ArchivDeutsches Ärzteblatt5/2010Mindestmengen in der Chirurgie: Bislang eher ein zahnloser Tiger

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Mindestmengen in der Chirurgie: Bislang eher ein zahnloser Tiger

Soleimanian, Antje

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LNSLNS Dass hohe Fallzahlen die Ergebnisqualität in der Chirurgie verbessern, ist nach wie vor nicht wasserdicht belegt. Ihre Auswirkungen auf die Versorgungswirklichkeit werden hingegen allmählich sichtbar.

Was man selten gewöhnlich tut, wird gewöhnlich selten gut“ – mit einem Zitat frei nach Wilhelm Busch eröffnete Prof. Dr. med. Hans-Joachim Meyer von der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Städtischen Klinikum Solingen die Diskussion über die Auswirkungen der Mindestmengenvereinbarung in der Chirurgie beim 16. Konvent der Leitenden Krankenhauschirurgen (siehe Kasten) Mitte Januar in Hamburg.

Für sechs operative Eingriffe sind in Deutschland per Gesetz Mindestmengen vorgeschrieben: Seit Inkrafttreten der Mindestmengenvereinbarung des Gemeinsamen Bundesausschusses im Jahr 2004 dürfen komplexe Eingriffe am Pankreas und am Ösophagus nur an Krankenhäusern durchgeführt werden, die jährlich mindestens zehn dieser Operationen nachweisen können. Für die Transplantation von Leber, Niere oder Stammzellen gelten Mindestmengen von 20 beziehungsweise 25 Eingriffen pro Jahr, für Knietotalendoprothesen liegt die geforderte Mindestzahl seit 2006 bei 50 Eingriffen pro Jahr.

Für einen positiven Effekt hoher Fallzahlen („High-volume-Chirurgie“) auf die Ergebnisqualität einer Einrichtung gebe es noch keine wasserdichten Belege, betonte Meyer: „Es gibt vielmehr Hinweise darauf, dass ein intensives interdisziplinäres Training die postoperative Letalität ebenso deutlich senkt wie die High-volume-Chirurgie.“ Dennoch führe die Mindestmengenvereinbarung bereits zu deutlichen Umverteilungseffekten auf der Patientenebene: Schließlich erfüllten beispielsweise nur die Hälfte aller Krankenhäuser mit mehr als 600 Betten und 25 Prozent der kleineren Häuser die vorgeschriebenen Mindestmengen, um Ösophagusresektionen anbieten zu dürfen, sagte der Solinger Chefarzt.

Allerdings gebe es immer noch eine Reihe von Schlupflöchern, mit denen chirurgische Kliniken die Mindestmengenvorgaben umgehen könnten: „Es gibt zum Beispiel Übergangsfristen, wenn eine Klinik die Gründung eines Zentrums plant. Gleiches gilt, wenn der Chefarzt wechselt“, erläuterte Meyer seinen Kollegen. Auch die geschickte ICD- oder OPS-Codierung von Eingriffen könne einer Klinik helfen, die vorgeschriebenen Mindestmengen zu erfüllen.

Vor diesem Hintergrund sorgen sich die chirurgischen Chefärzte auch eher um die Auswirkungen der Mindestmengenvereinbarung auf die chirurgische Weiterbildung. Angehende Viszeralchirurgen könnten ihre Facharztweiterbildung künftig nicht mehr in einem einzigen Krankenhaus absolvieren, weil sie nicht alle vorgeschriebenen Eingriffe der Weiterbildungsordnung dort erlernten. „Ärzte in Weiterbildung werden rotieren müssen“, prognostizierte Meyer. Die logistischen Probleme, die sich hieraus ergäben, hielten sich in der Regel allerdings in Grenzen: „Komplexe Eingriffe wie die Ösophagus- oder Pankreasresektion machen nur einen geringen Anteil der chirurgischen Weiterbildung aus.“

Ohnehin dürfe die Mindestmengenregelung nicht im Widerspruch zur chirurgischen Weiterbildungsordnung stehen und ebenso wenig die flächendeckende Versorgung gefährden. Zudem gälten die gesetzlichen Mindestmengen nur für planbare Leistungen, nicht aber für Akuteingriffe. „Auf lange Sicht wird die Mindestmengenvereinbarung zwar die Spezialisierung chirurgischer Krankenhausabteilungen und die Bildung von Zentren vorantreiben, doch sie erfordert keine unmittelbare Spezialisierung. Bislang ist die Mindestmengenregelung eher ein zahnloser Tiger“, schloss Meyer.
Antje Soleimanian

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