THEMEN DER ZEIT: Aufsätze
Politische und medizinische Dimensionen des Tabakrauchens


Die Prävention setzt genaue Kenntnisse der Soziologie und Psychologie des Rauchens voraus. Sie muß bei
Kindern und Jugendlichen beginnen. Abschreckungen und Verbote sind wenig wirksam. Intensive Kampagnen
gegen das Rauchen und Verteuerungen der Zigarette, beispielsweise durch Besteuerung, schränken das
Rauchen ein, wie amerikanische, kanadische und andere Erfahrungen zeigten. In der Bundesrepublik sind die
Anstrengungen zur Prävention immer noch sehr gering.
Nikotinarme Zigaretten zu rauchen ist wenig nützlich; denn die übrigen Schadstoffe sind nicht immer in
gleicher Weise reduziert worden, und die meisten Raucher halten unbewußt ihre Nikotinzufuhr konstant,
indem sie tiefer inhalieren oder/und mehr Zigaretten konsumieren. Nikotinfreien Tabak stellte vor einigen
Jahren der US-Tabakkonzern Philip Morris her, aber nicht um diesen zu verkaufen, sondern um das
gewonnene Nikotin zu verwenden: Es wurde angeblich (nach Angaben eines früheren Mitarbeiters) heimlich
dem Tabak hinzugefügt, um so Zigaretten mit erhöhtem Nikotingehalt zu produzieren. Das Ziel war, mit
höheren Dosen das Abhängigwerden zu fördern und den Umsatz zu steigern.
Nichtraucherschutz
Passivrauchen schädigt die Gesundheit und ist insbesondere ein Risikofaktor für Herzinfarkt. Wer regelmäßig
passiv mitraucht, hat ein 1,3- bis 1,4fach erhöhtes Risiko für ein Bronchialkarzinom (1). Schäden durch
Passivrauchen sind nicht mehr zu bezweifeln, werden aber in der Öffentlichkeit fortgesetzt verleugnet oder
bestritten. Passivrauchen wird der Bevölkerung zugemutet, während der relativ weniger gefährliche Asbest aus
Schulen und anderen Gebäuden mit hohem Kostenaufwand entfernt wird.
Rauchen in öffentlichen Räumen, am Arbeitsplatz, im Flugzeug und im Krankenhaus ist hierzulande nach wie
vor ein ungelöstes Problem. Ein Nichtraucherschutz-Gesetz ist 1992 und dann wieder 1994 gescheitert.
In Kanada hingegen erging kürzlich ein Gesetz, welches das Rauchen in der Öffentlichkeit allgemein verbietet
und in Gaststätten nur dann zuläßt, wenn hierfür ein eigener Raum mit einer separaten Klimaanlage zur
Verfügung steht.
Neben medizinischen sind auch ästhetische Rücksichten angebracht. Rauchen ist für Nichtraucher stets eine
Belästigung, was schon einmal im preußischen Landesrecht (1794) formuliert worden war, aber im
allgemeinen zu wenig bedacht wird.
Gesundheitspolitische Aspekte
Man schätzt die Zahl der Tabaktoten - weltweit und jährlich gerechnet - auf mindestens zwei bis drei
Millionen (7). Die Angaben über vom Rauchen abhängige Sterblichkeit berücksichtigen, daß auch andere
Faktoren an der Entstehung von Krankheiten mitbeteiligt sein können; so wird zum Beispiel beim
Bronchialkarzinom die Rate der Erkrankungsfälle von Nichtrauchern von der der Raucher abgezogen.
Die Maßnahmen gegen das schädliche Tabakrauchen halbherzig zu nennen ist im Hinblick auf die deutschen
Verhältnisse euphemistisch. Die öffentlichen Aufwendungen für die Aufklärung über den Tabakmißbrauch
betragen in der Bundesrepublik nur wenige Millionen Mark jährlich, während die Tabakindustrie gleichzeitig
den zirka hundertfachen Betrag für Werbung ausgibt. Wenn 1995 eine Tagung über Passivrauchen von einer
Bundesbehörde organisiert und von der Zigarettenindustrie gesponsert wurde,
ist wissenschaftliche Unabhängigkeit ebenso schwer vorstellbar wie vorurteilsfreie Berichterstattung. Bei
bestimmten politischen Versammlungen ist es üblich, daß Repräsentanten der Tabakindustrie auftreten und
Zigarettenpackungen anbieten.
Wirtschafts- und finanzpolitische Probleme
Der Fiskus profitiert allenthalben enorm von Gebrauch und Mißbrauch der Genuß- und Suchtmittel. In der
Bundesrepublik ergibt die Tabaksteuer etwa 20 Milliarden DM jährlich. 1994 waren es 20,29 Milliarden DM;
das ist noch mehr als die Alkoholsteuer mit etwa 8 Milliarden DM. Die Besteuerung der Zigaretten scheint
zwar sehr hoch zu sein, nämlich 72 Prozent des Verkaufspreises. Zu beachten ist aber, daß in unserem Lande
die Erhöhungen stufenweise vorgenommen und mit erkennbarer Absicht so
bemessen wurden, daß kein Abschreckungseffekt eintrat.
Die Europäische Union subventionierte den Tabakanbau im Jahr 1993 mit 2,3 Milliarden DM. Das sind
immerhin 3,4 Prozent der Ausgaben für Landwirtschaft im ganzen. Von diesem Betrag geht das meiste nach
Griechenland und Frankreich, aber auch der deutsche Tabakanbau wird mit 85 Millionen Mark unterstützt. In
Deutschland wurden 1993 auch 4 000 ha Tabak angebaut und 9 000 t geerntet. In der Zigarettenproduktion
steht Deutschland hinter den USA und Japan an dritter Stelle, wovon gut ein Drittel exportiert wird.
Internationale Vergleiche
Zigaretten machen einen umfangreichen Markt aus. Dabei ist die Besteuerung sehr uneinheitlich: Was die
europäischen Länder angeht, zeigt sich ein eindeutiges Nord-Süd-Gefälle. Von den niedrigeren Steuern in den
USA wird noch zu sprechen sein. Die Besteuerung ist entweder eine rein fiskalische Maßnahme wie in
Deutschland oder aber ein gesundheitspolitisches Instrument. So wurden zum Beispiel in Kanada über die
Steuer in den 80er Jahren Zigaretten innerhalb kurzer Zeit so stark verteuert, daß der Konsum erheblich
zurückging. Die Beziehungen sind eindeutig, sie zeigen sich auch in den Statistiken von Neuseeland. Und was
besonders wichtig ist: Wenn über Steuern der Preis erhöht wird und infolgedessen der Konsum reduziert wird,
dann nimmt auch die Häufigkeit des Bronchialkarzinoms ab. Das wurde in Großbritannien und in den
skandinavischen Ländern festgestellt, im Gegensatz zu Deutschland und den übrigen mitteleuropäischen
Ländern (10).
Die USA regulieren den Tabakkonsum nicht über die Steuer, sondern mit anderen Mitteln. Nachdem 1964 der
erste anti-smoking-report erschien, wurden intensive Kampagnen gegen das Rauchen durchgeführt mit dem
Ergebnis, daß die Raucherrate in den Jahren von 1965 bis 1993 von zunächst 42,4 Prozent auf 26,2 Prozent
abnahm.
Entsprechende Maßnahmen gibt es in der Bundesrepublik bisher nicht, wohl aber in anderen Ländern und
selbst in China: Nachdem vor einigen Jahren die amerikanische Zigarettenindustrie in China einen neuen
Markt entdeckte und das Land mit Zigaretten geradezu eroberte, stieg die Raucherrate auf 60 Prozent der
männlichen Bevölkerung an. Inzwischen konsumieren chinesische Raucher jährlich 1,6 Billionen Zigaretten.
Es wurde errechnet, daß in den nächsten 30 Jahren zirka drei Millionen Chinesen an den Folgen des Rauchens
sterben würden. Daher hat die chinesische Regierung energische Maßnahmen ergriffen. So wurde 1996 das
Rauchen in öffentlichen Gebäuden und auch auf öffentlichen Plätzen verboten. Auch derartige Maßnahmen
vermißt man in Deutschland.
In vielen Entwicklungsländern nimmt das Rauchen weiter zu. Durch die Ausgaben für Zigaretten wird das
meist geringe Einkommen stark in Anspruch genommen. Durch den Tabakanbau gehen Agrarflächen verloren,
die für die Erzeugung einheimischer Nahrungsmittel lebensnotwendig sind; dabei wird schützenswerter
Baumbestand geopfert, für etwa 300 Zigaretten ein Baum.
Tabak im Vergleich mit anderen Suchtmitteln
Ausmaß und Problematik des Tabakkonsums sollen abschließend verdeutlicht werden durch einen Vergleich
mit anderen Suchtmitteln, nämlich mit Alkohol und mit illegalen Drogen.
Wenn man fragt, was heute die Gesundheit des Menschen am meisten schädigt, dann sind an erster Stelle
längst nicht mehr Naturkatastrophen, Seuchen und andere äußere Einflüsse zu nennen, sondern vor allem die
vom Menschen selbst verursachten schädlichen Einflüsse, insbesondere Strahlen- und toxische Einflüsse. Am
meisten aber schädigt der moderne Mensch seine Gesundheit durch das, was er sich mehr oder weniger
freiwillig einverleibt: zu viel Essen, Trinken und besonders Rauchen.
Die größte öffentliche und politische Aufmerksamkeit findet aber das zahlenmäßig kleinere Problem der
Drogenabhängigkeit, mit großem Abstand gefolgt vom Alkoholproblem. Die Problematik des Tabakrauchens
findet in Deutschland kaum politische und öffentliche Aufmerksamkeit. Diese verhält sich also umgekehrt
proportional zur Gefährdung. Es sterben zum Beispiel in den USA jährlich durch Tabak 400 000 Menschen,
durch Alkohol 100 000, durch Drogen 20 000.
Für die Bundesrepublik liegen bezeichnenderweise derart bestimmte Zahlen nicht vor. Gezählt werden nur sehr
sorgfältig die Drogentoten (für 1996 sind zirka 1 500 zu erwarten), nicht aber die anderen. Hinzu kommen die
Schädigungen anderer Menschen. Bei alkoholbedingten Verkehrsunfällen verlieren in Deutschland jährlich
zirka 5 000 Menschen das Leben, unter ihnen zahlreiche nicht alkoholisierte Verkehrsteilnehmer. Durch
Tabak, nämlich durch Passivrauchen, entstehen bei Nicht-Konsumenten wahrscheinlich noch größere Schäden.
Gesellschaftliche Aspekte
Zwar ist das Zigarettenrauchen wissenschaftlich sehr gut erforscht, etwa so wie der Alkoholismus, aber in
Deutschland ist das Forschungsinteresse außerordentlich gering. In einer deutschen Zeitschrift für
Suchtprobleme zählten wir im Laufe von fünf Jahren unter 190 Originalbeiträgen nur zwei Arbeiten über die
Tabakproblematik.
Entsprechendes gilt für das Medieninteresse: Von Drogen ist ständig die Rede, von Alkohol weit weniger, von
Tabak am wenigsten. Dementsprechend richtet sich die öffentliche Kritik am meisten gegen Drogen, am
wenigsten gegen Tabakrauchen. Das gilt auch für die politischen Aktivitäten. Am 26. August 1996 kündigte
der amerikanische Präsident Clinton weitere einschneidende Maßnahmen gegen das Rauchen insbesondere von
Jugendlichen an, zum Beispiel Verkaufsverbote. Am gleichen Tage meldeten in Deutschland die Medien, wie
sich der Bundesfinanzminister über Steuerausfälle infolge Zigarettenschmuggels beklagt.
In den USA verklagten 22 Bundesstaaten zugleich einen Zigarettenproduzenten wegen der (bis dahin immer
noch von der Zigarettenindustrie geleugneten) Gesundheitsschäden, die der öffentlichen Hand zur Last fielen.
Es kam zu einem Vergleich mit dem Unternehmen (Ligeet), das sich verpflichtete, einen wesentlichenTeil des
Gewinns erkrankten Rauchern und den Anti-Smoking-Kampagnen zukommen zu lassen. Vizepräsident Gore
sieht hierin einen historischen Sieg für das amerikanische Volk. Eine solche Äußerung eines hochrangigen
Politikers ist hierzulande kaum vorstellbar.
Als in den USA kürzlich die Absprachen der vier größten Zigarettenproduzenten, ihre Werbung auf die noch
nicht rauchenden Jugendlichen zu konzentrieren, bekannt wurde, kam es zu großer öffentlicher Empörung. In
Deutschland läuft eine entsprechende Werbung ab - ohne daß kritische Äußerungen laut werden.
Seit Jahren klagten hier die Zigarettenproduzenten gegen die Bundesrepublik wegen der Warnhinweise auf
Zigarettenpackungen, sie klagten bis zum Bundesverfassungsgericht. Von diesem mußte sie sich kürzlich
belehren lassen: "Das Rauchen tötet mehr Menschen als Verkehrsunfälle, AIDS, Alkohol, illegale Drogen,
Mord und Selbstmorde zusammen. Zigarettenrauchen ist in den Industrieländern die häufigste und
wissenschaftlich am deutlichsten belegte Einzelursache für den Krebstod." Dieses Urteil fand in den Medien
wenig Beachtung (vergleiche dazu aber DÄ, Heft 10, 1997, Seite eins: Am Totenkopf vorbeigeschrammt),
geschweige denn Konsequenzen in der Politik.
Vielmehr wurde Ende 1996 eine Initiative von Bundestagsabgeordneten aus allen Fraktionen mit dem Ziel, das
Rauchen, auch das Passiv-Rauchen, einzuschränken, mit zum Teil aggressiven Formulierungen diffamiert. Das
Schicksal des Gesetzentwurfes ist ungewiß (vergleiche Kasten auf dieser Seite). Das alles wirkt paradox und ist
es auch.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-1263-1267
[Heft 19]
Anschrift des Verfassers
Prof. Dr. med. Rainer Tölle
Klinik für Psychiatrie der Westfälischen Wilhelms-Universität
Albert-Schweitzer-Straße 11
48149 Münster
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