SUPPLEMENT: Reisemagazin
Ukraine: Auf dem Weg nach Odessa
Dtsch Arztebl 2009; 106(14): [20]


Blick auf den Dnjepr bei Kiew, im grauen April. Im Sommer sind seine kleinen Inseln die Oasen der Stadtbewohner. Fotos: Sabine Rieser
Tags zuvor hatten alle noch festen Boden unter den Füßen und Großstadtgetümmel um sich herum. Die Reise auf dem Dnjepr beginnt in Kiew. In ein paar Minuten gelangt man vom Schiffsanleger in „Podil“, der Unterstadt, zur altmodischen Standseilbahn. Die Station mit den Glasmosaiken verströmt den Charme der 1950er-Jahre. Alle paar Minuten fährt die Bahn in die Oberstadt, wo sich die meisten Sehenswürdigkeiten Kiews befinden, darunter das Goldene Tor und die Sophienkathedrale. Schon im Mittelalter war die Stadt berühmt für ihre prächtigen Kirchen. Honoré de Balzac nannte sie „Rom des Nordens“. Die Sakralbauten wurden immer wieder zerstört, nicht zuletzt in der Stalinzeit. Doch die Ukrainer bauten ihre Kirchen unverdrossen wieder im alten Stil auf. Ein herber Kontrast dazu sind Bauwerke der sozialistischen Zeit wie „Mutter Heimat“, eine riesige Frauengestalt mit erhobenen Armen, oder die Metallbögen des „Monuments der Völkerfreundschaft“.
Friedliche Zeiten: der Unabhängigkeitsplatz in Kiew, bekannt seit der orangenen Revolution.
Foto: Visum
Foto: Visum
Überhaupt die Kirchen: Sie scheinen in der Ukraine immer voll zu sein. Nicht nur alte Mütterchen kaufen sich eine dünne Kerze, zünden sie an, schlagen das Kreuz, küssen die Heiligenbilder, wischen sie dann vorsichtig mit ihrem Schal ab und verharren noch eine Weile im Gebet. Auch junge Ukrainerinnen in gerade angesagten Stilettos trippeln herein und küssen die Heiligenbilder.
Schade, dass wir zurückmüssen, aber die „Viking“ wartet nicht. Müde gelaufen freuen sich alle auf das Abendessen. Zuständig sind, wie für alle Mahlzeiten, das Team um den Süddeutschen Armin Rommler und die Ukrainerin Elena Goloburdina. Es gibt internationale Küche mit ukrainischen Einsprengseln, wie zum Beispiel Warenyki, einer Art Maultauschen. Wer mag, kann tagsüber eine Küchenführung machen. Danach weiß man, warum man bei einer Kreuzfahrt wenigstens ein bisschen zunehmen muss: Sollen Herr Rommler und Frau Goloburdina etwa 20 bis 25 Tonnen Fisch und Fleisch oder zwei Tonnen Ost und Gemüse, die sie bevorraten, am Ende der Reise wegwerfen?
Küchenführung, Besuch beim Schiffsarzt oder Stippvisite auf der Kommandobrücke, das sind Angebote für den Bordtag ohne Landgänge. Auf der „Viking Lavrinenko“ kann man komfortabel reisen und wird an Bord wie bei den geführten Landausflügen sehr gut betreut. Aber das Schiff ist keine Aida: Wellnesstempelchen und vielfältige Unterhaltungsangebote sucht man vergebens.
Vor uns liegen noch Abstecher von der Hafenstadt Cherson, wo die Schwarzmeerflotte gegründet wurde, zu den Fischerinseln. Wir steigen auf einen Ausflugsdampfer um und schippern die verzweigten Wasserwege entlang. Noch ist es zu kalt. Aber im Sommer blüht und wächst es hier in den Gärten, die vor den bunten Wochenendhäuschen direkt am Wasser liegen.
Wir orientieren uns täglich neu an Land. Überall könnte man noch länger bleiben, vor allem auf der Halbinsel Krim: In Sevastopol, dem Stützpunkt der Flotte, das sich vom Hafen die Hügel hinaufschiebt und bis in die 1990er-Jahre als militärisches Sperrgebiet gar nicht zu besuchen war. Bei den Ausgrabungen in Chersonessos, einer Siedlung aus dem fünften Jahrhundert vor Christus. Oder in Bachcysaraj, der ehemaligen Hauptstadt der Krimtartaren, deren Khanspalast an die Märchen aus Tausendundeiner Nacht erinnert.
In Jalta, dem immer noch charmanten Badeort mit seiner Strandpromenade, flanieren wir am Meer und steigen die vielen vielen Treppen hinauf und hinab. Zwischen den Krimkiefern liegen unzählige Sanatorien. Manche verfallen, so wie viele schöne alte Holzhäuser, die ihre armen Bewohner nicht renovieren können und die den Neureichen am Ort wertlos erscheinen. Reiseführerin Valentina stammt aus Jalta. Sie schwärmt für ihre Stadt. Auch wenn sie manchmal auf Strom verzichten muss und immer ein bisschen Trinkwasser in Eimern bunkert.
Dann geht es nachts übers Schwarze Meer nach Odessa, das manche früher „Paris des Ostens“ nannten. Odessa war besonders, kosmopolitisch, ein Gemisch der Völker und Kulturen. Noch heute ist die Stadt mit dem klassizistischen Rathaus, der frisch renovierten Oper und den Museen eine Reise wert. Wie die ganze Ukraine. Auf dem Bahnhof in Odessa, in einem ehemaligen Kloster untergebracht, steht ein Zug, der bis nach Berlin fährt. Die Ukraine ist näher, als man denkt – in vieler Hinsicht. Sabine Rieser
Informationen:
Reise: Viking-Flusskreuzfahrten bietet regelmäßig die elftägige Tour von Kiew über Jalta nach Odessa „Auf den Spuren der Kosaken“ an. Ein viertägiger Verlängerungsaufenthalt in Istanbul ist möglich. Weitere Informationen: www.vikingflusskreuzfahrten.de.
Literatur: „Flußkreuzfahrten auf dem Dnepr“: ein Reiseführer, der sich eng an die Route anlehnt. „Kulturschock Ukraine“: eine sachkundige, vielschichtige Einführung in Land und Leute. „Lala“ von Jacek Dehnel: eine Liebeserklärung an eine ukrainische Großmutter und ihr bewegtes Leben (Roman).
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