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Gesundheit und Gerechtigkeit: Die Krise trifft die Schwachen


Norbert Jachertz
freier Journalist
Die soziale Ungerechtigkeit nimmt in Deutschland seit Jahren zu, folgt man einer Untersuchung der OECD vom Oktober dieses Jahres. So sind hierzulande seit der Jahrtausendwende die hohen Einkommen weitaus stärker gestiegen als die niedrigen, Arm und Reich driften schneller auseinander als in anderen Industriestaaten. Die Armutsquote wächst kontinuierlich. Lag sie 1997 noch bei 10,9 Prozent, erreicht sie 2005 13,2 Prozent und jetzt in der Spitze, so der Berliner Gesundheitswissenschaftler Rolf Rosenbrock auf dem Berliner Kongress, 18 Prozent; ohne Sozialtransfers wie Hartz IV läge sie bei 26 Prozent. Besonders gefährdet sind Alleinerziehende, Kinderreiche und Kinder. Immer mehr Einkommen, Vermögen und Bildungschancen häuften sich in den oberen Etagen, immer weniger verblieben in den unteren Segmenten, resümiert Rosenbrock.
Mit der zunehmenden Drift verschlechtern sich auch die Gesundheitschancen. Denn die fatale Folge des social gradient ist es, dass der gestufte soziale Abstieg parallel mit einer gestuften Verschlechterung der Gesundheit verläuft. Soziale Ungerechtigkeit führt somit nicht nur bei den Armen, sondern bei weiten Bevölkerungsschichten zu schlechterer Gesundheit.
Die Rezession wird die Schwachen dieser Gesellschaft zusätzlich treffen. Im Gesundheitswesen, in dem schon seit Langem schleichend die Leistungen gekürzt werden und der ungehinderte Zugang zum Gesundheitssystem trickreich kanalisiert wird, dürfte noch mehr auf die Kosten gesehen werden. Die aktuelle Debatte um den Gesundheitsfonds lässt jedenfalls Böses ahnen. Die Kalkulation des Beitragssatzes (15,5 Prozent) basierte auf einem Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent und einer Grundlohnsummensteigerung von 2,4 Prozent im Jahr 2009. Sie ist obsolet. Die Berechnung musste Anfang Dezember, schon nach zwei Monaten, über den Haufen geworfen werden. Dem Fonds wird 2009 eine halbe Milliarde Euro fehlen. Mindestens. Doch auch die neue Kalkulation könnte bereits überholt sein. Denn die Wachstumsprognosen werden ständig nach unten korrigiert.
Das Defizit des Fonds, in welcher Höhe auch immer, muss der Bund zwar für ein Jahr kreditieren, doch Politiker wie die Kassen werden alles daransetzen, das Loch so klein wie möglich zu halten. Sie müssen deshalb die Kostenschraube anziehen und die Leistungen in „bewährter“ Weise einschränken, indem das Notwendige und Zweckmäßige ein wenig enger definiert wird. Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Rainer Hess, äußerte soeben ahnungsvoll, der Druck auf seinen Ausschuss werde mit Sicherheit wachsen.
Wer privat zahlen kann, ist natürlich nicht betroffen. Die Krise trifft die Schwachen.
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