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Gesundheitspolitik: Schwarz-Gelb auf der Rüttelstrecke


Heinz Stüwe, Chefredakteur
Aber inzwischen hat die Regierung auch in der Gesundheitspolitik eine schlechte Presse, auch hier lautet der Vorwurf vor allem an die Adresse der FDP, sie betreibe Klientelpolitik. Zum Beispiel für die Pharmaindustrie, indem sie mit Prof. Dr. med. Peter Sawicki, dem Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), einen mutigen Streiter für die Interessen der Patienten und Beitragszahler kaltstelle. Aber rechtfertigt es eine pharmakritische Haltung, im korrekten Umgang mit Versichertengeldern andere Maßstäbe anzulegen als bei Vorständen einer Kassenärztlichen Vereinigung oder einer Krankenkasse? Zudem ist es sehr die Frage, ob nun in Erfüllung geht, was sich die Pharmaindustrie mit einem „Neuanfang beim IQWiG“ erhofft (siehe Beitrag in diesem Heft). Rösler plädiert jedenfalls sogar für eine „stärkere Kosten-Nutzen-Bewertung“ bei Arzneimitteln.
Wirbel hat auch eine andere Personalentscheidung verursacht. Einen leitenden Mitarbeiter des Verbandes der privaten Krankenversicherung hat Rösler zum Leiter der Grundsatzabteilung des Ministeriums gemacht. Dass die Opposition das als Beleg für eine Politik zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wertet, kann niemanden überraschen. Aber bewahrheiten muss es sich deshalb nicht. Einem anerkannten Fachmann, der bisher als Lobbyist gearbeitet hat, zu unterstellen, er eigne sich nicht für das Ministerium, also für eine am Gemeinwohl orientierte Arbeit, ist unfair.
Nun wird Rösler – die 100 Tage Schonzeit, die jedem neuen Ressortchef zustehen, sind noch nicht einmal ganz vorüber – sogar dafür verantwortlich gemacht, dass Millionen gesetzlich Versicherte in diesem Jahr erstmals acht Euro Zusatzbeitrag zahlen müssen. Dabei ist der Minister weder für die verkorkste Konstruktion des Zusatzbeitrags noch für das Milliarden-defizit der GKV in diesem Jahr verantwortlich. Aber das interessiert niemanden, in der Gesundheitspolitik geht es rau zu, wie Rösler zu spüren bekommt. Die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, fordert ein Kostendämpfungsgesetz und eine Rückkehr zur Kopplung der Ausgaben an die Grundlohnsummenentwicklung. Aber nicht nur die Kassenchefs werden langsam unruhig. Tatsächlich helfen wohlklingende Reden nicht weiter. Rösler muss jetzt Politik betreiben, wenn er die Rüttelstrecke bald hinter sich lassen will. Er hat den richtigen und ambitionierten Anspruch, nicht in eine Kostendämpfungspolitik herkömmlicher Prägung zurückzufallen. Ihm schwebt ein System der Anreize vor, das sich großenteils selbst steuert. Man muss ihn beim Wort nehmen.
Heinz Stüwe
Chefredakteur
Rupprecht, Lothar
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