SUPPLEMENT: Reisemagazin
Südindien: Bei Mogli und Baghira
Dtsch Arztebl 2009; 106(49): [24]


In den Bäumen an der Piste durch den Urwald verabreden sich die Affen zur Menschenbeobachtung, doch die Tiger machen sich rar. Fotos: Helge Sobik, Indisches Fremdesverkehrsamt
Manchmal nur hört sie die wilden Elefanten aus dem Wald rufen, leise und aus weiter Ferne, wenn der Wind das Tröten her-überträgt. Zahlreich sind sie: Hunderte, viele mehr als Tiger und Panther zusammen. Sie trampeln durchs Dickicht von Indiens wildreichstem Nationalpark, pflücken Blätter, sind von den Safarigeländewagen aus gut zu beobachten. Genau wie die Affen, die die Autos manchmal ein Stück des Weges begleiten – und sich offenbar zu festen Zeiten zur Menschenbeobachtung in den Bäumen direkt an der Piste durch den Urwald verabredet haben und oftmals lautstark um die besten Plätze rangeln.
Irgendwo in diesen Wäldern wohnte Mogli mit Baghira, tanzte im Dschungel, sang auf den Lichtungen, sprach mit den Tieren der Wildnis. Vielleicht ist er hinter dem Vorhang aus Riesenbambus, aus Lianen und Laub noch immer zu Hause – und hat längst Enkel. Nur Balu der Bär ist ausgewandert. Denn Bären gibt es hier nicht mehr. Aber Tiger sind noch da, auch mehr als 110 Jahre nach Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“, mehr als 40 Jahre nach Walt Disneys Zeichentrick-Kinoversion der Abenteuer des kleinen Jungen aus dem Urwald – so viele wie kaum irgendwo anders in Indien: Etwa 80 Tiger leben im Nagarhole-Nationalpark, mehr noch im unzugänglicheren angrenzenden Bandipur-Nationalpark. Nur 1 200 sollen es in freier Wildbahn im ganzen Land insgesamt sein.
Ein Leben mit den Menschenkindern: Meenakshi arbeitet seit einiger Zeit als Hotel-Elefant am Kabini River.
Der Wald ist menschenleer, denn selbst die Dschungel-Ureinwohner vom Stamm der Kuruba mussten schon vor Jahren in neue Dörfer außerhalb der Nationalparkgrenzen umsiedeln, können dort Ackerbau treiben – aber dürfen kein geschütztes Wild mehr jagen. Ihre Götter sind in den Wäldern geblieben, und in den Augen der alten Kuruba-Leute kann man noch heute die Erinnerungen an das Leben im Wald lesen. Auch die Safari-Lodges für Urlauber, die gerade erst anfangen, Indien mit seinen alles in allem 54 Nationalparks als Alternative zu den Tierparadiesen Ostafrikas wahrzunehmen, dürfen nur außerhalb der Schutzgebiete errichtet werden. Der Dschungel gehört jetzt allein den Tieren – Besuch ist nur innerhalb einer schmalen festgelegten Zone, nur auf offiziellen Pisten und nur während des Tages erlaubt.
Äcker enden plötzlich, Kaffeeplantagen sind hier in Süd-Karnataka scharf gegen den Dschungel abgegrenzt, als hätte jemand mit dem Lineal eine kilometerlange Grenze der Nationalparks gezogen, die weder das Dickicht von der einen noch der große Nutzgarten von der anderen Seite überwinden darf. Wald duckt sich an die sanften Hügel, ist nicht übermäßig hoch, aber unwahrscheinlich dicht. Dumpfe Rufe gellen plötzlich durch den Tag, klingen wie seltsam elektronisch verstärkt – und kommen aus den Kehlen zweier Affenmännchen, die einander herausfordern: Sekunden später klatschen Zweige, wischen Blätter über den Himmel, herrscht Unruhe in den Baumkronen. Die beiden kämpfen. Und als wollten sie den einen oder den anderen anfeuern, kommen aus dem gesamten Umkreis immer mehr Affen durch die Kronen herbeigesprungen, jubeln, stöhnen als kommentierten sie jede Attacke genau. So plötzlich der Streit begann, so schnell ist wieder Frieden geschlossen. Die Stille ist zurück, ein paar Kraniche steigen auf, und tief unten gleitet ein Krokodil aus der Deckung ins Wasser. Es wartet auf Hirsche und Wildschweine, die zum Trinken kommen.
Nagarhole ist mit seinen 645 Quadratkilometern fast so groß wie Hamburg, Bandipur mit 880 Quadratkilometern sogar größer: nichts als Natur – ein Zoo ohne Gitter und ohne Scheiben. Trotzdem schauen sich manche der Besucher die Wunderwelt nur durch Glas an, als suchten sie dahinter Schutz: Ständig haben sie ihr Fernglas oder die Linsen von Foto- oder Videokamera vor den Augen, statt mal daran vorbeizuschauen. Es würde sich lohnen. „Tiger, Tiger!“, zischt plötzlich Wildnisführerin Dina Nisheer auf dem Beifahrersitz des offenen Geländewagens, springt auf, deutet in Richtung Bambuswäldchen. Es raschelt. Dürre Äste knacken irgendwo im Gebüsch. In der Ferne rennen Hirsche davon. Ein Affe kreischt und verschwindet, die anderen werden unruhig, halten dann wieder inne. Und Momente später ist alles wie vorher. Shir Khans Nachkomme hat es sich offenbar anders überlegt und ist wieder im Wald verschwunden.
Meenakshi sind Tiger egal. Sie hat noch nie einen gesehen. Sie will wahrscheinlich gar keinen sehen. In Goa gab es keine, und hier am neuen Arbeitsplatz sind es bloß die fremden Kumpel im Wald, denen sie ab und zu lauscht. Sie folgt den Rufen nicht: Weil sie keine Karotten mehr zugesteckt bekäme, dafür ihren Mahout Mohan verlassen, und weil sie auf die Nähe der Menschenkinder verzichten müsste. Helge Sobik
Informationen
Übernachtung: Drei Nächte in der Safari-Lodge „Orange County at Kabini“ mit Vollpension und zwei täglichen Pirschfahrten beim Spezialveranstalter Comtour (Internet www.comtour.de; Telefon: 0 20 54/9 54 70) Reisebaustein ab 670 Euro pro Person (ohne Flug).
Auskünfte: Indisches Fremdenverkehrsamt, Baseler Straße 48, 60329 Frankfurt/Main, Telefon: 0 69/2 42 94 90, Internet: www.india-tourism.com.
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.