POLITIK
Integration Ausländischer Ärzte: Neben sprachlichen gibt es auch kulturelle Hürden


„Sie sind ja Ausländerin!“
Magdalini
Krommyda hat gelernt,
mit solchen
Aussagen konstruktiv
umzugehen und
die Sorgen der Patienten
zu thematisieren.
Fotos: Ulrich Loeper
Die 67-jährige Patientin ist verwirrt und macht sich Sorgen. Ein Schlaganfall: Warum ich? Was wird nun aus mir? Die Frau sitzt am Tisch ihres Krankenhauszimmers und wartet auf ihren Arzt. Vor ihr steht eine Schnabeltasse. Sie hat so viele Fragen. Endlich öffnet sich die Tür. Herein kommt eine Ärztin: lange dunkle Haare, jung, ein freundliches Lächeln. „Magdalini Krommyda“ steht auf ihrem Namensschild – das klingt nicht gerade deutsch. Zahlreiche Fragen schießen der Patientin durch den Kopf: Wo kommt die Ärztin her? Kennt sie sich wirklich aus? Und vor allem: Wie gut spricht die Frau meine Sprache? „Sie sind ja Ausländerin!“, platzt es aus der Patientin heraus. Die Ärztin behält die Ruhe. „Das hört sich jetzt so an, als wenn Sie sich deswegen Sorgen machen“, antwortet sie besonnen – und mit eindeutig griechischem Akzent: „Das brauchen Sie aber nicht. Ich verstehe Sie sehr gut und frage nach, wenn dies einmal nicht der Fall sein sollte. Bitte vertrauen Sie mir.“ Das Eis ist gebrochen. Ein Lächeln huscht über das Gesicht der Patientin. Das eigentliche Arzt-Patienten-Gespräch kann beginnen.
Situationen wie diese hat die griechische Ärztin in Rollenspielen geübt. „Noch vor ein paar Wochen hätte ich gedacht, die Frau mag wohl keine Ausländer, und ich hätte vielleicht sogar eine unfreundliche Antwort gegeben“, sagt Krommyda im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. Inzwischen thematisiert sie solche Sorgen und Ängste ihrer Patienten bewusst – wenn sie das Gefühl hat, dass die jeweilige Situation es erfordert.
Krommyda ist Assistenzärztin in der Neurologischen Klinik des Allgemeinen Krankenhauses (AKH) Celle. Das AKH Celle nimmt als erstes Krankenhaus die Dienstleistungen von „KomMedikus“ in Anspruch. Die Agentur ist neu auf dem Markt und bietet eine Fortbildung zur sprachlichen und sozialen Integration von ausländischen Ärztinnen und Ärzten in deutschen Krankenhäusern an. Diese startet mit einem zweitägigen Workshop, dessen Inhalt sich stark an den Bedürfnissen des jeweiligen Krankenhauses orientiert. Fester Bestandteil ist eine Analyse der individuellen Probleme der teilnehmenden Ärzte. Per E-Learning erfolgt anschließend eine mehrwöchige Phase der Übung und der Wiederholung. Den Abschluss bildet wiederum ein zweitägiger Workshop, der auch eine Abschlussprüfung beinhaltet. Alle Übungen lehnen sich an Inhalten aus dem deutschen Gesundheitswesen an. So lernen die ausländischen Ärzte nicht nur korrekt zu sprechen und zu schreiben, sondern erhalten Einblicke in das hiesige System der Krankenversicherung.
Ausführliche
Aufklärung: Oana-
Roxana Funke erläutert
einem Patienten,
welche radiologischen
Untersuchungen
ihn erwarten. Die
Information der Patienten
nimmt sehr
viel mehr Zeit in Anspruch
als in ihrer
Heimat Rumänien.
Die Integration ausländischer Ärztinnen und Ärzte in den deutschen Krankenhäusern ist in vielen Fällen eher ein kulturelles als ein sprachliches Problem. „Beispielsweise sind es Ärztinnen und Ärzte aus Russland gewohnt, Tacheles mit ihren Patienten zu reden“, berichtet KomMedikus-Gründerin Angelovski. „Die sagen, was Sache ist, und das ziemlich direkt.“ Diese Art stoße bei den deutschen Patienten jedoch immer wieder auf Widerstand, „weil das hier einfach nicht üblich ist“. Deutsche Patienten seien es vielmehr gewohnt, sehr behütet und langsam an eine schlimme Diagnose herangeführt zu werden. „Wenn ein Patient mit einem Raucherbein aber von einer russischen Ärztin ohne Vorwarnung zu hören bekommt: ,Das Bein muss ab‘, dann fällt der aus allen Wolken“, sagt Angelovski, deren Vater aus Mazedonien stammt. In Rumänien hingegen werde eine schlimme Krankheit dem Patienten aus Rücksicht auf seine Gefühle meist gar nicht persönlich mitgeteilt, sondern einem nahen Angehörigen, ergänzt die rumänische Radiologin Oana-Roxana Funke. Kulturell bedingte Probleme gebe es aber nicht nur zwischen Arzt und Patient, sondern auch unter den Ärzten, erläutert Funke: „Ich weiß beispielsweise oft nicht, wie offen und persönlich ich mit meinen Kollegen umgehen darf. Was ist hier üblich?“ Eben solche Fragen würden im Integrationskurs immer wieder aufgegriffen und in Rollenspielen vertieft.
Ein weiteres Thema des Kurses sind die vielen gerade für Ärzte missverständlichen Redewendungen im Deutschen: „Die deutsche Sprache strotzt vor seltsamen Vergleichen“, sagt Angelovski. Bei Patienten, denen „etwas auf den Magen geschlagen ist“, denen „der Schrecken in die Glieder fährt“ oder denen „eine Sache unter die Haut geht“, denkt so mancher ausländische Arzt, er müsse ein körperliches Leiden heilen. „Wie soll ich als Ausländer solche Patientenaussagen auch anders verstehen?“, fragt Personalreferent Woecht. Bestes Beispiel sei die Redewendung „da kommt mir aber die Galle hoch“. Wörtlich genommen entstehe da der Eindruck, der Patient müsse sich übergeben – was schlimmstenfalls auf einen Darmverschluss hinweisen könnte. Zudem gebe es manche Krankheiten in anderen Ländern überhaupt nicht, ergänzt Angelovski. Beispielsweise sei die Diagnose „Schleudertrauma“ in Lettland unbekannt. Kommt jetzt ein deutscher Patient nach einem Auffahrunfall in die Unfallchirurgie, so weiß der lettische Arzt nicht, was der Patient von ihm will – „nämlich Halskrause, Röntgenbild und eine entsprechende Bescheinigung für das Schmerzensgeld“ (Angelovski).
Für die leitenden Ärzte sind die mangelnden Deutschkenntnisse ihrer – fachlich qualifizierten – ausländischen Assistenten immer wieder ein Problem: Die defizitären Sprachkenntnisse führen im Arzt-Patienten-Dialog zu mitunter problematischen Missverständnissen, die Korrektur des Schriftverkehrs (vor allem der Arztbriefe) kostet Zeit und Nerven. Sprachkurse sollen in diesen Fällen meist Abhilfe schaffen. Doch kulturelle Besonderheiten oder auch die Frage, wie ein Arztbrief korrekt geschrieben wird, können in solchen Kursen kaum thematisiert werden. Insofern stoße das neue Fortbildungsangebot in eine Marktlücke, meint Personalreferent Woecht. Die beiden ersten Kursteilnehmerinnen sind ebenfalls begeistert – nicht nur von den Inhalten, sondern auch von ihrem Arbeitgeber. Der trägt die Kosten und stellt sie entsprechend frei.
Jens Flintrop
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