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Hilfseinsatz in der Zentralafrikanischen Republik: In der Mitte von Nirgendwo


Das Hospital Paoua – 2006 übernahm Ärzte ohne Grenzen das 80-Betten-Haus kommissarisch.
Fotos: Jörg F. Kustermann
Fotos: Jörg F. Kustermann
Die Ausrüstung, die Médecins sans Frontières (MSF; Ärzte ohne Grenzen) hierher in das Krankenhaus gebracht hat, ist einfach, aber funktionell. Ich arbeite teilweise mit Narkosemitteln, die bei uns nicht mehr eingesetzt werden, die mir aber aus meiner Ausbildungszeit vor 20 Jahren und meinen früheren Afrikaaufenthalten wohl vertraut sind. Die Apparate sind sehr einfach, ich komme gut mit ihnen zurecht.
Paoua heißt die Stadt im Nirgendwo. Sie liegt im äußersten Nordosten der Zentralafrikanischen Republik. Ich muss gestehen, dass ich anfangs gar nicht so genau wusste, wo dieses vergessene Land eigentlich liegt. Obwohl seine Fläche mehr als doppelt so groß wie die von Deutschland ist, zählt die Bevölkerung nur vier Millionen Menschen.
Verschnaufpause: Jörg F. Kustermann (50), Vater von fünf Kindern, ist seit sechs Jahren niedergelassen in einem Anästhesieteam
in Ulm.
Während meines fünfwöchigen Aufenthalts war es aber recht ruhig. Nur zweimal spitzte sich die Lage kurzzeitig zu. Einmal wurde ein hochrangiger Rebellenführer mitten am Tag in unserer unmittelbaren Nachbarschaft erschossen. Eine Woche später massakrierten sich Straßenräuber und Händler auf dem Markt in der Hauptstadt Bangui gegenseitig, 25 Tote und mehr als 50 Schwerverletzte binnen einer Stunde.
Die Kinderstation – nur selten haben Schwerstkranke ein
eigenes Bett.
Die Patienten, die zu uns kommen, haben zum Teil weite Wege zu Fuß zurückgelegt. Es gibt keine motorisierten Fahrzeuge, außer denen der Hilfsorganisationen und ein oder zwei Lastwagen. Die Leiden der Patienten müssen enorm sein, wenn sie sich manchmal über mehrere Tage ins Hospital schleppen; und das mit Krankheitsbildern, die für Europäer nahezu unbekannt geworden sind.
In einer schwierigen Zeit hatte MSF das Krankenhaus übernommen, seine Funktionstüchtigkeit wiederhergestellt und Schritt für Schritt in die Hände der lokalen Behörden zurückgegeben. Inzwischen sind nur noch wenige Schlüsselpositionen mit ausländischen Helfern besetzt.
Unser Ärzte-ohne-Grenzen-Team ist eine bunte, internationale Gruppe. Natalie (Krankenschwester), Isabelle (Projektleiterin) und David (Logistiker) kommen aus Frankreich, Mauro (Verwaltung) stammt aus Italien, Beky (Pharmazeutin) aus Ghana, Paul (Arzt) aus dem Kongo, Charly (Arzt) von der Elfenbeinküste, Edgar (Chir-urg) aus Luxemburg und ich aus Schwaben. Die „Verkehrssprache“ ist französisch. Meines hatte in den letzen Jahren doch etwas gelitten. Trotzdem komme ich zurecht, schaffe es sogar, einfache kleine Fortbildungen am Nachmittag oder Wochenende abzuhalten. Der Zusammenhalt in der Equipe ist großartig, die Einsatzbereitschaft beispielhaft. Oft arbeiten wir bis in den Abend, auch am Wochenende. In der freien Zeit pflegen wir Kontakte zu befreundeten Hilfsorganisationen am Ort, besuchen die Schule und die Kirche, um mit Unterstützung des Rektors oder des Pfarrers freiwillige Blutspender für unsere chronisch klamme Blutbank zu gewinnen.
Wieder ruft es über Funk. Im Krankenhaus braucht man uns dringend zum Kaiserschnitt. In wenigen Minuten holpert der Toyota-Geländewagen zum Krankenhaus. Natürlich geht hier alles etwas langsamer, was nicht verwundern darf, wenn man bedenkt, dass es kein öffentliches Telefonnetz, weder Strom-, Wasser- noch Abwassernetz gibt. Die nächste asphaltierte Straße liegt Hunderte von Kilometern entfernt. Es dauert, bis alle Mitglieder des OP-Teams den Weg in der Dunkelheit aus ihren Hütten ins Hospital gefunden haben. Alles geht diesmal gut, was leider nicht immer der Fall ist. Manchmal ist ein Kind bereits tot, wenn wir endlich eintreffen, manchmal gelingt die Reanimation des Neugeborenen. Es ist kaum vorstellbar, wie schnell sich die Neugeborenen dann auch von so einem Ereignis erholen. Auch die Mütter überleben trotz massiver Blutverluste (mit Hb-Werten von 3,0 g/l im Schock), die bei uns den Einsatz von Blutkonserven und Intensivtherapie notwendig machen würden. Sie überleben nicht nur, sondern sie sind unbeschwert glücklich, lachen am nächsten Morgen und stillen ihren wiederbelebten Säugling, als hätte es keinen nächtlichen Überlebenskampf gegeben.
Morgen früh werde ich wieder laufen gehen. Gegen fünf Uhr stehe ich auf, schlüpfe in die Laufschuhe, solange die anderen noch schlafen, warte die erste Morgendämmerung ab, schnappe mir das Handfunkgerät und renne kilometerweit die Piste entlang, weiter als es eigentlich erlaubt ist. In den Dörfern kommen die Kinder angerannt, laufen neben mir her, rufen „Moschu, Moschu“, was „ein Weißer, ein Weißer“ heißt und aus Kindermund fast gleich klingt wie „beau jour, beau jour“. Da sehe ich sie wieder, die leuchtenden Augen Afrikas, diesmal hoffnungsvoll und unbeschwert. Diese jungen Menschen sollen eine bessere Zukunft haben, dafür sind wir hier.
Dr. med. Jörg F. Kustermann
Das Spendenkonto von Ärzte ohne Grenzen: Bank für Sozialwirtschaft, BLZ: 370 205 00, Konto-Nr.: 97 0 97
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