THEMEN DER ZEIT
Als Psychiater in den Niederlanden: Flaches Land – flache Hierarchien


So hatte sich Dr. med. Nils Hollenborg das nicht vorgestellt: ein Vorstellungsgespräch in einer Klinik in Den Haag, in dem der künftige Chef den Kaffee bringt, nur wenige Fragen bezüglich der Qualifikation gestellt werden, er als Bewerber hoffnungslos „overdressed“ ist und man zwanglos über Arbeitsbedingungen, das Wohnen an der Nordsee und Sinn und Unsinn der Elektrokonvulsivtherapie diskutiert. Die Tatsache, dass niederländische Sprachkenntnisse gänzlich fehlten und auch die Englischkenntnisse nicht an die seiner Gesprächspartner heranreichten, tat dem Ganzen keinen Abbruch. Hollenborg bekam den Job. Seit drei Jahren praktiziert der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in der gerontologisch-psychiatrischen Küstenklinik, wo er für ältere Patienten zuständig ist.
Dass er kein Niederländisch sprach, sei kein Problem gewesen, erklärt der 37-Jährige. Nach nur zwei Wochen eines vom Arbeitgeber bezahlten Intensivsprachkurses, habe er die sprachlichen Grundlagen gehabt, um sich in seiner neuen Arbeitswelt zurechtzufinden. Und es sollte noch besser kommen: Ein Jahr nach Aufnahme seiner Tätigkeit, bekam auch seine Frau, die sich bis dahin um die Versorgung und Eingliederung der Kinder gekümmert hatte, eine Stelle als Psychiaterin für chronisch Kranke bei demselben Arbeitgeber. Die beiden sind kein Einzelfall: 2007 gingen bereits 584 Deutsche einer Arzttätigkeit in den Niederlanden nach – und der Trend hält an.
Während in Deutschland noch laut darüber nachgedacht wird, wie der Ärztemangel zu beheben sei, freut sich das Nachbarland über den Zuwachs. Das Königreich hat sich einiges einfallen lassen, um Ärzte zu rekrutieren. So gaben nicht nur die guten Möglichkeiten, in Teilzeit zu arbeiten, den Ausschlag für Hollenborg, in die Niederlande zu gehen. Auch das relativ hohe Gehalt*, ein tariflich festgesetztes Fortbildungsbudget und die Zugeständnisse, die Arbeitgeber zu machen bereit sind, lockten ihn. Bei der Suche helfen Personaldienstleister wie ABC-Medica, die sich als einzige Agentur darauf spezialisiert hat, deutsche Ärzte für die Psychiatrie in den Niederlanden zu vermitteln.
„Wir haben mit unserer Vermittlung eindeutig ins Schwarze getroffen“, sagt Agenturchef Kees van Dam. Die große Unsicherheit bei den deutschen Ärzten bezüglich künftiger Stellenstreichungen und Sparmaßnahmen sei allerorten spürbar. Aber auch die Abhängigkeit vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung und die Unzufriedenheit bei der persönlichen Karriereplanung würden immer wieder thematisiert. Viele Fachärzte seien auch nach der Weiterbildung noch als Assistenzarzt beschäftigt. „In Holland ist das unmöglich“, so van Dam. Dort arbeiteten die Psychiater gleichberechtigt mit anderen Fachärzten zusammen. „Die Leute in Deutschland haben schlichtweg die Nase voll von der Hierarchie in den Krankenhäusern“, schlussfolgert van Dam.
Dass sich die Niederländer so ins Zeug legen und in Deutschland Ärzte akquirieren, hat seinen Grund: Dem Land fehlen rund 300 Ärzte in der Psychiatrie (Quelle: Arbeidsmarktmonitor Medisch Contact). Nach einer im Sommer 2008 durchgeführten Umfrage des Internetportals von Nova-TV in 20 Einrichtungen sind Psychiater demnach aktuell die am meisten gesuchten Fachärzte. „Ausländische Psychiater, junge, unerfahrene Ärzte und teure Interimspsychiater füllen die gröbsten Lücken“, resümiert der Sender.
Von Köln nach Venlo sind es nur 85 Kilometer. Leonie Becker pendelt täglich zu ihrer Arbeitsstätte. Fotos: Cornelia Ganitta
„Auch in den Niederlanden gibt es einen großen Mangel an Fachärzten“, berichtet Becker, „aber man geht anders damit um.“ In Deutschland müssten die vorhandenen Ärzte die fehlenden ersetzen, indem sie einfach mehr arbeiteten. In den Niederlanden herrsche hingegen der Gedanke vor, dass man für die vorhandenen Ärzte sorgen müsse, um diese nicht zu vergraulen. Das gilt auch für ausländische Ärzte – oder gerade für diese. Das „Sorgetragen“ beginnt bereits bei der Vermittlung, die ABC-Medica auf Kosten des neuen Arbeitgebers betreibt. „Kees van Dam hat mich auf das erste Bewerbungsgespräch gut vorbereitet. Außerdem hat er mich über landesspezifische Besonderheiten aufgeklärt – etwa darüber, dass man in den Niederlanden im ersten Gespräch nicht über Geld spricht“, erinnert sich die Kölnerin.
Für ihren Berufseinstieg im Nachbarland benötigte die 42-Jährige diverse Qualifikationsnachweise, die Arztregistrierung in den Niederlanden, eine Sozialversicherungsnummer sowie die Mitgliedschaft in einer Krankenkasse. Auf ihre Steuer erhält die gesuchte Spezialistin eine 30-prozentige Ermäßigung für die Dauer von zehn Jahren. Die Probezeit für den Jahresvertrag beträgt einen Monat. Jahresvertrag? „Ja, erst nach Ablauf eines Jahres bekomme ich einen unbefristeten Vertrag“, sagt Becker, „dies ist eine auf ein Drittel aller Stellen angewandte Praxis in den Niederlanden und nicht nur auf Ausländer bezogen.“
Ihre beruflichen Perspektiven beurteilt die deutsche Ärztin positiv: „In den Niederlanden habe ich eindeutig bessere Entwicklungsmöglichkeiten. In Deutschland sollte ich für einen Radiologieschein rund die Hälfte selbst bezahlen, bei meiner neuen Stelle wurde mir nach nur zwei Monaten schon eine zweijährige, 20 000 Euro teure Fortbildung zur Suchtmedizinerin angeboten – auf Kosten des Hauses.“
Relaxen am Nordseestrand – Axel Metzger fühlt sich wohl in den Niederlanden.
Cornelia Ganitta
*Ein Psychiater verdient abhängig von der Dauer seiner bisherigen Facharzttätigkeit zwischen 4 550 und 8 000 Euro brutto im Monat, plus Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
Hellwege, Peter
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