ArchivDeutsches Ärzteblatt4/2010Von schräg unten: Gewichtsabnahme

SCHLUSSPUNKT

Von schräg unten: Gewichtsabnahme

Böhmeke, Thomas

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Es ist schön, wenn Dinge zunehmen. Beispielsweise die Anzahl der Autobahnspuren um Köln herum, so dass diese schöne Stadt weniger häufig mit Verkehrsstaus in Verbindung gebracht wird. Oder Regelleistungsvolumina, denn bei stetem Wachstum lohnt sich irgendwann mal die Arbeit im dritten Monat des Quartals. Es kann aber durchaus unschön sein, wenn die Dinge stark zunehmen. Die Staatsverschuldung beispielsweise, die eigentlich unsere, also Steuerzahlers Miese sind. Oder der Body-mass-Index, der, meist hoch in den Dreißigern oder auch mal gewaltige 40, gesundheitliche Katastrophen und ein baldiges Ende signalisiert. Wenn Hüftgold und Schnitzelgrab, der Pommes letzte Ruhestatt auf einen überforderten Stoffwechsel treffen und Gefäße wie Gelenke, Prognose wie Perfusion zusammenbrechen lassen, sind unsere Künste gefragt. Denn die Höhe des Körpergewichts ist bekanntermaßen direkt proportional zur Beratungsrefraktärität, und diese gilt es zu durchbrechen.

Wie auch bei meinem diabetischen Patienten, der mühevoll seine überzähligen Kilo in das Sprechzimmer wuchtet. Ich versuche zunächst im Guten, meinen Schutzbefohlenen von den Vorzügen des Normalgewichts zu überzeugen, und gebe alles, was die Wissenschaft zwischen Dtsch Ärztebl Int 2009; 106(40): 641–8 und dem PROCAM-Score zu bieten hat. „Herr Doktor, ach, das sind doch meine schweren Knochen, da kann ich doch nichts für!“ Meine Miene verfinstert sich, die Medizinische Fachangestellte ist besorgt: „Herr Doktor, Ihr Blutdruck!“ Der ist mir egal, ich gehe in die Offensive, drohe mit Herzinfarkt und Schlaganfall. Der Patient meint nur: „Wenn Sie wüssten, was ich esse, davon wird nicht mal eine Krähe satt!“ Mein Blutdruck übersteigt gefühlte 250 mmHg systolisch, die Fachangestellte versucht, mich zu bremsen: „Herr Doktor, Ihr Herz!“ Auch das ist mir gleichgültig, ich male des Patienten Schicksal zwischen Arthro- und Angiopathie in den wüstesten Farben aus, aber es lässt ihn kalt: „Das liegt doch bei mir in den Genen, das ist nun mal so!“ Bevor mein Blutdruck die 300 mmHg systolisch zu überschreiten droht, greift meine verzweifelte Fachangestellte zum allerletzten Mittel: „Herr Doktor, Ihr Regelleistungsvolumen!“ Superb! Denke ich und erkläre dem Patienten, dass er aufgrund seines Übergewichts meinen praxisindividuellen Morbiditätsfaktor derart gesteigert habe, dass ich weder Fallzahlbegrenzung noch Leistungsabstaffelung zu fürchten habe. „Also, Herr Doktor, dass Sie an meinem Übergewicht verdienen, das geht ganz und gar nicht! Ich gehe auf Nulldiät!“ Soll noch einer sagen, das Regelleistungsvolumen würde zu nichts taugen.

Dr. med. Thomas Böhmeke ist niedergelassene Kardiologe in Gladbeck.

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