THEMEN DER ZEIT: 50 Jahre Bundesärztekammer
1947/1997 – Bundesärztekammer im Wandel (VII): Die Reichsärztekammer im Lichte von Gesetzgebung und Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland


Wenn auch die Reichsärzteordnung als Normenkomplex und die Reichsärztekammer als reichsunitarische Körperschaft nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten instituiert worden sind, so gehen die Forderungen der Ärzteschaft im Deutschen Reich der Weimarer Republik weit in die 20er Jahre dahingehend zurück: Der Gesetzgeber möge eine Reichsärzteordnung erlassen und eine Reichsärztekammer schaffen!
So haben sich insbesondere die Deutschen Ärztetage von 1925, 1926 und letztlich 1931 mit der Erarbeitung einer Reichsärzteordnung und der Errichtung einer Reichsärztekammer befaßt. Die verworrene Lage der Gesetzgebung, insbesondere gegen Ende der Weimarer Republik, und die erheblichen anderen Sorgen in tiefster wirtschaftlicher Not dieses Staates haben eine Reichsärzteordnung nicht mehr gesetzgeberisch ermöglicht. Demgegenüber konnte der Gesetzgeber des Dritten Reiches ohne weitere parlamentarische Verfahren und größere Hürden die Reichsärzteordnung 1935 in der nach dem damals geltenden Führerprinzip überarbeiteten Fassung erlassen ("Schubladengesetz").
Nach dem Zusammenbruch hörte die Reichsärztekammer faktisch zu bestehen auf. In der amerikanischen Besatzungszone und in Berlin wurde sie als nationalsozialistische Einrichtung im Sinne des Gesetzes Nr. 2 des Alliierten Kontrollrates vom 10. Oktober 1945 behandelt und galt daher auch rechtlich als aufgelöst. In der britischen und französischen Besatzungszone fand lediglich eine Vermögensbeschlagnahme statt. Dasselbe vollzog sich in der sowjetischen Besatzungszone. Hier erließ der Chef der Verwaltung der sowjetischen militärischen Administration und Oberbefehlshaber der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland am
31. Oktober 1945 einen Vollzugsbefehl (Nr. 126) zum Kontrollratsgesetz
Nr. 2, durch welchen die national-sozialistischen Organisationen, die kraft Gesetzes aufgelöst worden sind, im einzelnen aufgeführt wurden. Die Reichsärztekammer befand sich darunter sowenig wie die Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands; lediglich der NS-Ärztebund wurde als nationalsozialistische Organisation ausdrücklich aufgeführt und für aufgelöst erklärt.
Das Rechtsschicksal der Reichsärztekammer
Das Rechtsschicksal der Reichsärztekammer ist danach uneinheitlich beurteilt worden. Anläßlich der
Entscheidung von währungsrechtlichen Fragen im Hinblick auf das Vermögen der Reichsärztekammer haben
z. B. das Landgericht München 1952 und die Bundesschuldenverwaltung 1966 die Auffassung vertreten, die
Reichsärztekammer sei als nationalsozialistische Einrichtung im Sinne des Kontrollratsgesetzes Nr. 2 aufgelöst
worden. Im Gegensatz hierzu haben das Landgericht Kaiserslautern 1952, das Oberlandesgericht Düsseldorf
1956 und das Berliner Kammergericht 1965 sowie das Landgericht Düsseldorf 1968 die Auflösung der
Reichsärztekammer nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 2 verneint. Das Gesetz zur Regelung der
Verbindlichkeiten nationalsozialistischer Einrichtungen und der Rechtsverhältnisse an deren Vermögen aus
dem Jahre 1965 ist auf die Reichsärztekammer nicht angewendet worden. Eine Auflösung nach § 2 dieses
Gesetzes ist daher hinsichtlich der Reichsärztekammer auch nicht eingetreten.
Die unterschiedliche rechtliche Beurteilung der Reichsärztekammer im Lichte des Kontrollratsgesetzes Nr. 2
spiegelt sich in den gegensätzlichen Gerichtsentscheidungen hierzu mit Deutlichkeit wider. So hat das
Landgericht München, wenn es im wesentlichen auch der Auffassung der Militärregierung der Vereinigten
Staaten in der amerikanischen Besatzungszone folgt, darauf hingewiesen, daß zwar die Reichsärztekammer
ihrer gesetzlichen Zweckbestimmung gemäß in erster Linie eine berufsständische Interessenvertretung der
Ärzteschaft gewesen sei, jedoch auf der anderen Seite nicht geleugnet werden könnte, daß sie durch ihre
Organisation aufgrund einer vom Reichsinnenminister festgestellten Satzung insbesondere durch die enge
Bindung an den nationalsozialistischen deutschen Ärztebund über die Person des Reichsärzteführers von der
Partei als Mittel ihrer Herrschaft benutzt worden ist. Hieraus ergebe sich insbesondere, daß die Auflösung der
Reichsärztekammer nicht nur auf das Gebiet der US-Besatzungszone beschränkt sei, sondern im gesamten
Geltungsbereich des Kontrollratsgesetzes erfolgt ist. Diese Betrachtungsweise konnte darum nicht stimmen,
weil die Militärregierungen der französischen und britischen Besatzungszone und auch der Oberbefehlshaber
der sowjetischen Truppen in Deutschland die Reichsärztekammer ausdrücklich nicht als unter das
Kontrollratsgesetz Nr. 2 fallend betrachtet haben. Das Kammergericht hat in seiner Entscheidung, in der es den
Ausführungen des Landgerichts Berlin gefolgt ist, trotz einer entgegengesetzten Auffassung der
Besatzungsbehörden in West-Berlin, welche von einer Auflösung der Reichsärztekammer ausgegangen sind,
festgestellt, daß die Reichsärztekammer keine Einrichtung gewesen sei, die von der NSDAP als Werkzeug ihrer
Herrschaft geschaffen worden sei, und daß daher die Reichsärztekammer nicht aufgrund des Kontrollgesetzes
Nr. 2 aufgelöst worden ist. Ebenso haben sich das Oberlandesgericht Düsseldorf und das Landgericht
Kaiserslautern dazu bekannt, daß die Reichsärztekammer keine aufgelöste nationalsozialistische Organisation
gewesen sei, sondern daß sie wegen des Zusammenbruchs 1945 und des Wegfalls der Reichsorgane nur
faktisch aufgehört hat zu bestehen.
Reichsärzteordnung galt grundsätzlich fort
Sehr eindeutig hat sich das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluß aus dem Jahre 1954, welcher die
Errichtung eines Berufsgerichts für das neue Land Niedersachsen betraf, zur Reichsärzteordnung geäußert.
Hier heißt es wörtlich:
"Daß die Reichsärzteordnung nach dem Zusammenbruch in Niedersachsen grundsätzlich fortgalt, bedarf keiner
Erörterung."
Mit der Reichsärzteordnung blieb auch die darin begründete Berufsgerichtsbarkeit als Institution erhalten. Es
wurden nur Berufsgerichte geschlossen, nicht die Berufsgerichtsbarkeit abgeschafft. Die Berufsgerichte durften
bei entsprechender schriftlicher Genehmigung durch die Militärregierung wieder eröffnet werden! Zum
Wegfall der durch den Zusammenbruch handlungsunfähigen Reichsorgane und der an ihre Stelle getretenen
rangniederen vorhandenen örtlichen Funktionsstellen hat sich das Bundesverfassungsgericht wie folgt
geäußert:
"Die Zuständigkeitsregeln in Verfassungen und Gesetzen sind grundsätzlich auf normale Situationen
abgestellt. Sie reichen beim tatsächlichen Zusammenbruch eines Staates und des ihn tragenden Systems, der
mit der Handlungsunfähigkeit allerhöchst global verbunden ist, nicht aus. In einer solchen Lage haben die etwa
noch vorhandenen Organe nicht nur die Berechtigung, sondern grundsätzlich auch die Verpflichtung zu
Handlungen, die über ihre normale Kompetenzen hinausgehen. Sie haben alles, was in ihrer tatsächlichen
Macht steht, zu tun, um die Handlungsunfähigkeit der höchsten Organe zu beheben. Soweit das nicht möglich
ist, haben sie selbst anstelle jener Organe zu handeln. Im Falle einer Besetzung bedürfen sie einer Delegation
von Besatzungsgewalt hierfür nicht. Diese Grundsätze gelten auch für diejenigen Teile deutscher Ämter, die
nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft bestellt worden sind."
Aus dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts läßt sich unmittelbar herleiten, daß von Verfassung
wegen kein Zweifel daran besteht, daß die Reichsärzteordnung als Gesamtnormenkomplex kein
nationalsozialistisches Recht war, sondern nach der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und deren
neuer Kompetenzordnung teilweise zu Bundes- und im übrigen zu Landesrecht geworden ist. Damit dürfte
auch mittelbar die Frage entschieden worden sein, daß die durch die Reichsärzteordnung errichtete
Reichsärztekammer nicht schlechthin nationalsozialistisches Organisationsgefüge gewesen ist, sondern
differenziert zu betrachten war, je nachdem, welche Aufgaben die Reichsärztekammer wahrgenommen hat.
Die Auflösung der Reichsärztekammer
Angesichts dieser vielfältigen Betrachtungsweise der Institution "Reichsärztekammer" bedurfte es
für den Bundesgesetzgeber einer klaren Regelung, insbesondere auch darum, die Vermögensverhältnisse der
Reichsärztekammer zu klären. Eine erste Vorklärung fand dadurch statt, daß in der Anlage A zu § 2 des
Regelungsgesetzes für unter Artikel 131 GG fallende Personen unter Nr. 51 die Reichsärztekammer als eine
Reichskörperschaft verzeichnet war, deren Dienstangehörige einen Anspruch auf Versorgung gegen den
vorläufig verpflichteten Bund geltend machen konnten. Diese nur die personale Seite der Reichsärztekammer
vorläufig klärende Rechtssetzung konnte jedoch nicht den Regelungskomplex für den Gesamtbereich der
Reichsärztekammer ersetzen. Hierzu bedurfte es einer besonderen gesetzlichen Regelung, wie für alle nach dem
Zusammenbruch faktisch nicht mehr tätigen Körperschaften des öffentlichen Rechts, für welche Artikel 135
Abs. 5 GG den verfassungsrechtlichen Auftrag enthält.
Eine Abwicklung der Reichsärztekammer war bereits im Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Regelung der
Rechtsverhältnisse nicht mehr bestehender Rechtsträger (Rechtsträgerabwicklungsgesetz) 1965 vorgesehen.
Die Reichsärztekammer war darin in der Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 unter Buchst. c. Nr. 2 aufgeführt. § 30 dieses
Entwurfs enthielt außerdem eine Regelung der Rechtsverhältnisse der
ehemaligen Dienstangehörigen der Reichsärztekammer nach dem Gesetz 131. Danach sollen die
Ärztekammern im Bundesgebiet in Ausführung des § 61 Abs. 1 des Gesetzes 131 insoweit zur Versorgung der
ehemaligen Dienstangehörigen der Reichsärztekammer und deren Hinterbliebenen herangezogen werden, als
diese Personen nicht überwiegend für außerhalb der Reichsärztekammer vorhandene Einrichtungen tätig
waren. Die Versorgung des ausgeschlossenen Personenkreises sollte endgültig der Bund übernehmen,
allerdings mit der Möglichkeit des Rückgriffs in das Vermögen der Reichsärztekammer in Höhe der für die
Versorgung gemachten Aufwendungen des Bundes. Dadurch wäre die mittelbare Heranziehung der
Ärztekammern zum Tragen der Versorgungslast möglich gewesen.
Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages hat bei der Beratung des Entwurfs die Auffassung vertreten,
daß die für die Reichsärztekammer vorgesehene Regelung der Ärzteschaft nicht zugemutet werden könne. Er
hat deshalb empfohlen, § 30 und Buchst. c. Nr. 2 in der Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 des Entwurfs zu streichen. Der
Bundestag ist dieser Empfehlung gefolgt.
Damit blieb jedoch die Frage der Ordnung der Rechtsverhältnisse der faktisch aufgelösten, jedoch rechtlich
weiterbestehenden Reichsärztekammer ungelöst. Aus diesem Grunde hat sich der Bundesgesetzgeber
entschlossen, ein eigenes Reichsärztekammerabwicklungsgesetz zu erlassen. Dieses Gesetz ist erst in der
7. Wahlperiode der Bundesrepublik Deutschland 1973 erlassen worden. Da eine Auflösung der
Reichsärztekammer bis dahin rechtlich nicht erfolgte, bedurfte es in erster Linie der Feststellung der Auflösung
der Reichsärztekammer und die hieraus zu ziehenden Folgerungen. Dies war die Voraussetzung auch für die
vermögensrechtliche Abwicklung der Reichsärztekammer. Dies wurde eindeutig durch das besagte
Reichsärztekammerabwicklungsgesetz ermöglicht.
Schwierige Regelung der Vermögensverhältnisse
Die Vermögensverhältnisse der Reichsärztekammer waren insoweit regelungsbedürftig, als es eine
Rechtsnachfolge für die Reichsärztekammer nach anderweitigem Recht nicht gegeben hat. Ein Teil des
Vermögens ist nach Kriegsende aufgrund besatzungsrechtlicher Vorschriften auf andere Rechtsträger
übertragen worden. Das Verwaltungsvermögen ist nach Artikel 135 Abs. 2 GG auf diejenigen öffentlichrechtlichen ärztlichen Berufsvertretungen übergegangen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Grundgesetzes
die berufsständischen Aufgaben der Reichsärztekammer wahrgenommen haben. Im übrigen blieben die
Vermögensverhältnisse der Reichsärztekammer ungeregelt. Eine Stelle, die zu ihrer Vertretung insgesamt
befugt war, hat es nicht gegeben. Die nach Kriegsende neu entstandenen Ärztekammern wurden nicht als
Rechts- und Teilrechtsnachfolger der Reichsärztekammer anerkannt.
Aufteilung der Versorgungslast
Da einerseits Vermögenswerte der Reichsärztekammer vorhanden waren, andererseits Forderungen gegen das
Vermögen angemeldet wurden, bestellte der Bundesminister des Innern mit Erlaß vom 31. Oktober 1959 einen
Vermögensverwalter zur Feststellung und Verwaltung des Aktivvermögens der Reichsärztekammer. Er wurde
zwischenzeitlich von der mit der Vermögensverwaltung betrauten Lastenausgleichsbank abgelöst.
Schließlich war es erforderlich, eine endgültige Regelung über die Aufteilung der Versorgungslast für die
ehemaligen Dienstangehörigen der Reichsärztekammer zu treffen. Da die Reichsärztekammer unter Nr. 51 der
Anlage A zu § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des GG
fallenden Personen aufgeführt ist, haben die ehemaligen Dienstangehörigen zwar Ansprüche auf Versorgung
nach Maßgabe des Gesetzes, die Versorgungsleistungen wurden aber vom Bund aufgrund § 61 Abs. 4 des
Gesetzes 131 lediglich vorschußweise erbracht. Es galt auch hier, eine endgültige Regelung zu treffen, weil das
allgemeine Rechtsträgerabwicklungsgesetz hierfür nicht in Betracht kam, nachdem, wie ausgeführt, auf
Empfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages, der Bundestag die Reichsärztekammer aus diesem
Gesetzentwurf wieder entfernt hat.
Das "Reichsärztekammerabwicklungsgesetz"
Das nunmehr spezielle Reichsärztekammerabwicklungsgesetz löst die Reichsärztekammer mit Wirkung vom 9.
Oktober 1973 auf; es enthält sowohl eine Abwicklungsregelung für die Reichsärztekammer als auch eine
Regelung über die endgültige Verteilung der Versorgungslast nach dem Gesetz 131 für die ehemaligen
Dienstangehörigen der Reichsärztekammer. Für die Abwicklung der Reichsärztekammer werden weitgehend
die Vorschriften des Rechtsträgerabwicklungsgesetzes in der Struktur angewendet, jedoch mit den
Besonderheiten, welche für die Reichsärztekammer gelten. Die Vorschriften des
Rechtsträgerabwicklungsgesetzes über die Verteilung des Vermögens und die Tilgung der Verbindlichkeiten
waren eine geeignete Grundlage für die Abwicklung der Reichsärztekammer. Das dort geregelte
Anmeldeverfahren, die Bestimmung zur Feststellung des noch vorhandenen Aktivvermögens boten die Gewähr
für eine rasche Übersicht über die Vermögensverhältnisse der Reichsärztekammer. Sie waren die
Voraussetzung für eine zügige Abwicklung.
Eine Regelung des Pauschalüberganges des Vermögens der Reichsärztekammer auf die Ärztekammern kam
nicht in Frage. Für eine so weitgehende Abweichung von den für die anderen öffentlichen Rechtsträger
maßgebenden Vorschriften des Rechtsträgerabwicklungsrechts bestand kein Anlaß. Ein Pauschalübergang
mußte aber auch deswegen ausfallen, weil eine solche Lösung nur schwer durchführbar war und eine zügige
Abwicklung keinesfalls ermöglicht hätte. Frühere Ansprüche gegen die Ärztekammer wären in diesem Fall
gegen die Ärztekammern geltend gemacht worden, und die Ärztekammern wären Gläubiger aller früheren
Ansprüche der Reichsärztekammer geworden. Dies würde unter anderem Vorschriften über die Aktiv- und
Passivlegitimation der Ärztekammern, die Haftung im Innenverhältnis, den Gerichtsstand sowie zahlreiche
sonstige Einzelregelungen voraussetzen.
Angesichts der Vielgestaltigkeit der Probleme und der fehlenden Gesamtübersicht über die tatsächlich
vorhandenen Vermögenswerte erschien es fraglich, ob insoweit befriedigende Regelungen überhaupt getroffen
werden konnten. Schließlich bestanden rechtliche Zweifel, ob bei der gegebenen verfassungsrechtlichen
Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in diesem Falle eine Regelung über die Einsetzung und den
Aufgabenbereich eines vom Bund zu berufenden und zu beaufsichtigenden Abwicklers erfolgen konnte.
Rechtsnatur der Bundesärztekammer
Die Bundesärztekammer als Arbeitsgemeinschaft der Ärztekammern der Länder schied von vornherein aus
kompetenzrechtlichen Gründen als Rechtsnachfolger für die Reichsärztekammer aus. Im Unterschied zu den
landesgesetzlich errichteten Ärztekammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts ist die
Bundesärztekammer ein Zusammenschluß auf freiwilliger Grundlage. In ihr sind alle Landesärztekammern in
einer Arbeitsgemeinschaft vereint, was bedeutet, daß Mitglieder der Bundesärztekammer nur Körperschaften
des öffentlichen Rechts sind, nicht die einzelnen Ärzte, welche eine Mitgliedschaft lediglich zu ihrer
Landesärztekammer unterhalten. Die Bundesärztekammer ist ein Bundesdachverband ohne eigene
Rechtspersönlichkeit. Sie ist auch kein eingetragener Verein, im Unterschied zu anderen
Bundeszusammenschlüssen von Körperschaften öffentlichen Rechts. Die Bundesärztekammer ist daher als
nicht rechtsfähiger Verein des bürgerlichen Rechts zu beurteilen, welcher seinerseits den Vorschriften über die
Gesellschaft des bürgerlichen Rechts folgt. An dieser rechtlichen Charakterisierung ändert sich auch dann
nichts, wenn man die Bundesärztekammer als Vereinigung von nur Körperschaften des öffentlichen Rechts als
öffentlich-rechtlichen Zweckverband charakterisiert, wie es das Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen in einer Entscheidung aus dem Jahre 1974 anklingen ließ.
Diese Beschreibung der Bundesärztekammer ergibt sich aus vorrangigem Verfassungsrecht, hier der
Kompetenzordnung des Grundgesetzes. Gemäß Artikel 74 Nr. 19 GG steht dem Bund die
Gesetzgebungsbefugnis nur für die Zulassung zum ärztlichen Beruf zu, nicht jedoch auch das Recht zur
Regelung der Berufsausübung. Letztere Aufgabe ist in die Zuständigkeit der Länder verwiesen. Da das
Ärztekammerwesen der Berufsausübungsregelung zuzurechnen ist, können allein die Bundesländer
Ärztekammergesetze, welche die Errichtung von Körperschaften des öffentlichen Rechts mit
Pflichtmitgliedschaft regeln, im weiteren Sinne auch Heilberufsgesetze genannt, erlassen. Dem Bund ist die
Errichtung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß Artikel 87 Abs. 3 GG mangels Kompetenz für
eine inhaltliche Gesetzgebung versagt.
Eine Bundesärztekammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts auf der schmalen Kompetenzbasis des
Artikel 74 Nr. 19 GG zu errichten ist zu Beginn der 60er Jahre versucht, aber zu Recht wieder aufgegeben
worden. Aus diesem Grunde hat sich auch eine Rechtsnachfolge für die frühere Reichsärztekammer nicht
regeln lassen. Deren Abwicklung ist lediglich in dem beschriebenen Gesetz nach Artikel 135 Abs. 5 GG
erfolgt.
Gliederung des Personenkreises nach jeweiliger Funktion
Eine Besonderheit des Reichsärztekammerabwicklungsgesetzes liegt darin, daß in Unterscheidung zu allen
übrigen aufgelösten Einrichtungen, deren frühere Dienstangehörige Ansprüche auf Versorgung innehaben, eine
Gliederung dieses Personenkreises nach seiner Funktion vorgenommen ist, welche er bis 1945
innerhalb der Körperschaft ausgeübt hat. Diese Gliederung der Funktionen der Dienstangehörigen der
Reichsärztekammer läßt auf den politischen Charakter der Reichsärztekammer in einer differenzierten
Betrachtungsweise schließen. So heißt es in § 5 des Abwicklungsgesetzes, daß die Ärztekammern
Aufnahmeeinrichtungen für die früheren Bediensteten der Reichsärztekammer hinsichtlich ihrer
Versorgungsansprüche sind, dies jedoch nicht für solche Dienstangehörigen gilt, die nicht überwiegend
Aufgaben von ärztlichen Standesvertretungen wahrgenommen haben. Diesen Dienstangehörigen sind nun
nicht etwa die Ansprüche aberkannt worden, sondern nach Absatz 3 der angezogenen Vorschrift hat der Bund
diese Versorgungslast endgültig als Träger übernommen.
Daraus ergibt sich die besondere Situation bei der Betrachtung der Reichsärztekammer in ihrer Wirkungszeit
von 1935 bis 1945. Es gab sowohl diejenigen früheren leitenden Angestellten der Reichsärztekammer, welche
klassische berufsständische Aufgaben wahrgenommen haben, so wie sie auch heute von den Ärztekammern
wahrgenommen werden, als auch diejenigen, welche vielmehr staatliche Aufgaben erfüllten. Im Rahmen ihres
Dienstes bei der Reichsärztekammer sind sie ebenfalls Inhaber ihrer vollen Versorgungsansprüche geblieben.
Lediglich eine kleine Gruppe früherer leitender Funktionäre der Reichsärztekammer ist vom
Versorgungsanspruch ausgeschlossen worden. Dies sind diejenigen, die unter § 7 des Regelungsgesetzes 131
fallen, wonach Ansprüche nicht von einer Aufnahmeeinrichtung zu befriedigen sind, wenn die Stellung, die
der Betroffene eingenommen hat, ausschließlich oder überwiegend auf seiner engen Verbindung zum
Nationalsozialismus beruht.
Insoweit spiegelt sich die Reichsärztekammer auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum
Versorgungsrecht wider. So hat das Bundesarbeitsgericht 1957 im Hinblick auf den Versorgungsanspruch des
Leiters einer Ärztekammer (unselbständiger Gliederung der Reichsärztekammer) die überwiegend
berufsständische Tätigkeit dieses Arztes auch angenommen und ihm seine Versorgungsansprüche zuerkannt,
obwohl er hoher Funktionär in der NSDAP und einer ihrer Gliederungen gewesen ist. Bei Abwägung aller
Umstände, insbesondere der ärztlichen Vorbildung und der Tätigkeit dieses Arztes schon vor der
Machtergreifung des Nationalsozialismus in ärztlichen Organisationen, hat man die enge Verbindung für die
Amtsinhaberschaft in der Reichsärztekammer zum Nationalsozialismus und damit die Kausalität zwischen der
Amtsausübung und der politischen Beziehung verneint.
Im Unterschied hierzu hat das Bundesarbeitsgericht 1962 und 1967 in zwei weiteren Entscheidungen zu hohen
Amtsinhabern der Reichsärztekammer gerade die politische Verknüpfung der Amtsinhaberschaft, der
Amtsausübung mit der festen Bindung im nationalsozialistischen Staat zum Anlaß genommen, sie von
allen Versorgungsansprüchen auszuschließen.
Während im ersteren Falle der Leiter einer örtlichen Ärztekammer durchaus als mit berufsständischen
Aufgaben befaßt beurteilt wurde, hat man den Leiter des Amtes für Volksgesundheit bei der Gauleitung der
NSDAP, den Gaubeauftragten des rassenpolitischen Amtes der NSDAP und den Gauobmann des NSÄrztebundes für so eng mit dem Nationalsozialismus für verknüpft gehalten, daß eine hieraus folgende
Anstellung bei der Reichsärztekammer für ihre Versorgungsansprüche ausscheiden mußte.
Aus dem Gesamtbild der Rechtsprechung zum Vermögen der Reichsärztekammer, zu ihrer
Organisationsstruktur und zu ihren personalen Verhältnissen ergab sich für den Bundesgesetzgeber das richtige
Bild der differenzierten Betrachtungsweise. Genauso wie die Reichsärzteordnung von 1935 kein
nationalsozialistisches Gesetz gewesen ist, war auch die in ihr verwurzelte Reichsärztekammer keine typische
nationalsozialistische Organisation. Dem Zeitgeist entsprechend war jedoch die Einbindung in den
nationalsozialistischen Machtstaat unverkennbar. Dennoch verblieben durch das Dritte Reich hindurch für die
Reichsärztekammer typische berufsständische Aufgaben, gemischt mit staatlichen Aufgaben neben einer rein
politischen Struktur in einer kleinen Gruppierung, welche der Reichsärztekammer zugeordnet gewesen ist.
Der Bund übernahm einen Teil der Last
Genau dieser Gliederung folgt das rechtliche Schicksal der Reichsärztekammer. Sie war keine aufgelöste NSOrganisation, ihr Vermögen wurde abgewickelt in eine Richtung, die den Ärztekammern keine höheren Lasten
auferlegte als diejenigen, die sich aus der berufsständischen Struktur der Reichsärztekammer herleitete. Der
Bund übernahm die Last für diejenigen, welche eher staatliche Aufgaben wahrnahmen, und die
nationalsozialistischen Funktionäre wurden von ihren Ansprüchen ausgeschlossen.
Das Abwicklungsgesetz über die Reichsärztekammer ist ausdrücklich gemäß Kapitel 10 Sachgebiet D
Abschn. 1 Nr. 1 im Einigungsvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland vom
Inkrafttreten in den neuen Bundesländern ausgenommen worden.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-1406-1410
[Heft 21]
Anschrift des Verfassers
Dr. jur. Jürgen W. Bösche
Robert-Blum-Straße 13, 50935 Köln
Bisher sind in dieser Serie erschienen:
Thomas Gerst: Föderal oder zentral? - Der kurze Traum von einer bundeseinheitlichen ärztlichen
Selbstverwaltung (Heft 38/1996)
Gerhard Vogt: Arzt im Krankenhaus (Heft 45/1996)
Hedda Heuser-Schreiber: Ärztinnen in Deutschland - Fakten, Beobachtungen, Perspektiven (Heft 1-2/1997)
J. F. Volrad Deneke: Körperschaften und Verbände - streitbare Verwandte (Heft 4/1997)
Klaus-Ditmar Bachmann, Brigitte Heerklotz: Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer (Heft
10/1997)
Marilene Schleicher: Die ärztliche Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland (Heft 14/1997)
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