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KV und AOK kooperieren: Geliebter Feind


Sabine Rieser
Leiterin der Berliner Redaktion
Von solchen Kämpfen war am 4. September nichts zu hören. Im Gegenteil: AOK und KV Brandenburg, an sich natürliche Gegenspieler beim Vertragsgeschäft, haben an diesem Tag eine Arbeitsgemeinschaft gegründet. Das sieht das Sozialgesetzbuch V in § 219 vor. Ihr Name ist Programm: „Innovative Gesundheitsversorgung in Brandenburg“, kurz IGiB.
„Nicht konfliktiv, sondern konstruktiv – das ist der neue Ansatz, den wir ganz bewusst gewählt haben“, betonte KV-Vorstandsvorsitzender Dr. med. Hans-Joachim Helming. „Die demografische Entwicklung, die medizinischen Möglichkeiten, vor allem aber die begrenzten Ressourcen stellen uns vor neue Herausforderungen.“ Ähnlich argumentierte AOK-Vorstand Frank Michalak: „Um die Versorgungsqualität auch zukünftig zu sichern und zu verbessern, müssen wir die vorhandenen Effizienzreserven erschließen. Das gelingt nur, wenn Kassen, Ärzte und weitere Leistungserbringer an einem Strang ziehen.“
Basis der neuartigen Zusammenarbeit sind, sagen beide, gute Erfahrungen miteinander bei der Umsetzung der Chronikerprogramme. Zwischen Helming und Michalak scheint zudem die Chemie zu stimmen. Auf dieser Basis wollen AOK und KV neue Versorgungsmodelle entwickeln, bei Indikationen wie Herzinsuffizienz oder Diabetes enger kooperieren und durch Abstimmungen bei der Verordnung von Arznei- und Hilfsmitteln für Effizienz und Budgetsicherheit sorgen.
Ihr Schritt verdient grundsätzlich Respekt. Die Versorgungsprobleme jenseits des Speckgürtels rund um Berlin sind bekannt. Gut, wenn dann gewichtige Akteure anderes tun, als sich gegenseitig Schuld zuzuschieben oder sich mithilfe einer überholten Bedarfsplanung zu blockieren. KV und AOK in Brandenburg sind gewichtige Akteure: Der eine muss die wohnortnahe, ambulante Versorgung sicherstellen, der andere versichert rund ein Drittel der Bevölkerung.
Die neue, freundliche Beziehung hat jedoch Schattenseiten. Zwar haben Helming wie Michalak betont, man wolle auf Dauer andere Kassen nicht ausgrenzen, sondern nur erst einmal zu zweit in Schwung kommen. Das Argument kennt man aus der Startphase mancher Integrationsverträge. Die haben jedoch zu selten dazu geführt, dass Versorgungsverbesserungen dauerhaft vielen Versicherten zugutekommen.
Die KV muss zudem aufpassen, dass sie ihre Mitglieder durch die neue Verbindung nicht vor den Kopf stößt. Im Osten ist die Kritik an den KVen noch leiser als im Westen. Doch Ärger über zu große Kompromissbereitschaft und Basisferne gibt es auch hier. Ärzte und Psychologen werden sich nur überzeugen lassen, wenn „IGiB“ ihnen etwas bringt. Zudem fusionieren die Ortskrankenkassen Brandenburg und Berlin im Januar. Das ist der nächste Beziehungstest: In der Hauptstadt sind sich Gesundheitskasse und KV nicht so grün wie in Brandenburg.
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