SUPPLEMENT: Reisemagazin
Die Kunst des Hier und Jetzt: Requiem für eine Buche
Dtsch Arztebl 2009; 106(14): [24]


Zum Abschied spielt der Wind ein Lied auf Ferdinands Buchenorgel.
Ortstermin am Benther Berg bei Hannover. Rosemarie zupft noch. Sie hat drei Pfützen auf einem Waldweg entdeckt. Diese umrahmt sie mit saftig grünen Blättern. „Ich habe Weichziest genommen, das ist so ähnlich wie Brennnessel“, erläutert sie ihr auffälliges Kunstwerk. Dann erzählt sie von den Hunden. Einer hat die Hälfte des Blätterrunds weggetrampelt. Manche Menschen scheinen ähnlich eingestellt zu sein. „Spinnerei“, „Ist das Kunst?“ und „Opas Ameisentheater“ waren die Begriffe, die sie sich während ihrer filigranen Bodenarbeit anhören musste. „Opas Ameisentheater klingt ja noch gut“, meint Wolfgang. Der 52-jährige Garten- und Landschaftsarchitekt leitet mit seinem Kollegen Frank das Seminar zur Landart. Die Runde aus mehr als zehn Teilnehmern steht jetzt auf einem Weg auf dem Benther Berg. Es ist Abschlussbesprechung. Das klingt formell, ist aber ein lauschiger Rundgang durchs Unterholz zu den einzelnen Kunstobjekten, die die Teilnehmer an diesem Wochenende im Wald geschaffen haben. Rosemarie ist als Erste dran. Sie erzählt von ihrer Kindheit, einer Seenlandschaft und ihrem vier Kilometer langen Schulweg auf dem Land. All diese Erinnerungen kamen für sie zurück, als sie diese Pfützen sah. Dann die Blätter, die etwas stinken, wenn man sie zerreibt – das ist ein Gewächs, wie sie es aus ihrem Schrebergarten kennt.
Gestalten aus dem, was vor Ort wächst oder herumliegt: Seminarleiter Wolfgang Buntrock (vorn) berät einen Künstler.
Frank Nordiek und Wolfgang Buntrock sind zwei aufstrebende Experten mit ihrem Landart-Atelier in Hannover. Sie haben an vielen internationalen Wettbewerben teilgenommen. „Wir setzen Starenkästen in den Niederlanden, bauen Schwengelpumpen im Fläming in Brandenburg und haben vergangenes Jahr zum Thema Traktoren in Österreich eine Wahnsinnsinstallation gehabt“, freut sich Frank.
Rosemaries Pfützen sind irgendwann weggetrocknet. Sie legt in den äußeren Ring kleinere Blätter. Es ist eine fast meditative Arbeit, eine, bei der man alles um sich herum vergisst. Fallen lassen in das, was die Natur einem vorgibt, ohne Zeitdruck auf die innere Stimme hören, auf die Intuition. Das alles wird so oft verschüttet im Alltag. Hier blüht es auf und wird belohnt durch den Zuspruch der anderen.
„Öffne dich der Ausstrahlung eines Ortes“: Rosemarie zupft Weichziest zu einem Pfützenprojekt. Fotos: Knut Diers
„Entdecke das Besondere des Ortes“, hatte Frank den Teilnehmern mit auf den Waldweg gegeben. „Öffne dich der Ausstrahlung eines Ortes.“ Die Besonderheit der Landschaft muss in einem zentralen Punkt aufgegriffen werden, dann ist es eine gute Installation. Jetzt schlägt er mit einem Holz gegen die 20 Pendel und spielt das Lied, das sonst der Wind spielt: „Die Waldarbeiter werden sich wundern.“
Sicher, fast jeder schießt Fotos von seinem Kunstwerk. Ansonsten wissen alle: Die Werke sind vergänglich, und das sehr schnell. Rosemaries Blätter lagen am Abend schon nicht mehr in der Ordnung, die sie vorgegeben hatte. Ferdinands Buchenorgel wird spätestens von den Waldarbeitern zum Schweigen gebracht, die den Stamm zerschneiden. „Das macht nichts“, sagt eine andere Teilnehmerin, „wir leben heute, für diesen Moment, bei der Landart sind wir für Stunden ein Glied in der Natur. Es ist die Kunst des Hier und Jetzt. Da spürst du die Kraft.“ Knut Diers
Informationen: Seminare zur Landart findet man im Internet unter www.landart.de. Die Künstler Wolfgang Buntrock und Frank Nordiek sind unter der Telefonnummer 01 79/4 73 15 95 zu erreichen.
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