, den Reflexionsprozess schriftlich vorzunehmen. Dazu fertigt ein Arzt eine Liste an, in der er die Stärken und Schwächen der Mitarbeiterin notiert – und die Gründe, die ihn veranlasst haben, eine Handlung oder Aktivität als Schwäche zu bezeichnen. Dies rückt zum einen die Stärken in den Vordergrund und zum anderen reflektiert er dadurch die Situationen, die ihn veranlasst haben, das Urteil „Minderleisterin“ zu fällen.
Zuweilen stellen sich diese Aktivitäten im ruhigen Rückblick in einem anderen Licht dar. Der Arzt bemerkt, dass er eine Leistung wegen Äußerlichkeiten und Verhaltensweisen der Mitarbeiterin, die nicht in sein eigenes Weltbild passen, niedrig eingeordnet hat. Er sollte prüfen, ob es etwas Bestimmtes an der Mitarbeiterin (eine Äußerlichkeit, ein bestimmtes Verhalten) gibt, das bei ihm negative Gefühle auslöst und so seine Wahrnehmung und Beurteilungsfähigkeit einschränkt. Nach und nach ersetzt der Arzt dann seine subjektive Einschätzung durch objektive Kriterien. Dazu gehört, neutrale Beurteilungsmaßstäbe anzulegen. Oder er nimmt die Mitarbeiterbeurteilung nicht allein vor, sondern sucht Rat und Unterstützung, etwa bei einem Kollegen.
Selbstverständlich kann sich herausstellen, dass die Angestellte tatsächlich keine guten Arbeitsergebnisse erzielt. Zuweilen aber erkennt der Chef so, dass diese Minderleistungen Gründe haben, die er abstellen kann. Und manchmal konstatiert er: „Ich selbst bin der Hauptgrund oder der Auslöser für die schlechten Leistungen.“
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, in das persönliche Gespräch mit der vermeintlichen Problemmitarbeiterin einzusteigen. Solange der Arzt nicht analysiert hat, ob er in der Vorurteilsfalle steckt, ist dies sinnlos. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich Mitarbeiterin und Chef aufgrund ihrer verzerrten Wahrnehmung nur jeweils negative Motive unterstellen. Denn auch die Mitarbeiterin ist mittlerweile Gefangene eines verinnerlichten Erklärungsmusters: „Der Chef hat etwas gegen mich und legt mir ja doch alles zum Nachteil aus.“
Der Arzt habe die Möglichkeit, betont Kinderarzt Herkenhoff, den Teufelskreis zu durchbrechen, indem er den konstruktiven Dialog mit der Frage eröffnet: „Trägt mein Verhalten dazu bei, dass Sie und ich mit Ihren Leistungen nicht zufrieden sind?“
Patric P. Kutscher
E-Mail: kontakt@diktig.de