KULTUR
Vincent van Gogh: Zwischen Kreativität und Krankheit


Selbstporträt von Dezember 1887.
Foto: Kunstmuseum Basel, Martin P. Bühler
Foto: Kunstmuseum Basel, Martin P. Bühler
Tiefen Seelenfrieden soll er empfunden haben, als er im Herbst 1889 im Garten der psychiatrischen Klinik Saint-Paul-de-Mausole im südfranzösischen Saint-Rémy die riesigen Pinien, grünen Zypressen und das wuchernde Unkraut malte. Das Landschaftsgemälde mit dem Titel „Der Park der Klinik Saint-Paul“ befand sich die letzten 46 Jahre in Schweizer Privatbesitz und war in dieser Zeit bis auf wenige Ausnahmen den Blicken der Öffentlichkeit entzogen. Umso größer die Sensation, als es von der Londoner Galerie Dickinson auf der diesjährigen Kunstmesse „Tefaf“ für 25 Millionen Euro angeboten wurde. „Wir sind sehr glücklich, dass wir das Bild, bedingt durch einen Erbschaftsfall in der Eigentümerfamilie, präsentieren können“, sagt Emma Ward, Direktorin bei Dickinson London. „Die Farben und die Malweise sind sehr charakteristisch für van Goghs leidenschaftlichen und expressiven Stil in der Spätphase seines kurzen Lebens.“
Solange das Gemälde noch nicht verkauft ist, ist unklar, ob es in Zukunft in einem großen Museum hängen wird oder aber wieder im Tresor eines Privatsammlers verschwindet. Viele große Werke aus dieser besonderen Schaffensperiode van Goghs dagegen sind derzeit in zwei grandiosen Ausstellungen in Amsterdam und Basel zu sehen (Kasten „Ausstellungen“): Während sich das niederländische Van Gogh Museum noch bis zum 7. Juni der Faszination des Künstlers für den Abend und die Nacht widmet, präsentiert das Baseler Kunstmuseum ab dem 26. April eine spektakuläre Gesamtschau der Landschaftsbilder.
Seine typischen, in kleinen Strichen nebeneinandergesetzten Farben begann van Gogh ab 1889 zu rhythmisieren und in Wellenlinien oder Spiralen anzuordnen. Dabei ging es ihm weniger um die Wiedergabe der Wirklichkeit, als darum, das Charakteristische seiner Motive und die durch sie ausgelösten Gefühle zum Ausdruck zu bringen. So sind die geballten Farblinien und züngelnden, schlangenartigen Pflanzendarstellungen in „Der Park der Klinik Saint-Paul“ auch Symbol seiner seelischen Verfassung.
„Der Park der Klinik Saint-Paul“: Während seines selbst verordneten Aufenthalts in der Nervenheilanstalt von Saint-Rémy schuf van Gogh die außergewöhnliche Komposition. Foto: Dickinson, London/New York
Theo erkannte – lange vor der Öffentlichkeit und Fachwelt – die außerordentliche Ausdruckskraft in den Gemälden und schrieb an den Bruder: „Da ist eine Kraft in den Farben, die Du niemals zuvor erreicht hast . . ., aber wie hat Dein Gehirn dies geschafft, und wie bist Du an die Grenzen gegangen, denen das Schwindelgefühl innewohnt.“
Der persönliche Preis für van Gogh war in der Tat immens. Zahlreiche Spekulationen ranken sich um seine Krankheitsgeschichte, die im dritten Lebensjahrzehnt einsetzte: Von Epilepsie über Schizophrenie bis zur Menière-Erkrankung, von der bipolaren Störung über eine Angst-Glücks-Psychose bis hin zur Syphilis stellten Ärzte und Psychologen zu Lebzeiten und posthum verschiedenste Diagnosen. Einige Wissenschaftler führen van Goghs psychopathologische Symptome, wie Halluzinationen und Bewusstseinstörungen, aber auch seine weniger bekannten gastrointestinalen Beschwerden auf seinen intensiven Absinthkonsum in Verbindung mit langjähriger Mangelernährung zurück (DÄ, Heft 42/2001, „Absinth – Neue Mode, alte Probleme“).
Depressive und manische Phasen zeigten sich bereits, als der Maler im Februar 1888 – angelockt von den hellen Farben und der Wärme des Südens – von Paris ins südfranzösische Arles übersiedelte. Seinen Traum, dort eine Künstlergemeinschaft zu gründen, kann er nicht verwirklichen. Nur Gauguin leistet der Einladung Folge. Doch zwischen dem exaltierten Künstler und dem nervlich angeschlagenen van Gogh kommt es ständig zu Auseinandersetzungen und schließlich zum Eklat: Nach einem Streit in der Nacht des 23. Dezember schneidet sich van Gogh in einem Anfall einen Teil seines linken Ohrs ab. Der „Fou roux“ wird auf Geheiß von Nachbarn in einer Klinik interniert. Spätestens dann muss van Gogh das Ausmaß seiner Unberechenbarkeit bewusst geworden sein: Auf eigenen Wunsch lässt er sich nun in der Klinik Saint-Paul aufnehmen.
Foto: The Metropolitan Museum of Art
Noch in Saint-Rémy, circa vier Monate vor seinem Tod, sandte van Gogh den „Park der Klinik“ mit einem Konvolut von Bildern nach Paris zu Theo – auch als Dank für die fortwährende finanzielle Unterstützung, die dieser ihm gewährte. Die anerkennende Rezeption des Gemäldes zunächst in der Kunstwelt und den späteren Ruhm sollte er nicht mehr erleben.
Am 8. Oktober 1889 bezieht er sich im Brief an Theo auf das Gemälde, als er „zwei Ansichten des Parks der Anstalt“ erwähnt, die er „sehr erfreulich“ findet. Überhaupt spiegelt das Schreiben sein Wohlbefinden in dieser Phase: „Was mich betrifft, geht es mir zurzeit sehr gut . . . Aber während der Anfälle ist es schrecklich – dann verliere ich völlig das Bewusstsein. Aber das treibt mich an zu Arbeit und Ernsthaftigkeit, wie im Bergwerk ein Grubenarbeiter, der ständig in Gefahr und deshalb immer in Eile ist.“
Sabine Schuchart
* Vincent van Gogh am 7. oder 8. September 1889 in Saint-Rémy, Brief an den Bruder Theo.
Literatur (Neuerscheinung):
Gunnar Decker: “Vincent van Gogh – Pilgerreise zur Sonne. Biografie”, Matthes & Seitz Berlin, März 2009.
Biografie
30. März 1853: Vincent van Gogh kommt bei Breda als Sohn eines protestantischen Pfarrers zur Welt.
Ab Juli 1869: Anstellung bei der Galerie Goupil & Cie. zunächst in Den Haag, dann London und später Paris.
Ab Juli 1876: Jobs als Hilfslehrer und Hilfsprediger; Theologiestudien.
August 1879: Van Gogh beginnt, intensiv zu zeichnen; der Bruder Theo unterstützt ihn von nun an finanziell.
Herbst 1880: Der 27-jährige Vincent beschließt, Maler zu werden.
Ab Februar 1888: Aufenthalt in Südfrankreich; hochproduktives Spätwerk.
8. Mai 1889: Nach wiederholten schweren Krisen und Ohnmachtsanfällen lässt sich van Gogh in der Nervenklinik von Saint-Rémy aufnehmen.
27. Juli 1890: Van Gogh schießt auf sich selbst und erliegt zwei Tage später den Verletzungen.
Ausstellungen
BASEL
26. April bis 27. September:
Zwischen Erde und Himmel:
Die Landschaften
70 Gemälde – im Kontext mit rund 40 Meisterwerken von Zeitgenossen – bieten Einblick in Vincent van Goghs Auseinandersetzung mit der Natur. Foto: „Zypressen“ – das Bild malte er Ende Juni 1889 in Saint-Rémy.
Kunstmuseum, St. Alban-Graben 16, Di.–So. 9–19, für Gruppen bis 22 Uhr, auch Pfingstmontag (1.6.)
Amsterdam
Bis 7. Juni:
Van Gogh: Die Farben der Nacht
Mit der Nacht verband der Künstler Geborgenheit und Poesie. Œuvres wie „Die Sternennacht“ zeigen, wie sensibel er die zu dieser Zeit herrschenden Stimmungen ausdrückte.
Van Gogh Museum, Paulus Potterstraat 7, tgl. 10–18, Fr. 10–22 Uhr
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.