MEDIZIN: Übersichtsarbeit
Placebo
Missverständnisse und Vorurteile
Placebo: Misunderstandings and Prejudices
;
Hintergrund: Die Bedeutung von Placebos wird häufig falsch eingeschätzt und entweder überbewertet oder abschätzig beurteilt. Oft wird dabei die Wirkung von einem Placebo, das keine pharmakologisch aktive Substanz enthält, mit der Wirkung, die auf der Verabreichung durch den Arzt beruht, verwechselt. Ziel dieses Artikels ist es, die neuesten Daten über Placebos zusammenzufassen, kritisch zu diskutieren und daraus ein Bild von Placebos zu entwerfen, das sowohl seine Wirkungen als auch deren Fehlen begründbar und verständlich macht.
Methode: Übersichtsarbeit, basierend auf der Auswertung einer selektiven Literaturrecherche
Ergebnisse: Neuere Untersuchungen konnten unter Verwendung moderner Bildgebungsverfahren die Wirkung einer Placebogabe bei bestimmten Indikationen objektivieren. Kürzlich erschien sogar eine Arbeit, die eine genetische Basis für den Placeboeffekt postuliert. Die hauptsächlichen Wirkmechanismen einer Placebogabe bestehen einerseits in bedingten Reflexen, andererseits in der Erwartungshaltung des Patienten. Es handelt sich also sowohl um unbewusste als auch um bewusste Phänomene. Dazu kommen weitere Faktoren, zu denen unter anderem die persönliche Ausstrahlung des Arztes und die Atmosphäre, in der eine Behandlung stattfindet, gehören.
Schlussfolgerung: Die einer Placebogabe zugrunde liegenden Mechanismen, mit denen bei wenig Aufwand positive Zusatzeffekte erzielt werden können, sollten auch bei der Verabreichung von pharmakologisch wirksamen Medikamenten bewusst eingesetzt werden.
Schlüsselwörter: Arzneimittelsicherheit, Arzneimittelforschung, Therapiestudie, Komplementärmedizin, Arzneimittelverordnung
Methode: Übersichtsarbeit, basierend auf der Auswertung einer selektiven Literaturrecherche
Ergebnisse: Neuere Untersuchungen konnten unter Verwendung moderner Bildgebungsverfahren die Wirkung einer Placebogabe bei bestimmten Indikationen objektivieren. Kürzlich erschien sogar eine Arbeit, die eine genetische Basis für den Placeboeffekt postuliert. Die hauptsächlichen Wirkmechanismen einer Placebogabe bestehen einerseits in bedingten Reflexen, andererseits in der Erwartungshaltung des Patienten. Es handelt sich also sowohl um unbewusste als auch um bewusste Phänomene. Dazu kommen weitere Faktoren, zu denen unter anderem die persönliche Ausstrahlung des Arztes und die Atmosphäre, in der eine Behandlung stattfindet, gehören.
Schlussfolgerung: Die einer Placebogabe zugrunde liegenden Mechanismen, mit denen bei wenig Aufwand positive Zusatzeffekte erzielt werden können, sollten auch bei der Verabreichung von pharmakologisch wirksamen Medikamenten bewusst eingesetzt werden.
Schlüsselwörter: Arzneimittelsicherheit, Arzneimittelforschung, Therapiestudie, Komplementärmedizin, Arzneimittelverordnung


Definition von Placebo und Nocebo
Die Bezeichnung „Placebo“ geht zurück auf das lateinische Wort „placere“ und bedeutet wörtlich: „Ich werde gefallen“. Nach klassischer Definition ist ein Placebo ein „Scheinmedikament“ ohne pharmakologisch aktiven Wirkstoff, das äußerlich vom echten Arzneimittel („Verum“) nicht zu unterscheiden ist. Das Placebo selbst kann daher keine Effekte auslösen. Wenn etwas wirkt, kann es nur die Gabe des Placebos, also seine Verabreichung durch den Arzt an den Patienten, sein. Wann immer in diesem Artikel von Placebowirkung gesprochen wird, ist darunter die Wirkung der Placebogabe zu verstehen.
Neben den reinen Placebos, die nur Stärke oder andere inerte Füllstoffe enthalten, gibt es allerdings auch sogenannte aktive Placebos. Dabei handelt es sich um echte Medikamente, die jedoch entweder in einer unwirksamen Dosis gegeben werden oder wegen ihres Wirkungsspektrums keinen Einfluss auf die untersuchte Krankheit haben. Wenn Arzneimittel geprüft werden, die charakteristische und für den Patienten spürbare Nebenwirkungen haben, kann man in speziellen Fällen überlegen, ein aktives Placebo als Kontrolle einzusetzen, das vergleichbare Nebenwirkungen auslöst. Obwohl ohne dieses Vorgehen mit manchen Medikamenten eine Doppelblindstudie nicht durchführbar wäre, bestehen dabei ethische Probleme (7, 8).
Patienten, die ein Placebo einnehmen, berichten nicht nur über erwünschte, sondern auch über unerwünschte Wirkungen (9). Dem Phänomen, dass wirkstofffreie Präparate krankmachende Effekte haben können, wurde in Analogie zum Placeboeffekt der Begriff des Noceboeffektes („Nocebo“: „Ich werde schaden“) zugeordnet (10). Eine negative, pessimistische Grundeinstellung des Patienten, schlechte Erfahrungen mit vorhergehenden medikamentösen Behandlungen, negative Informationen, die der Patient vom Arzt, Apotheker oder aus der Presse erhält, können ebenso Nebenwirkungen hervorrufen wie das Lesen der Packungsbeilage mit den vielen darin aufgeführten Warnhinweisen (11).
Geschichte
Der erste dokumentierte Placeboversuch geht auf die Untersuchungen des Naturwissenschaftlers und späteren Präsidenten der USA, Benjamin Franklin, zurück (e2). Damals war eine von dem deutschen Arzt Franz Anton Mesmer propagierte Heilmethode populär, die nach ihm „Mesmerismus“ benannt wurde. Unter der Führung eines vom König von Frankreich einberufenen Komitees gelang es Franklin, die Meinung, eine durch äußere Einwirkung beeinflussbare „Flüssigkeit“ sei im Körper durch „Mesmerisieren“ zu steuern, zu widerlegen, indem er zeigte, dass der Erfolg der Behandlung allein von dem Glauben, der Mesmerist sei da, abhing. Durch placebokontrollierte, doppelblinde, randomisierte klinische Studien wird seit Mitte des 20. Jahrhunderts die therapeutische Wirksamkeit von Medikamenten untersucht.
Wirksamkeit von Placebos
Die Einschätzung der Wirkung von Placebos war über Jahrzehnte geprägt von der einflussreichen Publikation von Beecher mit dem suggestiven Titel „The powerful placebo“ (12). Diese Worte waren Überschrift, Zusammenfassung und Zitat zugleich. In dieser 1955 erschienenen Publikation analysierte Beecher mehrere Studien mit Placebos, darunter überwiegend eigene Beiträge, und zog daraus sehr entschiedene Schlussfolgerungen. Dazu zählt, dass Placebos bei etwa einem Drittel der Patienten reproduzierbar wirken, dass sie umso stärker anschlagen, je stärker die Symptome einer Erkrankung sind, und dass der Placeboeffekt meist längere Zeit anhält.
Alle drei Behauptungen lassen sich nach sorgfältiger Analyse neuerer Studien nicht aufrechterhalten. So zeigt erstens die Placebowirkung eine bemerkenswerte Variabilität zwischen 7 und 49 % der behandelten Patienten; zweitens steht die Placebowirkung nicht im Zusammenhang mit der Stärke der Symptome und drittens variiert die Dauer der Placebowirkung in weiten Grenzen und reicht von Minuten bis zu Jahren (6, 13).
Schon Beecher stellte in seinen Studien die Frage nach einer „Placebopersönlichkeit“, die eine Voraussage des Ansprechens auf ein Placebo ermöglichen würde. Belege dafür ließen sich aber nur spärlich finden, sodass das Vorhandensein einer „Placebopersönlichkeit“ und damit die Vorhersagbarkeit eines Ansprechens auf ein Placebo auch als Mythos bezeichnet wurden (14). Die Diskussion über dieses Thema wurde jedoch kürzlich wesentlich bereichert durch die eingangs erwähnte Publikation, in der Furmark et al. eine genetische Disposition für das Ansprechen auf ein Placebo nachwiesen (2). Dabei konnte gezeigt werden, dass ein Polymorphismus zweier Gene, die eine wichtige Rolle im Serotoninstoffwechsel spielen, die Wirksamkeit einer Placebobehandlung bei sozialer Phobie bestimmt. So erlaubte der Tryptophan-Hydroxylase-2-Polymorphismus dabei eine statistisch signifikante Vorhersage des Placeboeffekts mit einer Trefferquote von 70,8 %. Da Serotonin in bestimmten Hirnarealen (zum Beispiel in der Amygdala = Mandelkern) bei der Pathogenese dieser Erkrankung und bei ihrer Therapie mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern nachweislich eine Rolle spielt, erscheint eine Beteiligung dieses Überträgerstoffes auch bei der Placeboantwort plausibel. Dabei jedoch, wie in vielen Medien geschehen, ganz allgemein von einem „Placebo-Gen“ zu sprechen, ist missverständlich und übertrieben. Diese genetisch bedingte Empfindlichkeit bezieht sich nämlich nur auf ein bestimmtes Krankheitsbild und einen spezifischen Wirkmechanismus.
Der Placeboeffekt ist bei verschiedenen Indikationen unterschiedlich stark ausgeprägt. Zwei retrospektive Analysen von insgesamt 156 klinischen Arbeiten ergaben, dass die Placebobehandlung einen signifikanten und wirksamen Effekt auf subjektive, aber kaum auf objektive kontinuierliche Endpunkte im Vergleich zur Nichtbehandlung hatte (15, 16). Allerdings konnte in einer Studie mit Hypertonikern gezeigt werden, dass systolische und diastolische Blutdruckwerte durch ein Placebo gesenkt wurden. Das traf sowohl für die klinische Messung durch den Arzt als auch für die automatische ambulante Messung zu (e3).
Placebos wirken weder auf subjektive noch auf objektive binäre (ja/nein) Endpunkte, wie zum Beispiel einen Rückfall nach Nikotinentzug (15, 16). Demgegenüber können Placebos bei subjektiven kontinuierlichen Endpunkten, wie sie bei Schmerzen vorliegen, hochwirksam sein. Allein die Information, ein starkes Schmerzmedikament zu erhalten, kann bei einem Patienten zu einem relevanten analgetischen Effekt führen. So haben britische Rheumatologen 198 placebokontrollierte Studien mit Arthrosepatienten analysiert und gezeigt, dass ein Placebo nicht nur die Schmerzen reduzierte, sondern auch die Funktion verbesserte und die Gelenksteifigkeit verringerte (17).
Wirkungsmechanismen von Placebos
Die Hauptmechanismen der Placebowirkung bestehen nach den heute vorherrschenden und gut belegten Theorien einerseits in bedingten Reflexen, andererseits in der Erwartungshaltung des Patienten (6). Es handelt sich also sowohl um unbewusste als auch bewusste Phänomene (Kasten gif ppt).
Bedingte Reflexe
Die Definition des bedingten Reflexes geht auf die historischen Untersuchungen von Pawlow zurück (e4). Er hatte in einer Versuchsanordnung an Hunden beobachtet, dass der Anblick von Futter die Magensaftsekretion stimuliert. Wurde das Futter gleichzeitig mit einem akustischen Signal präsentiert, genügte schon nach kurzer Gewöhnung das akustische Signal allein, um die Magensaftsekretion anzuregen. Nun haben die meisten Patienten in ihrem Leben die Erfahrung gemacht, dass die Einnahme eines Medikaments eine Besserung ihrer Beschwerden bewirkte. Wird daher bei neuerlichen Beschwerden wieder ein Medikament angeboten, wird unbewusst angenommen, dass es auch wieder hilft. Diese Einstellung hat zur Folge, dass auch ein Placebo wirksam werden kann. Wenn aber der Patient beobachtet, dass ihm die letzte Medikamenteneinnahme weniger geholfen hat als frühere, verringert sich diese positive Einstellung und damit auch die Wirkung der nächsten Placebogabe. Es kommt, anders ausgedrückt, zur Dekonditionierung (e5).
Erwartungshaltung
Im Unterschied zu dem unbewusst ablaufenden bedingten Reflex gibt es auch eine bewusste Erwartung des Patienten bei der Einnahme von Arzneimitteln. Die Verschreibung von Medikamenten durch den Arzt, die Ausführungen des Apothekers, die Kommentare von Verwandten und Bekannten und mögliche eigene Kenntnisse führen zu der bewussten Annahme, dass sich eine Besserung einstellen sollte. Bemerkenswert ist dabei, wie robust eine solche Erwartungshaltung sein kann. So wurde in einer Studie (e6) mit Placebos den Patienten sogar offen erklärt, dass sie nun eine Tablette ohne Wirkstoff erhielten. Einzig die Zusatzbemerkung, dass „das schon vielen geholfen hätte“, war erlaubt. Selbst nach der vorhergehenden objektiven Information über den fehlenden Wirkstoff war die Placebogabe dank dieser positiven Bemerkung bei 13 von 14 Patienten effektiv und reduzierte die subjektiven Symptome um 41 %. Der Einfluss der Erwartungshaltung auf therapeutische Effekte wird besonders deutlich, wenn Arzneimittel oder Placebos in einem „open-hidden paradigm“, also mit oder ohne Wahrnehmung ihrer Verabreichung durch den Patienten, untersucht werden (5).
Zusätzliche Faktoren
Verschiedene Faktoren können eine Placebowirkung modulieren. So ist erwiesen, dass Farbe, Größe und Form oral applizierter Arzneimittel einen Einfluss haben können (6). Die Farben rot, gelb und orange lassen dabei eine stimulierende, die Farben blau und grün einen beruhigende Wirkung erwarten (18).
Einen Einfluss hat auch der Preis: teure Medikamente wirken besser als billige (19). Dieses Phänomen lässt sich über das Beispiel Placebo hinaus in anderen Konsumsituationen nachweisen. So wurden in einer kürzlich publizierten Studie Probanden mehrere Weine angeboten, die lediglich durch die Angabe des Preises beschrieben wurden. Bei einer blind durchgeführten Verkostung schnitt derselbe Wein deutlich besser ab, wenn er als teurer offeriert wurde (20).
Weitere Faktoren bei der Placebogabe betreffen die Einflussnahme des Arztes auf die Einstellung des Patienten zu seiner Krankheit. Man kann sie unter dem Begriff „Kontexteffekt“ zusammenfassen (21). Darunter fallen sowohl sachliche medizinische Informationen durch den Arzt als auch seine persönliche Ausstrahlung und die Atmosphäre, in der die Behandlung stattfindet. So konnte in einer Studie bei 262 Patienten mit Reizdarmsyndrom Folgendes gezeigt werden (22): die erste Gruppe (I) wurde nur untersucht, die zweite (II) erhielt eine Scheinakupunktur, die dritte (III) eine Scheinakupunktur in Verbindung mit einem empathischen, vertrauensvollen Gespräch. In Gruppe II besserte sich die Symptomatik gegenüber Gruppe I signifikant, in Gruppe III war die Besserung der Symptomatik noch stärker als in Gruppe II, wobei zwischen Gruppe III und II ebenfalls ein signifikanter Unterschied bestand. Ein Bezug zwischen der positiven Erwartungshaltung des Arztes und dem Heilerfolg konnte hingegen bis jetzt nicht klar gezeigt werden, sodass die dafür vorgeschlagene Bezeichnung „Curaboeffekt“ (Curabo: „Ich werde heilen“) verfrüht erscheint (23).
Vorgetäuschte Placebowirkungen
Die Wirkung eines Placebos kann durch statistische Phänomene vorgetäuscht werden. Dazu zählen vor allem der Spontanverlauf einer Erkrankung und die Regression zur Mitte.
Spontanverlauf
Die meisten Erkrankungen zeigen einen mehr oder weniger ausgeprägten spontanen Verlauf, der durch einen Wechsel von Verbesserung und Verschlechterung der Symptome gekennzeichnet ist. Erfreulicherweise unterliegt diesem wechselnden Krankheitsgeschehen in der Mehrzahl der Fälle ein positiver Trend, also eine Heilungstendenz. Wird nun einem Patienten mit einem solchen Trend zur Gesundung ein Placebo verabreicht, kann es scheinen, dass diese Placebogabe der Besserung zugrunde lag (6). Das Problem besteht nun darin, eine geeignete Kontrolle zu definieren, weil ja üblicherweise für eine Behandlung mit einem Wirkstoff gerade das unwirksame Placebo als Kontrolle dient. Bei einer Analyse dieses Problems wird schnell klar, dass die Untersuchung der eigentlichen Placebowirkung schwierig bis unmöglich ist. So würde das Weglassen einer Placebogabe in der Vergleichsgruppe den doppelblinden Ansatz einer Studie unmöglich machen und beim Patienten wegen des offensichtlichen Fehlens einer Therapie negative Gefühle hervorrufen.
Regression zur Mitte
Dieses bei vielen biologischen Prozessen zu beobachtende Phänomen besteht darin, dass bei einer Gruppe, die aufgrund besonderer Eigenschaften definiert wurde, diese Eigenschaften bei einer späteren Überprüfung in der Regel weniger stark ausgeprägt sein werden (24). Wurden zum Beispiel für eine Arzneimittelstudie Patienten mit besonders starken Kopfschmerzen rekrutiert, so ist vorauszusehen, dass eine Kontrolluntersuchung nach einigen Wochen im Mittel weniger starke Kopfschmerzen ergeben wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass sehr starke Kopfschmerzen über die Zeit abnehmen, ist eben größer als dass sie noch weiter zunehmen. Ein anderes biologisches Beispiel ist die Tatsache, dass die Körpergröße von Kindern zwar mit der ihrer Eltern korreliert, aber nicht identisch ist. Das heißt, Kinder großer Eltern sind zwar größer als Kinder kleiner Eltern, aber nicht mehr genauso groß wie ihre Eltern (e7). Eine Regression zur Mitte kann also dazu führen, eine Placebowirkung anzunehmen, wo sie nicht existiert.
Wirkung von Nocebos
Über Noceboeffekte ist bisher wenig geforscht worden. Als Grund dafür wird angegeben, dass es ethisch nicht zu vertreten sei, Krankheiten bei Gesunden mithilfe des Noceboeffektes hervorzurufen. Der Noceboeffekt beruht wie der Placeboeffekt oft auf einer bewussten Erwartungshaltung. Sowohl die gedankliche Vorwegnahme eines zukünftigen Ereignisses, als auch die Größe der Erwartung beeinflusst das Ausmaß der Antwort auf ein Nocebo (9). So kann beim Patienten die Angst, dass bestimmte äußere Einwirkungen krank machen, zu entsprechenden Symptomen führen. Eine gängige Bezeichnung für dieses Phänomen ist „self-fulfilling prophecy“. Unspezifische Nebenwirkungen, die mit dem Nocebophänomen erklärt werden können, sind häufig diffuse leichte Beschwerden wie Übelkeit, Müdigkeit, Schlaflosigkeit und Bauchschmerzen, oder aber Symptome der zugrunde liegenden Erkrankung selbst (zum Beispiel Schmerzen).
Auch beim Noceboeffekt spielen bedingte Reflexe eine Rolle. So löst das Hormon Cholezystokinin bei psychisch bedingten Bauchschmerzen eine Schmerzreaktion im Gehirn aus. Diese Konditionierung, die ein durch Angst ausgelöster Botenstoff hervorruft, bringt dann beim Patienten die bei der Medikamenteneinnahme erwarteten Nebenwirkungen hervor (25).
Therapie mit Placebos
Placeboeffekte machen sehr wahrscheinlich einen Teil, wenn nicht die Gesamtheit der Wirkung von Alternativ- und Komplementärmedizin aus (1) (Grafik gif ppt). Da die bewusste Verabreichung eines Placebos zu therapeutischen Zwecken aber einen dem Patienten nicht bekannten Scheintatbestand schafft, ist aus grundsätzlichen, aber auch standesrechtlichen Überlegungen zu prüfen, ob eine gezielte Placebogabe nicht eine ethisch in jedem Einzelfall zu begründende Täuschung des Patienten darstellt (e8–e10).
Resümee
Im Rahmen einer schulmedizinischen Therapie gehört der Placeboeffekt zu einem wichtigen Werkzeug des Arztes. Diese Art der Placebowirkung sollte von ihrem negativen Beigeschmack befreit werden, weil sie doch sehr häufig dem Patienten hilft. Außerdem ist für den bewussten Einsatz der „Droge Arzt“ nur ein geringer zusätzlicher Zeitaufwand erforderlich, der durch den vermehrten Nutzen mehr als gerechtfertigt wäre. Wenn bei der Gabe von pharmakologisch wirksamen Präparaten soviel ärztliche Zuwendung erfolgte wie bei manchen komplementärmedizinischen Behandlungen, könnte die Wirksamkeit von Arzneimitteln verstärkt, die Dosis reduziert und die therapeutische Breite verbessert werden. Es wäre bedauerlich, wenn sich die Schulmedizin diesen möglichen therapeutischen Nutzen entgehen ließe und darauf verzichtete, durch diesen Ansatz mit wenig Aufwand große Wirkungen zu erzielen.
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 16. 3. 2009, revidierte Fassung angenommen: 28. 5. 2009
Anschrift für die Verfasser
PD Dr. med. habil. Matthias Breidert
Medizinische Klinik I, Kliniken im Naturpark Altmühltal, Klinik Kösching
Krankenhausstraße 19, 85092 Kösching
SUMMARY
Placebo: Misunderstandings and Prejudices
Background: The role of placebos is often misunderstood, leading both to overvaluation and to inappropriate disdain. The effect of a placebo that contains no pharmacologically active substance is often confused with the effect of administration by a physician. The aim of this article is to review the current data on placebos, evaluate these data critically, and provide a well-founded and understandable explanation of the effects that placebos do and do not possess.
Methods: Selective literature review.
Results: Recent studies employing modern imaging techniques have provided objective correlates of the effect of placebo administration for certain indications. A recent paper even suggested a genetic basis for it. Two main mechanisms underlie the effect of placebo administration: conditioned reflexes, which are subconscious, and the patient’s expectations, which are conscious. Further factors include the physician’s personality and the setting in which the treatment takes place.
Conclusions: The mechanisms of action of placebo administration, with which positive therapeutic effects can be achieved with little effort, should be consciously exploited by physicians when giving their patients pharmacologically active medications as well.
Key words: drug safety, drug research, treatment study, complementary medicine, medical prescriptions
Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2009; 106(46): 751–5
DOI: 10.3238/arztebl.2009.0751
@Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit4609
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
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Lehrstuhl für Angewandte Pharmakologie, Biozentrum, Universität Basel: Prof. Dr. med. Hofbauer
Lehrstuhl für Angewandte Pharmakologie, Biozentrum, Universität Basel: Prof. Dr. med. Hofbauer
Grafik
Kasten
Klinische Kernaussagen
1. | Shang A, Huwiler-Müntener K, Nartey L, et al. : Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homeopathy and allopathy. Lancet 2005; 366: 726–32. MEDLINE |
2. | Furmark T, Appel L, Henningsson S, et al. : A link between serotonin-related gene polymorphisms, amygdala activity, and placebo-induced relief from social anxiety. J Neurosci 2008; 28: 13066–74. MEDLINE |
3. | McQuay HJ, Moore RA: Placebo. Postgrad Med J 2005; 81: 155–60. MEDLINE |
4. | Schönbächler G: Placebo. Schweiz Med Forum 2007; 7: 205–10. |
5. | Enck P, Benedetti F, Schedlowski M: New insights into the placebo and nocebo responses. Neuron 2008; 59: 195–206. MEDLINE |
6. | Oeltjenbruns J, Schäfer M: Klinische Bedeutung des Placeboeffektes. Anaesthesist 2008; 57: 447–63. MEDLINE |
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9. | Barsky AJ, Saintford R, Rogers MP, Borus JF: Nonspecific medica-tion side effects and the nocebo phenomenon. JAMA 2002; 287: 622–7. MEDLINE |
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16. | Hrobjartsson A , Gotzsche PC: Is the placebo powerless? Uptodate of a systematic review with 52 new randomized trials comparing placebo with no treatment. J Intern Med 2004; 256: 91–100. MEDLINE |
17. | Zhang W, Robertson J, Jones AC, Dieppe PA, Doherty M: The placebo effect and its determinants in osteoarthritis—meta-analysis of randomised controlled trials. Ann Rheum Dis 2008; 67: 1716–23. MEDLINE |
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19. | Waber RL, Shiv B, Carmon Z, Ariely D: Commercial features of placebo and therapeutic efficacy. JAMA 2008; 299: 1016–7. MEDLINE |
20. | Plassmann H, O’Doherty JO, Shiv B, Rangel A: Marketing actions can modulate neural representations of experienced pleasantness. PNAS 2008; 105: 1050–4. MEDLINE |
21. | Di Blasi Z, Harkness E, Ernst E, Georgiou A, Kleijnen J: Influence of context effects on health outcomes: a systematic review. Lancet 2001; 357: 757–62. MEDLINE |
22. | Kaptchuk TJ, Kelley JM, Conboy LA, et al.: Components of placebo effect: randomised controlled trial in patients with irritable bowel syndrome. BMJ 2008; 336: 999–1003. MEDLINE |
23. | Graz B, Wietlisbach V, Porchet F, Vader JP: Prognosis or „curabo effect?“: physician prediction and patient outcome of surgery for low back pain and sciatica. Spine 2005; 30:1448–52. MEDLINE |
24. | Zwingmann C, Wirtz M: Regression zur Mitte. Rehabilitation 2005; 44: 244–51. |
25. | Benedetti F, Amanzi M,Vighetti S, Asteggiano G: The biochemical and neuroendocrine bases of the hyperalgesic nocebo effect. J Neurosci 2006; 26: 12014–22. MEDLINE |
e1. | Koshi EB, Short CA: Placebo theory and its implications for research and clinical practice: a review of the recent literature. Pain Practice 2007; 7: 4–20. MEDLINE |
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Minwegen, Romano
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Rapp, Reinhard
Reimann, Petra
Vetter, Thomas
Schiener, Michael
Breidert, Matthias