SUPPLEMENT: PRAXiS
Forschungsprojekt VitaBIT: Pflegeservice von morgen
Dtsch Arztebl 2009; 106(50): [3]


Die SD-Karte CmCard/SD wird einfach im Mobiltelefon eingebaut und dient der Ver- und Entschlüsselung sensibler Patientendaten. Foto und Grafik: Wibu Systems AG
Circa 68 Prozent aller pflegebedürftigen Menschen werden zu Hause gepflegt: entweder von Angehörigen oder von Pflegediensten. Aufgrund der demografischen Entwicklung werden die Pflegefälle weiter zunehmen. Die Zahl der Pflegefachkräfte jedoch ist sehr begrenzt. Das Gesundheitswesen nutzt daher zunehmend die Informationstechnologie, um mittels Digitalisierung Kosten einzusparen und die Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wie lässt sich die ambulante Pflege in Effizienz und Qualität verbessern? Und wie können die besonders sensiblen Daten geschützt werden?
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie fördert im Rahmen des Programms „SimoBIT – sichere Anwendung der mobilen Informationstechnik (IT) zur Wertschöpfungssteigerung in Mittelstand und Verwaltung“ zwölf Forschungs- und Entwicklungsprojekte in Gesundheitswirtschaft, Maschinenbau, öffentlicher Verwaltung, Handwerk und kleinen Unternehmen. Mobile Multimediadienste sollen die Produktivität und Qualität steigern sowie Kosten und Zeit einsparen. Das Forschungsprojekt VitaBIT will dies für die ambulante Pflege umsetzen.
Vor dem Projektstart im Juli 2007 stellte das VitaBIT-Konsortium fest, dass der Informationsaustausch zwischen Pflegekräften, Pflegedienstleitung, Hausarzt und Angehörigen sehr ineffizient ist. Deswegen schlossen sich vier Unternehmen und eine Forschungsinstitution zusammen, um eine flexible und mobile IT-Plattform für effektiveres Arbeiten der Pflegedienste zu entwickeln (Kasten). Angestrebt wird eine Verringerung bürokratischer Prozesse. Dabei soll die IT-Lösung sicher sein sowie im Hintergrund zuverlässig und unbemerkt funktionieren, damit alle Beteiligten vertrauensvoll und gerne damit arbeiten. Mittelfristig können Ärzte vom schnellen Zugriff auf Informationen und der besseren Zusammenarbeit mit Pflegediensten profitieren.
Innovation durch Vernetzung
Im ersten Schritt entwickelt das Projektkonsortium eine offene, mobile Plattform für das Pflegewesen, über die Berechtigte jederzeit schnell auf Pflegeakten zugreifen können. Dies ist vor allem bei Notfällen ein entscheidender Faktor. Eine effizient aufgebaute Dokumentation soll den Pflegern am Ende mehr Zeit für die Arbeit mit dem Patienten einbringen. Beliebige weitere Akteure wie Apotheken, Kranken- und Pflegekassen können im zweiten Schritt zusätzlich angeschlossen werden.
Die VitaBIT-Plattform ermöglicht das Zusammenspiel von Dokumentation, Telemedizin, Kommunikation und Sicherheitselementen. Durch die Anbindung von Sensoren und mobilen Endgeräten können die Vitaldaten des Patienten in Echtzeit erfasst und in einer digitalen Pflegeakte gespeichert werden. Sind alle Daten in der Pflegeakte lückenlos dokumentiert, können sie als Nachweis bei rechtlichen Fragen berücksichtigt werden. Wichtig im Konzept ist die Hardware: Der Pfleger nutzt ein mobiles Endgerät, beispielsweise ein Mobiltelefon, das einfach zu bedienen ist und das zuverlässig mit bekannten Messgeräten funktioniert. Die Sicherheit wirkt unsichtbar im Hintergrund.
Die flexible und mobile VitaBIT-Plattform verknüpft die beteiligten Parteien. Weitere Akteure wie Apotheken, Kranken- und Pflegekassen können im nächsten Schritt integriert werden.
Das VitaBIT-Konzept ist so aufgebaut, dass die Pflegekräfte verschiedene mobile Endgeräte einsetzen können, wie etwa ein Handy mit integriertem Fotoapparat und Bluetooth-Schnittstelle oder einen digitalen Stift.
Die Pflegedienstleitung benötigt Daten zur Pflegelogistik: wer wann wo bei welchem Patienten eingesetzt ist und welche Aufgaben dort zu erfüllen sind. Tritt ein pflegerischer Notfall ein, wird über die VitaBIT-Plattform festgestellt, welche Pflegekraft in der Nähe des Patienten ist und wie sie am besten zum Einsatzort kommt. Danach wird sie über das Mobiltelefon informiert.
Weil das Mobiltelefon weitverbreitet ist, eignet es sich besonders gut als mobiles Endgerät: Es ist einfach zu bedienen und wird ohnehin von der Pflegekraft mitgeführt. Das Handy arbeitet ähnlich wie ein Laptop: Neben der Zeiterfassung wird bei jedem Patienten die Leistungserfassung digital angezeigt. Die erfassten Daten, wie Berichteblatt oder Messwerte, werden sofort bei der Pflegedienstleitung in der jeweiligen Pflegeakte hinterlegt. Die Fotofunktion des Handys hilft bei der Wunddokumentation, und das Blutdruck- oder Blutzuckermessgerät kann per Bluetooth-Verbindung die Vitaldaten direkt an das Handy übermitteln: Die Eingabe per Hand entfällt. Ist die Pflegekraft am Ende der Tour zurück in der Pflegestation, werden die Patientendaten automatisch übertragen und der entsprechenden elektronischen Patientenakte zugeordnet.
Der Pfleger schreibt mit dem digitalen Stift die Daten in die Pflegeakte, die in Papierform immer beim Patienten bleibt. Somit liegen die Daten doppelt vor. Die mit dem Stift aufgezeichneten Informationen werden in die Pflegeakte übernommen. Danach können sowohl Pflegedienstleiter als auch Arzt in Abhängigkeit ihrer Berechtigung die Gesundheitswerte lesen. Es geht dabei um Daten wie Medikamenteneinnahme, Flüssigkeitszufuhr oder Blutzuckerwerte.
Einbindung des Hausarztes
Die Digitalisierung der Pflegeakte unterstützt den Hausarzt und entlastet ihn von bürokratischen Prozessen. Er hat jederzeit die relevanten Informationen gesammelt in der Pflegeakte und muss nicht warten, bis die benötigte Information separat per Fax zu ihm kommt. Mittels Authentifizierung erhält er Zugriff auf alle Vitaldaten und die komplette Dokumentation seines Patienten, nachdem dieser seine Zustimmung erteilt hat.
So sieht der Arzt beispielsweise die Fotos zur Wunddokumentation oder die Vitalwerte und entscheidet, ob ein Hausbesuch notwendig ist, der Patient zur Sprechstunde kommen muss oder die Pflegekraft die Behandlung weiterführen soll. Alternativ oder ergänzend kann er auch Kommentare einfügen. Durch diese Informationen kann er ferner beim Quartalswechsel besser entscheiden, ob die Behandlung fortgesetzt oder verändert werden muss.
Im Frühjahr 2010 wird die Pflegeplattform im Feldtest von der Sozial- und Diakoniestation Weinstadt erprobt. Die Lösung soll dazu beitragen, dass die Pfleger sich auf ihre pflegerische Arbeit konzentrieren können und von Routinetätigkeiten und Bürokratie entlastet werden. Arbeitsprozesse werden flexibel gestaltet, Informationen stehen unterwegs und bei der Pflegedienstverwaltung jederzeit und bedarfsgerecht zur Verfügung. Wichtig ist, dass die Sicherheit der sensiblen Daten kontinuierlich gegeben ist und die Nutzungsrechte richtig zugewiesen sind. Hausärzte und Angehörige können ständig aktuelle Informationen über den Zustand des Pflegebedürftigen erhalten und den Pflegediensten wird die effiziente Planung der Pflege erleichtert. Eine detaillierte Historie hilft auch bei der Pflegeeinstufung. Oliver Winzenried,
E-Mail: info@wibu.com