SUPPLEMENT: Reisemagazin
Neuseeland: Mitten durchs Herz
Dtsch Arztebl 2009; 106(14): [7]


Unterwegs im „Overlander“: auf 650 Kilometern feinste optische Leckerbissen. Fotos: Tranz Scenic
Einfach nur Stress? Weit gefehlt, denn hier wird Zugfahren zelebriert. Man fühlt sich in eine Zeit zurückversetzt, als die Reise noch das Ziel war. Höchst ausführlich beschreibt der Zugbegleiter den Reiseverlauf, flachst herum, kümmert sich um die Gäste. „Es ist wie vor einer großen Premiere im Theater“, kommentiert eine junge Britin treffend. Die Fenster sind ausladend groß, die Sitze gut gepolstert, und die Beinfreiheit kann mit jedem Konzertsaal konkurrieren.
Grüne Hügel,Wiesen, weidende Schafe: ein Ausschnitt aus dem Panorama, das der „Overlander“ durchquert
„Soeben überqueren wir den Manawatu River“, tönt es aus dem Lautsprecher. „Der Fluss ist einzigartig unter den Flüssen Neuseelands“, heißt es. Er entspringt auf der Ostseite der die Insel teilenden Gebirgszüge und mündet auf der Westseite. Bei der Manawatu Gorge hat er das Gebirge durchbrochen. Eilig huschen einige Passagiere durch zwei weitere Abteilwagen, ihr Ziel ist die „viewing platform“ – der beste Platz für Fotofans. Gar nicht so einfach, denn für das Überqueren der Waggonverbindungen braucht man gutes Stehvermögen, und auf der Aussichtsplattform selbst ist nur für sechs Personen Platz. Spätestens hier macht sich das Wildwestgefühl breit – das Rattern der Gleise ist ohrenbetäubend, und in der Kurve sieht man von der Reling aus, wie sich die Lok am Fuß der Berge entlangkämpft. In Palmerston North, nach etwa 100 Kilometern, hat die Lok ihren Dienst erfüllt und wird gegen eine andere ausgetauscht; Gelegenheit sich auf dem einsamen Bahnhof die Füße zu vertreten.
Kleine Gruppen von Passagieren stehen zusammen, tauschen Reiseerfahrungen aus, geben einander Tipps und Ratschläge. Wie eine globale Reisebörse wirkt die Szenerie. Eine Schweizerin berichtet vom Glacierexpress zwischen Davos und Zermatt, Sally aus Philadelphia erzählt begeistert von ihrer Nepaltour, und Susan aus Südafrika empfiehlt den Desert-Express in Namibia. „Aber hier ist es etwas ganz Besonderes“, resümiert eine Deutsche mit deutlich bayerischem Akzent. „Irgendwie europäisch und doch so anders.“
Wie in einem riesigenWohnzimmer: Die Fahrgäste unterhalten sich prächtig.
Wenige Minuten später ist die Hälfte der Strecke geschafft. An der Nationalpark-Station heißt es: „Time for Lunch.“ Mit Blick auf den Tongariro-Nationalpark und seine Berge wird die Rast bei Sandwich und French Fries zu einem besonderen Erlebnis. „Da genießt man den Anblick der verschneiten Gipfel, und fünf Minuten später sind sie in dicke Wolken gehüllt“, beschreibt eine ältere Frau aus Auckland ihre langjährigen Erfahrungen mit den Wetterkapriolen in dieser Region. Heute ist der Panoramablick tadellos.
Bevor es weitergeht, ein Personalwechsel: Das Zugmikrofon ist eingeschaltet, und die Passagiere werden Zeugen einer turbulenten Unterhaltung zwischen alter und neuer Besatzung. Die Reisenden applaudieren und fordern eine Zugabe: Erst jetzt bemerkt die Crew den Fauxpas. Sie marschiert lächelnd und winkend durch die Waggons und erfreut sich ihres komödiantischen Geschicks.
Nach mehr als sechs Stunden Gleisgeräuschen fallen den Fahrgästen hier und da die Augen zu, nur kurz, denn schon tut sich wieder die nächste spektakuläre Aussicht auf, und die „viewing-platform“ ruft. Nicht immer hat man das richtige Timing – manchmal ist der nächste Tunnel schneller und hat den Overlander wieder verschluckt.
In Taumarunui, das wörtlich übersetzt „großer Schirm“ bedeutet und Schutz vor der Sonne gewähren soll, wie die neue Zugbegleiterin Sarah erklärt, erreicht der Zug das Tor zu Neuseelands größtem Skigebiet am Mount Ruapehu – zugleich Ausgangspunkt für zwei Bahnstrecken mit der Dampflok. Nach Süden hin zum Vulkanplateau am Mount Ruapehu, nach Westen bis nach Stratford und New Plymouth. Gerade einmal 6 500 Einwohner zählt das Städtchen und sieht aus wie die meisten seiner Größe: eine Straße, ein paar einfache Holzbauten, ein Hotel, eine Bank, Pub und Store. Was braucht man mehr?
Waggon Nummer sieben des Overlander gleicht inzwischen einem riesigen Wohnzimmer, querbeet verteilt parlieren und kichern die Fahrgäste aus aller Welt, das Bistro versorgt sie großzügig mit warmen Speisen und Getränken, Sarah informiert ausführlich über wichtige Details der Reise. Etwa über Tekuiti, das alte Goldgräberstädtchen und heutige Zentrum für Schafscherer, und darüber, dass der Zug von Hamilton aus am Waikato River entlangfährt, dem mit 425 Kilometern längsten Fluss Neuseelands.
Hinter Hamilton erstreckt sich flaches Weideland soweit das Auge reicht, Schaffarmen liegen verstreut entlang der Zugstrecke, grasende Schafe erschrecken und preschen auseinander. Bei Papakura, dem letzten Stopp, verabschiedet sich die Sonne als treue Begleiterin und hinterlässt einen roten Horizont. Kurze Zeit später blinkt die Spitze des Skytowers, Aucklands Wahrzeichen und mit 328 Metern das höchste Gebäude der südlichen Hemisphäre. Hier endet eine unvergessliche Reise mit garantiert neuen Freundschaften aus aller Welt. Markus Howest
Informationen: www.tranzscenic.co.nz
Weitere Zughighlights:
Der TranzAlpine fährt zwischen Christchurch und Greymouth auf der Südinsel vom Pazifik bis zur Tasmansee an der Westküste. Er braucht für die 224 Kilometer Strecke 4,5 Stunden Fahrzeit. Start ist täglich um 8.15 Uhr, Preis: 81 NZ-Dollar. Informationen im Internet: www.tranzscenic.co.nz.
Der TranzCoastal fährt täglich einmal in jede Richtung zwischen Christchurch und Picton über Kaikoura. Man sieht die Berge von Kaikoura auf der einen Fensterseite und die raue Pazifikküste auf der anderen. Abfahrt in Christchurch um 7 Uhr, Ankunft um 12.13 Uhr, Kosten für Erwachsene circa 89 NZ-Dollar. Informationen im Internet: www.tranzscenic.co.nz.
Der Kingston Flyer ist die einzige regelmäßig verkehrende Dampflok, die auf einer restaurierten 14 Kilometer langen Strecke zwischen Kingston und Fairlight auf der Südinsel pendelt. Zwischen Oktober und April fährt der Zug zweimal täglich. Informationen im Internet: www.kingstonflyer.co.nz.
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