

Reinhart Lempp:
Nebenrealitäten.
Verlag für Polizeiwissenschaft,
Frankfurt
2009, 154 Seiten,
gebunden, 24,90 Euro
Er geht dabei von zwei Ansätzen aus. Zunächst von der Zukunftsangst. Aussichtslosigkeit und Angst vor der Zukunft sind heute unter Jugendlichen weitverbreitet. Die Gründe dafür legt Lempp nahe. Auch bei dem Amokläufer von Erfurt, Robert Steinhäuser, war das so: Die Schule hatte ihn hinausgeworfen. Er sah keine Chance eines weiterführenden Schulabschlusses. Die Schuld hierfür konnte er nicht bei sich sehen, er wies sie der Schule zu. Aber warum dann ein solches Attentat? Hier greift der zweite Ansatz von Lempp: die Ausbildung einer Nebenrealität. Ursprünglich handelt es sich um Fantasien in der Art des Tagträumens, so wie die meisten Jugendlichen vorübergehend Größenfantasien entwickeln. Heute können Jugendliche im Fernsehen und Internet Darsteller finden, die scheinbar keine Angst haben, sondern anderen Angst machen. So auch bei Robert Steinhäuser: „Die Videos und Gewaltstreifen regten ihn an, sich in einen Mann hineinzuprojizieren, der stärker ist als alle anderen. Einer, der keine Angst hat, die ihn selbst quält, sondern vor dem die anderen Angst haben.“
Wenn solche Fantasien, angeregt durch eine Selbstwertkrise und gefördert durch die suggestive Kraft der Medien, das Erleben eines Jugendlichen über längere Zeit bestimmt, spricht man von einer Nebenrealität, sozusagen einer anderen Daseinsweise neben der Hauptrealität. Was hier angedeutet wurde, legt Lempp wissenschaftlich begründet dar. Seine didaktisch gelungenen Erklärungen lassen das Erleben dieser Jugendlichen verstehbar werden. Hierin liegt der große Wert des Buches für die Gewaltprävention und für das Verstehen dieser Jugendlichen. Ärzte, die auf die Frage „Verstehen Sie das, Herr Doktor . . .“ eine Antwort geben wollen, sollten dieses Buch lesen. Rainer Tölle
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