POLITIK
WeltAidsTag am 1. Dezember (2): Brennpunkt Osteuropa


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Durchschnittlich jeder Zweite von etwa 2,5 Millionen HIV-Infizierten, die in der Europäischen Union (EU) und den angrenzenden östlichen Nachbarländern leben, weiß nichts von seiner Infektion: Circa 30 Prozent beträgt dieser Anteil in der EU, etwa 70 Prozent in Osteuropa. Diese Patienten kommen meist erst dann zur Diagnose, wenn die Immundefizienz mit weniger als 200 CD4-Zellen/µl Blut schon weit fortgeschritten ist („Late Presenter“). „Dann sind Morbidität und Mortalität sehr viel höher als bei frühzeitiger Diagnose und Therapie“, sagte Prof. Dr. med. Jens Lundgren (Kopenhagen, Dänemark) beim Europäischen Aidskongress in Köln. Und: Personen, die ihren HIV-Status nicht kennen, übertragen das Virus mindestens dreimal so häufig wie HIV-Infizierte, die von ihrer Infektion wissen.
An Aids erkrankt
ist dieser 19-jährige
Mann, der in einem
Krankenhaus in
Sibirien behandelt
wird. Nur ein kleiner
Teil der HIV-Infizierten
hat Zugang zu
einer antiretrovi -
ralen Therapie.
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Furcht vor Stigmatisierung und Diskriminierung, mangelnder Zugang zum HIV-Test und zur HIV-Therapie sind in Europa nach wie vor Gründe für eine späte Diagnose beziehungsweise Therapiestart. Aber auch mangelnde staatliche Einsicht und Unterstützung wie in Russland verhindern eine adäquate Prävention. In Osteuropa und Zentralasien leben schätzungsweise 1,5 Millionen HIV-Infizierte, davon sind nach den Worten von Craig McClure, dem früheren Chef der Internationalen Aidsgesellschaft, mehr als 80 Prozent der Infektionen auf gemeinsam benutzte Spritzen beim intravenösen Drogengebrauch und sexueller Transmission von i.v.-Drogenkonsumenten zurückzuführen. Und 90 Prozent der HIV-Infizierten dieser Region leben in nur zwei Ländern: in der Ukraine (20 Prozent) und Russland (70 Prozent). In den westlichen Industrieländern stieg die Zahl der Neuinfektionen dagegen vor allem in der Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben, in Ländern südlich der Sahara finden Neuinfektionen vor allem über heterosexuellen Sex und vertikale Transmission statt.
Obwohl Russland sich 2008 auf dem G-8-Gipfel in Sankt Petersburg ebenfalls zu einer evidenzbasierten Präventionsstrategie mit Fokus auf den größten Risikogruppen verpflichtet hat, ist die Substitutionstherapie für i.v.-Drogenkonsumenten dort verboten. Aber russische Gesundheitspolitiker leugnen, dass eine Substitutionstherapie mit Methadon oder Buprenorphin wirksam HIV-Infektionen verhindern kann. Auch die Nadelaustauschprogramme in großen russischen Städten finanziert nicht die Regierung, sondern der Global Fund. Russland gehört zu den Ländern mit „mittlerem“ Einkommen, die eigentlich nicht vom Global Fund unterstützt werden. Trotzdem hat dieser aktuell die Finanzierung der Nadelaustauschprogramme um weitere zwei Jahre verlängert und hofft, in dieser Zeit die russische Regierung zum Umdenken zu bringen. Russland gehört seit Kurzem auch zu den Geldgebern des Global Fund.
Wladimir Mendelewitsch von der Kazan-State-Medical-Universität der Russischen Föderation bestätigte, dass die Drogenpolitik in der Föderation nicht internationalem Standard entspreche. Die Folge: In Russland nehmen etwa 2,5 Millionen Menschen Drogen. Zwischen 1998 und 2008 hat sich dort die Prävalenz der HIV-Infizierten von sieben auf 307 pro 100 000 Einwohner erhöht. Im vergangenen Jahr gingen dort 67 Prozent der HIV-Neuinfektionen auf Drogeninjektionen zurück.
McClure erinnerte daran, das die G-8-Staaten bis 2010 erreichen wollen, möglichst allen HIV-Infizierten eine Therapie zu ermöglichen, wenn sie sie brauchen. Von den circa weltweit 33 Millionen Menschen mit HIV/Aids erhalten derzeit nur 40 Prozent eine HIV-Therapie. Diese Berechnung basiert auf der Empfehlung, eine HIV-Therapie bei einem Schwellenwert von 200 CD4-Zellen/µl Blut oder einer Aids definierenden Erkrankung zu beginnen. Mittlerweile wird wegen der besseren Prognose jedoch ein Therapiestart bei weniger als 350 CD4-Zellen/µl empfohlen. Basierend auf diesen Empfehlungen haben nach den Worten von McClure aktuell nur zehn bis 20 Prozent der HIV-Infizierten Zugang zu einer antiretroviralen HIV-Therapie. Und 2010 ist nicht mehr weit.
Andrea Warpakowski
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