ArchivDeutsches Ärzteblatt23/2009Leukämien bei unter 5-jährigen Kindern in der Umgebung deutscher Kernkraftwerke: Fluch des Unwissens
Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS Aufgefallen ist die signifikant erhöhte Leukämiehäufigkeit bei unter 5-jährigen Kindern in der Fünf-Kilometer-Nahumgebung von Kernkraftwerken. Auffällig ist weiter, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der erhöhten Leukämieinzidenz und der zusätzlichen Strahlenexposition durch Kernkraftwerke für unplausibel gehalten wird. Mir ist unverständlich, warum dann die Studie überhaupt durchgeführt wurde.

Nach der gefundenen Leukämiesteigerung muss jetzt die gängige Dosisabschätzung bei den Kindern hinterfragt werden. Und hier liegt der Fluch des Unwissens. Hier muss man nämlich in die hochkomplexe Materie von Biodosimetrie und Dosisequivalenten einsteigen, also in ein sehr fachspezifisches Terrain, das weder von Psychologie und Arbeitswissenschaft (Prof. Jungermann) abgebildet werden kann, noch von Epidemiologie und Informatik (Dr. Kaatsch). Vielmehr käme es hier auf ein hochkompliziertes Nachprüfen der gängigen, äußerst arbiträren Dosisabschätzungen an. Hier müsste endlich einmal erforscht werden, was ein einzelner Bewohner in der Nähe von Atomkraftwerken nicht nur über die Hintergrundstrahlung sondern auch über die Atemluft und über die Nahrungskette an Radionukliden zu sich nimmt, wie die biologische Verteilung in den Körpergeweben erfolgt (im Zeitverlauf) und welche „bone-seeking“ Radionuklide dem kindlichen Knochenmark welche lokale Dosis verpassen. Diese Fragen wären Studien wert und die vorgelegten Berechnungsmodelle der Strahlenschutzkommission wären zu verifizien, wobei jedem Insider der hoch arbiträre Charakter der vorgelegten Dosisabschätzungen klar ist. Es bedarf also nicht philosophischer Diskurse über Risikowahrnehmung und auch nicht der gebetsmühlenhaften Betonung unplausibler Kausalzusammenhänge im Vergleich zur natürlichen Hintergrundstrahlung, sondern es bedarf einer Überprüfung der hier gängig vorgenommenen Dosisabschätzungen (angeblich nur eintausendstel der Hintergrundstrahlung). Die dazu nötigen Studien müssten aufwändige Nuklidbestimmungen im Biotop und in der Atemluft der Kinder über längere Zeitverläufe vornehmen.

Das Knochenmark gestorbener leukämiekranker Kinder in der Nähe von Atomkraftwerken wäre auf seinen Radionuklid-uptake zu vergleichen mit dem Knochenmark von Kindern anderswo. Um Wissen interpretieren und integrieren zu können muss man es erst einmal haben! DOI: 10.3238/arztebl.2009.0392b


Dr. med. Benno Splieth
Streuweg 100, 63755 Alzenau
E-Mail: eva.kopel@vital-klinik.de
1.
Kaatsch P, Spix C, Jung I, Blettner M: Childhood leukemia in the vicinity of nuclear power plants in Germany. [Leukämien bei unter 5-jährigen Kindern in der Umgebung deutscher Kernkraftwerke.] Dtsch Arztebl Int 2008; 105: 725–32.
1. Kaatsch P, Spix C, Jung I, Blettner M: Childhood leukemia in the vicinity of nuclear power plants in Germany. [Leukämien bei unter 5-jährigen Kindern in der Umgebung deutscher Kernkraftwerke.] Dtsch Arztebl Int 2008; 105: 725–32.

Der klinische Schnappschuss

Stellenangebote