POLITIK
Medizin und Recht: Arzt – der durchnormierte Beruf


Foto: iStockphoto [M]
Wenn Ärzte und Juristen miteinander zu tun haben, fällt die Verständigung nicht immer leicht. Bei den 3. Bensberger Rechtsgesprächen, zu denen auf Einladung des nordrhein-westfälischen Justizministeriums, der Ärztekammer Nordrhein und der Ärztekammer Westfalen-Lippe fast 200 Ärzte und Juristen Anfang März nach Bergisch Gladbach gekommen waren, bewies ein Richter des höchsten deutschen Gerichts, dass die Kommunikation gelingen kann. Prof. Dr. iur. Ferdinand Kirchhof, Richter im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts, ging in seinem Vortrag vom ärztlichen Berufsbild aus. Das sei in der öffentlichen Wahrnehmung, aber auch im Selbstverständnis der Berufsangehörigen von der Therapiefunktion des Arztes beherrscht. Dieses traditionelle Berufsbild spiegelt sich in Normen wider: „Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des ganzen Volkes“, heißt es in § 1 der Bundesärzteordnung. „Den Zeitungsleser beschleichen aber Zweifel, ob es nur um Therapie geht, wenn er Schlagzeilen über den Honorarstreit liest oder Werbung für Schönheitsoperationen sieht“, sagte Kirchhof. Der Rechtswissenschaftler hält es für angemessen, vier Berufsfelder des Arztes zu unterscheiden:
1. der Arzt als Heiler, der sich der Wiederherstellung der Gesundheit verschrieben hat
2. der Arzt als Dienstleister, der Wünsche nach einer Verbesserung des Körpers, der Psyche erfüllt
3. der Arzt in der Forschung, der mithilfe von Probanden wissenschaftliche Ergebnisse anstrebt und
4. der Arzt, der post mortem eines Menschen tätig wird, um Gewebe und Organe zu entnehmen.
Der Arzt als Dienstleister:
Wenn Ärzte
tätig werden, um
Menschen schön und
fit zu machen, kann
das nach Ansicht von
Verfassungsrichter
Ferdinand Kirchhof
nicht mehr zur Heilkunde
zählen.
„Die Rechtsprechung hat dem Arzt zahlreiche Sorgfalts- und Dokumentationspflichten auferlegt, die oft übers Ziel hinausschießen“, konstatierte auch Kirchhof. Der Arzt werde so zum Dokumentar seiner eigenen Tätigkeit. Wenn der Arzt in seiner Tätigkeit keinen Weisungen unterliege, sei dies „eigentlich eine klare Norm“. Vor diesem Hintergrund hält der Verfassungsrichter es für problematisch, dass vom Gemeinsamen Bundesausschuss in verpflichtenden Richtlinien bestimmte Verfahren und Methoden ausgeschlossen würden, „von einem Ausschuss, der sicher sorgfältig arbeitet, der aber in seiner demokratischen Legitimation etwas fragwürdig ist“.
Kirchhof benannte klar, dass aufgrund der Budgetierung dem Arzt nur noch eine begrenzte Auswahl an Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehe. Mindestens die Hälfte der rechtlichen Steuerungsinstrumente im Krankenversicherungsrecht, so schätzt der Richter, habe das Ziel, nicht zu viel Geld in das System zu geben. Kirchhof erkennt klar, dass ein Vertragsarzt auch nach der jüngsten Reform mit seinem Regelleistungsvolumen nichts anderes als ein individuelles Budget habe. In der privaten Krankenversicherung (PKV) sei das „etwas gemildert, aber ähnlich“, sagte Kirchhof im Blick auf die Gebührenordnung für Ärzte, was manche Zuhörer erstaunte. Sie hätten gern Klarstellendes zum Rechtsstatus des Privatarztes gehört, der im Unterschied zum Kassenarzt eben keiner Budgetierung unterliegt und auch keinem Kontrahierungszwang. Zustimmung war dem Referenten sicher für seine Feststellung, es sei problematisch, wenn die ökonomische Steuerung plötzlich zum Hauptthema im Gesundheitswesen werde. „Wenn der Patient als Beitragszahler geliebt wird, als kranker Mensch aber nur noch lästig ist, stimmt die Grundausrichtung nicht mehr.“
Dass Ärzte sich Felder suchten, auf denen sie ohne die genannten Beschränkungen tätig werden könnten, hält der Verfassungsrichter für verständlich. Das neue Berufsfeld des „Arztes als Lebenshelfer“ illustrierte Kirchhof mit Patientenbeispielen: der Frau, die sich die Augen lasern lasse, weil ihr eine Brille nicht stehe, oder dem alternden Hobbysportler, der Hilfe vom Arzt erbete, um den Stadtmarathon zu schaffen. Die öffentliche Daseinsvorsorge sei dabei nicht mehr gefragt. Der Arzt bekomme einen Auftrag, für ihn erfreulicherweise entfalle die Bindung an die Vergütungsbegrenzungen in gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und PKV, der Auftraggeber habe genaue Vorstellungen vom Erfolg der ärztlichen Arbeit. Aber ist das überhaupt noch ärztliche Tätigkeit? Unter Heilkunde könne man das nicht mehr fassen, meinte Kirchhof. Er hält es für problematisch, dass es für solche Fälle fast keine rechtlichen Vorgaben gebe. Im Vertragsrecht sei die Grenze erst mit der Sittenwidrigkeit erreicht. Kirchhof hält daher Regeln zum Verbraucherschutz für notwendig.
Überraschende Einigkeit:
Jörg-Dietrich
Hoppes Warnung
vor einer „Defensivmedizin”
als Folge
überzogener rechtlicher
Vorgaben schließen
sich auch Rechtswissenschaftler
an.
Fotos: Michael Rogosch
Prof. Dr. iur. Christian Katzenmeier, Institut für Medizinrecht der Universität zu Köln, schloss sich Hoppes Warnungen vor den Folgen einer übermäßige Reglementierung der ärztlichen Tätigkeit an. „In einer von Paragrafen beherrschten Welt trifft der Arzt Entscheidungen eher nach dem Buchstaben des Gesetzes, denn nach seinem persönlichen Gewissen.“ Negative Rückwirkungen sieht Katzenmeier schon bei der Arzthaftung. Der Arzt, der im Patienten bereits den Gegner im Rechtsverfahren fürchten müsse, werde sich juristisch so weit wie möglich gegen den Vorwurf eines Behandlungsfehlers oder der Aufklärungspflichtverletzung absichern. „So droht aus der verrechtlichten eine defensive Medizin zu werden, die entweder zu wenig tut, weil sie nichts mehr wagt, oder zu viel unternimmt, etwa an diagnostischen Maßnahmen, um sich für alle Fälle zu feien.“ Dieser Wandel, den auch Hoppe befürchtet, vollziehe sich langsam und fast unmerklich.
Katzenmeier befasste sich kritisch mit der eigenen Zunft. Nicht immer brächten die Experten des Rechts Verständnis für die Interessen der Ärzteschaft und die Besonderheiten ihrer Berufsausübung auf. So sei das Problembewusstsein für den Widerstreit zwischen dem Haftungsrecht mit seinem strengen Sorgfaltsmaßstab und dem Sozialgesetzbuch mit seinem Wirtschaftlichkeitsgebot „in den höchsten deutschen Gerichten kaum ausgeprägt“. Dies führt er auf die Trennung der zivil- und sozialrechtlichen Rechtsprechung zurück. Katzenmeier regte an, die Richter am Bundessozialgericht und am Bundesgerichtshof sollten sich zusammensetzen, um das Spannungsverhältnis für den einzelnen Arzt erträglich zu machen. Dazu passt der in der Diskussion geäußerte Wunsch von Dr. med. Dieter Mitrenga, dem Ärztlichen Direktor des Krankenhauses der Augustinerinnen in Köln: „Es wäre gut, wenn Juristen mehr darüber wüssten, wie es in einem Krankenhaus und einer Arztpraxis zugeht.“
Heinz Stüwe
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