STATUS
Abwanderung von Ärzten ins Ausland: Psychosoziale Belastungen werden zu wenig thematisiert


Muster G (Gesundheit): hohes, aber
nicht exzessives Arbeitsengagement, hohe
Widerstandsfähigkeit und ausgeprägt
positives Lebensgefühl
Verstärkt rückt ein Phänomen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit: der zunehmende Trend zur Abwanderung von Ärzten ins Ausland. Im Jahr 2008 haben 2 439 Ärzte dem deutschen Gesundheitswesen den Rücken gekehrt und eine dauerhafte Beschäftigung im europäischen oder internationalen Raum gesucht. Der damit verbundene Aderlass trägt zu Engpässen in der Nachbesetzung von vakanten Arztstellen bei – besonders im ländlichen Raum und in den neuen Bundesländern. Symptomatisch stellt sich die sprunghaft gestiegene Zahl der Stellenausschreibungen im Deutschen Ärzteblatt dar. Bis zu 5 000 Stellen in Deutschland können aktuell in der Klinik nicht besetzt werden. Ohne die Kompensation vor allem aus den neuen osteuropäischen Mitgliedsländern der EU wäre diese Entwicklung noch dramatischer.
Muster S
(Schutz/Schonung):
verringertes berufliches
Engagement – aufgrund
geringen Ehrgeizes und
Engagements sowie Bestätigung
in anderen Lebensbereichen
(Schonung)
oder wegen beginnender
Überlastung und
Resignation (Schutz)
In der berufspolitischen Diskussion über die Ursachen dieser Entwicklung werden vorrangig Arbeitszeiten und Entlohnung thematisiert. Psychosoziale Belastungen und Verletzlichkeit der Ärzte selbst werden in der Ursachenanalyse bislang wenig berücksichtigt.
Risikomuster A (Selbstüberforderung):
überhohes Arbeitsengagement,
niedrige Widerstandsfähigkeit und eingeschränkte
Zufriedenheit
Risikomuster B
(Burn-out): geringes
Arbeitsengagement,
hoch resignativ
bei geringer Widerstandsfähigkeit
und sehr geringer
Zufriedenheit
Es ist nahe liegend, dass die sich in den Studienergebnissen abzeichnenden psychosozialen Belastungen und das hieraus resultierende eingeschränkte berufliche Wohlbefinden dazu beitragen, dass viele Ärztinnen und Ärzte ihre beruflichen Chancen eher im Ausland suchen. Dies wird auch durch ein vom Bundesministerium für Gesundheit in Auftrag gegebenes Gutachten bestätigt. Zu den wichtigsten Gründen für eine Abwanderung ins Ausland gehören demnach die fehlende Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit und ein schlechtes Betriebsklima durch Hierarchie sowie eine fehlende fachliche Betreuung im Krankenhaus.
Dieser Hinweis sollte ernst genommen werden, denn im Unterschied zu angloamerikanischen Ländern hat die Sorge um die Arbeitszufriedenheit und Gesundheit der Ärzte in Deutschland wenig Tradition. Die US-amerikanische und die kanadische Ärztegesellschaft etwa veranstalten seit Mitte der 70er-Jahre internationale Fachkongresse zum Thema Ärztegesundheit. Vertreter der kanadischen Ärztegesellschaft argumentieren eindringlich, dass sie sich angesichts gewaltiger Versorgungslücken im wenig besiedelten Hinterland den Verlust von Ärzten durch Überlastung nicht leisten könnten. Auch die britische Ärztegesellschaft schloss sich in diesem Jahr der Veranstaltungsreihe an und richtete die Konferenz in London aus. Neben Teilnehmern aus den USA, Kanada und Großbritannien kamen große Delegationen aus Spanien und Skandinavien bis hin zu Australien und Neuseeland. Deutsche Teilnehmer sind nur vereinzelt auf diesen Konferenzen vertreten.
Gesundheitsförderung für Ärzte sollte aber nicht erst in der Berufstätigkeit ansetzen. Bereits im Studium müssen die Studierenden für die beruflichen Anforderungen sensibilisiert und Strategien zum erfolgreichen Umgang mit beruflichen Belastungen vermittelt werden. Dazu gehören strukturelle Ansätze, wie Mentorenprogramme und die Integration in curriculare Angebote wie Pflicht-, Querschnitt- oder Wahlpflichtfächer, in denen Maßnahmen der verhältnisbezogenen Prävention und individuellen Gesundheitsförderung gelehrt und praktisch erprobt werden. Modelle hierfür werden etwa an den Medizinischen Fakultäten in Freiburg, Gießen oder Lübeck mit Erfolg umgesetzt.
Es scheint an der Zeit zu sein, den Mythos der eigenen Unverletzlichkeit hinter sich zu lassen und aktiv daran zu arbeiten, dass die Ausbildung und Berufsausübung von Ärzten in Deutschland wieder gesundheitsgerechter praktiziert werden kann. Das trüge dazu bei, die Attraktivität des Arbeitsstandorts Deutschland zu erhöhen und wieder mehr Ärzte in der kurativen Tätigkeit zu halten. Darüber hinaus käme dies der Qualität der Patientenversorgung zugute.
Dr. med. Edgar Voltmer,
Theologische Hochschule Friedensau
Prof. Dr. med. Claudia Spahn, Hochschule
für Musik und Medizinische Fakultät
der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Prof. Dr. med. Jürgen Westermann, Medizinische Fakultät der Universität zu Lübeck
* Schaarschmidt U, Fischer AW: Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster AVEM. 2. überarbeitete Auflage ed. Frankfurt a. M.: Swets & Zeitlinger 2003
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