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Plakataktion in Arztpraxen: Wahlkampf im Wartezimmer


Dr. med. Birgit Hibbeler
Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik
Wie viele Praxen sich an diesem „Wahlkampf im Wartezimmer“ beteiligen, ist schwer zu sagen. Den Ini-tiatoren zufolge ist eines der Plakate – nämlich das, auf dem Ulla Schmidt etwas unvorteilhaft abgebildet ist – in unterschiedlichen Formaten und Sprachen schon rund 14 000-mal heruntergeladen worden. Gefolgt vom Motiv Karl Lauterbach mit etwa 10 000 Downloads. Ob die Zahlen stimmen, lässt sich nicht überprüfen. Offenbar haben jedoch viele Ärzte kein Problem damit, dieser Polemik ein Forum zu bieten. Um allen Missverständnissen vorzubeugen: Wenn Ärzte ihre Interessen nach außen vertreten, dann ist das völlig legitim. Doch dass sie eine Wahlempfehlung aussprechen beziehungsweise davon abraten, eine bestimmte Partei zu wählen, ist nicht nur unprofessionell, sondern anmaßend.
Unprofessionell ist die Aktion, weil Menschen, die zum Arzt gehen, auf medizinische Hilfe hoffen und nicht auf politische Ratschläge. Ärzte sind für viele – gerade ältere – Patienten noch immer eine Instanz, der sie ein besonderes Vertrauen entgegenbringen. In der Bevölkerung genießen sie nach wie vor ein hohes Ansehen, von dem andere Berufsgruppen nur träumen können. Wer allerdings im Verdacht steht, andere manipulieren und instrumentalisieren zu wollen, der riskiert einen Verlust an Glaubwürdigkeit. Diese Kritik müssen sich übrigens auch ähnliche Plakataktionen anderer Verbände – beispielsweise der Freien Ärzteschaft – gefallen lassen.
Anmaßend ist ein solcher Aufruf, weil die Ärzte ihre Rolle überschätzen. Gesundheit ist ein wichtiges Gut. Und sicher muss die Gesundheitspolitik auch ein Wahlkampfthema sein. Aber Patienten sind eben nicht nur Patienten. Vor allem sind sie Bürger. Sie sind Mütter, Väter, Studenten, Rentner, Arbeitnehmer, Firmengründer, Landwirte, Beamte und Hartz-IV-Empfänger. Zu glauben, dass ein Patient seine Wahlentscheidung allein vom Thema Gesundheit abhängig macht, ist weltfremd.
Die „Aktion 15“ hat ihre Kritik mittlerweile auf die Union ausgedehnt und bietet ebenfalls Plakate mit dem Slogan „Wer keine Arztpraxen mehr will, wählt CDU oder SPD“ an. Doch dass nun nicht mehr nur die Sozialdemokraten im Fokus stehen, macht die Sache nicht besser. Mag sein: Die Ärzte haben sich lange viel zu viel gefallen lassen. Aber Wahlempfehlungen sind nicht der richtige Weg, seinem Ärger Luft zu machen. Bei jedem Patienten, der sich als mündiger Bürger versteht, werden diese platten Parolen auf Unverständnis und Ablehnung stoßen.
Brems, Richard
Horn, Jürgen
Deppe, Wolfgang
Schermuly, Eckart
Bittmann, Klaus
Lambertz, Albert
Noppeney, Jeanette
Kubitza, Volker
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