POLITIK
115. Hauptversammlung des Marburger Bundes: Ganz Deutschland soll orange werden
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Rudolf Henke schwant nichts Gutes: „Das nächste Jahr wird ein ganz bitteres für die Krankenhäuser“, prognostizierte der Vorsitzende des Marburger Bundes (MB) zum Auftakt der 115. MB-Hauptversammlung am 16. Mai in Niedernhausen. Wegen der Konjunkturprogramme der Bundesregierung sei die Finanzausstattung der Kliniken trotz Wirtschaftskrise aktuell noch recht gut: „Aber spätestens nach der Bundestagswahl im September wird die Politik die alten, keinesfalls innovativen Vorschläge zur Kostendämpfung aus der Schublade holen.“ Rückläufige Beitragseinnahmen der Krankenkassen und sinkende Steuereinnahmen von Bund und Ländern würden dann auch in den Krankenhäusern Spuren hinterlassen, sagte Henke voraus. Leidtragende seien einerseits die Patienten, deren Versorgung sich verschlechtere, aber auch die Ärztinnen und Ärzte, auf die eine weitere Arbeitsverdichtung in den Kliniken zukomme.
Auch angestellte
Ärzte gehörten den
freien Berufen an,
unterstrich Rudolf
Henke. Dies werde
in der öffentlichen
Diskussion oft
falsch dargestellt. Foto:Wolfgang Kühner
Dankbar ist die Ärztegewerkschaft dem Europäischen Parlament. Dieses habe soeben verhindert, dass die Ärzte in den Kliniken wieder Marathondienste mit Gefährdungen für Patienten und Ärzte hätten leisten müssen. Zur Erinnerung: Der Versuch des Europäischen Rates, die EU-Arbeitszeitrichtlinie zu ändern und Bereitschaftsdienste in aktive und inaktive Phasen zu unterteilen (wobei nur die aktiven als Arbeitszeit gelten sollten), war vor einigen Wochen am Widerstand der Europaabgeordneten gescheitert. „Das Europäische Parlament hat einen sozialpolitischen Rückschritt verhindert“, konstatieren die 204 Delegierten in einer Entschließung. „Aber machen wir uns nichts vor“, warnte Henke, „spätestens, wenn der ökonomische Druck auf die Krankenhäuser im nächsten Jahr zunimmt, wird es einen neuen Vorstoß der jetzt Düpierten für eine Änderung der Arbeitszeitrichtlinie geben.“
Für künftige Tarifrunden setzten die Delegierten neue Schwerpunkte: Ziel soll es sein, verstärkt auf eine bessere Entlohnung von Überstunden, Nachtarbeitszeiten sowie Arbeiten an Wochenenden und Feiertagen zu drängen. So seien Zeitzuschläge für Nachtarbeit von gerade einmal 1,28 Euro je Stunde unhaltbar.
Viel Zeit widmete die Hauptversammlung auch der Verbesserung der ärztlichen Weiterbildung. Die jetzt startende Evaluation der ärztlichen Weiterbildung durch die Landesärztekammern sei extrem wichtig. Hintergrund: Eine Befragung von Weiterbildern und Assistenzärzten soll dazu dienen, Stärken und Schwächen des Systems zu erfassen. Denn: „Das einzige, was wir derzeit wissen, ist, dass wir nichts wissen“, erklärte Hans-Albert Gehle, beim MB zuständig für Weiterbildungsfragen. Eine zentrale Rolle spielen bei dem Projekt die Weiterbilder. Aus deren Händen erhalten die Assistenten ihre Zugangscodes, mit deren Hilfe sie sich an der Online-Befragung beteiligen können. Jeder Weiterbilder sei verpflichtet, sich an der Befragung zu beteiligen, betonen die Delegierten. Den ärztlichen Nachwuchs fordert die Versammlung auf, die Codes zur Evaluierung aktiv einzufordern.
Entwicklungen, die die Freiberuflichkeit aushöhlen, lehnt der MB ab. Der von manchen Klinikträgern propagierte Vorrang der Kosten vor der Therapie dürfe keinen Einfluss auf ärztliches Handeln gewinnen. Auch angestellte Ärzte seien Angehörige der freien Berufe, erklären die Delegierten. Dies werde in der öffentlichen Diskussion teilweise falsch dargestellt. Im Zweifel sei das Wohl des Patienten immer wichtiger als wirtschaftliche Interessen.
Jens Flintrop, Heike Korzilius
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