THEMEN DER ZEIT
Wilhelm Fabry (1560–1634): Wundärzte – die Geschichte einer verdrängten Berufsgruppe


Foto: Stadt Hilden
Der Begriff „Wundarzt“ bezeichnet – im Unterschied zum Terminus „Arzt“ – einen handwerklich ausgebildeten Chirurgen. Wundärzte gehörten vom Mittelalter bis weit in das 19. Jahrhundert hinein zu den wichtigsten Anbietern medizinischer Dienstleistungen. Sie absolvierten im Regelfall eine handwerkliche Lehre bei einem Bader oder Barbier, der sich eine Gesellenprüfung und mehrere Wanderjahre anschlossen. Vor allem äußere Wunden und Verletzungen, aber auch Abszesse, Tumoren, Hämorrhoiden, Varizen, Verbrennungen oder Erfrierungen fielen im vormodernen Gesundheitswesen in den Zuständigkeitsbereich der Wundärzte. Sie führten bei Bedarf Amputationen durch und stellten Prothesen her; teilweise spezialisierten sie sich auf Starstiche, Blasenstein- und Bruchoperationen sowie Darmnähte, versorgten Knochenfrakturen, extrahierten Zähne oder renkten Gelenke ein.
Ärzte nahmen keine chirurgischen Eingriffe vor
Das Gros der Wundärzte war in Zünften organisiert. Daneben stand ein kleinerer Teil der Chirurgen in Diensten bei Hof, beim Militär oder in Städten. Andere zogen als Wanderchirurgen durch das Land. Die Aufgabenbereiche der akademischen Mediziner und der in der Heilerhierarchie nachgeordneten handwerklichen Wundärzte waren in der Vormoderne strikt voneinander getrennt. In der frühen Neuzeit wurde die Chirurgie zwar theoretischer Gegenstand der akademischen Ärzteausbildung, jedoch oblag die praktische Durchführung chirurgischer Maßnahmen den Wundärzten; bestimmte Verrichtungen durften dennoch nur unter Aufsicht eines gelehrten Arztes vorgenommen werden. Während akademische Ärzte in der Regel keine chirurgischen Eingriffe vornahmen, war es den Wundärzten untersagt, Innere Medizin zu betreiben.
Wie passt nun der berühmte Hildener Chirurg Wilhelm Fabry (Foto), dessen Geburtsjahr sich 2010 zum 450. Mal jährt, in dieses differenzierte Gefüge medizinischer „Dienstleister“? Fabry ist insofern ein mustergültiger Vertreter vormoderner Wundarzneikunst, als er eine handwerkliche, nichtakademische Ausbildung durchlaufen hat. Außergewöhnlich sind dagegen seine fachliche Bedeutung, sein Bekanntheitsgrad in der zeitgenössischen Wundarzneikunde und sein „Nachruhm“.
Fabry, 1560 geboren als Sohn des Hildener Gerichtsschreibers Peter Drees und dessen Ehefrau Margarethe „in der Schmitten“, trat im Jahr 1576 bei dem Wundarzt Johann Dümgens in Neuss in die Lehre. Um die Jahreswende 1579/80 war die Lehrzeit beendet, und Fabry wurde 1580 Gehilfe des renommierten Cosmas Slotanus, Wundarzt des Herzogs Wilhelm von Jülich, Kleve und Berg tätig. Unter Slotanus’ Leitung entwickelte Fabry ein nachhaltiges Interesse am Studium des menschlichen Körpers. Offenbar wurde Fabry von Slotanus auch dazu angeregt, den Verlauf und die Therapie außergewöhnlicher Erkrankungen aufzuzeichnen. Zumindest sind aus dieser Zeit etliche Krankengeschichten aus Fabrys Feder erhalten. Während seiner Gehilfenzeit unternahm Fabry zahlreiche Konsilsreisen, die seine zunehmende Selbstständigkeit dokumentieren. 1585 schloss Fabry eine etwa 14-jährige Wanderzeit an – auch dies eine durchaus typische berufliche Entwicklung –, die ihn nach Metz, Genf, Hilden, Köln und Lausanne führte. 1599 kaufte sich Fabry in Köln in die Zunft der Barbiere ein. Von 1602 bis 1610 hatte er das Amt des Stadtwundarztes in Payerne (Schweiz), und von 1611 bis 1615 war er in gleicher Funktion in Lausanne tätig. Von 1615 bis 1634 arbeitete Fabry im Auftrag des Rates als Städtischer Chirurg in Bern, 1618 wurde er zudem zum Leibwundarzt des Markgrafen von Baden-Durlach ernannt. Fabry starb am 15. Februar 1634 im Alter von 73 Jahren in Bern.
Einer der einflussreichsten Wundärzte seiner Zeit
Fabry gehörte zu den einflussreichsten Wundärzten seiner Zeit. Bezeichnend für sein Wirken ist die Einschätzung, dass die Anatomie den Schlüssel zur Chirurgie darstellte. Er verfasste etwa 20 medizinische Werke, darunter die Observationum et Curationum Chirurgicarum Centuriae, eine berühmte Sammlung von Fallberichten. Insgesamt verfasste er ab 1610 sechs „Centurien“. Seine vielfältigen weiteren Schriften beschäftigen sich unter anderem mit der Gangrän (1593), der Dysenterie (1602), der Feldchirurgie (1607) und der Blasensteinchirurgie (1626). Darüber hinaus verfasste er geistliche Lieder, die der christlichen Erbauung dienen sollten.
Verdrängung der wundärztlichen Berufsgruppe
Kehren wir nun vom „Erfolgsmodell“ Wilhelm Fabry zurück zur wundärztlichen Berufsgruppe. Wie wir heute wissen, hatte ihr Erfolg keinen Bestand. Heutzutage befindet sich die Chirurgie vollständig in den Händen akademisch ausgebildeter Ärzte, und die Chirurgie gilt längst als ein zentrales Fachgebiet der universitären Medizin. Was aber begründete den Niedergang des Wundärztestandes?
Um 1800 unterlag das Medizinalwesen in den meisten deutschen Staaten einer umfassenden Modernisierung und Zentralisierung. Dabei wurde die Vorrangstellung der akademischen Ärzte festgeschrieben und der Tätigkeitsbereich der Wundärzte sukzessive eingeschränkt. Besonders deutlich lässt sich diese Entwicklung am Beispiel Württembergs nachzeichnen – der traditionellen „Hochburg“ wundärztlicher Tätigkeit: Hier trat 1814 ein Gesetz in Kraft, das die bis dahin übliche Differenzierung in Barbiere und Bader aufhob und stattdessen Richtlinien für die Schaffung von vier wundärztlichen Klassen mit abgestuften Kompetenzen erließ. Ab 1830 wurden nur noch drei wundärztliche Befugnisklassen zugelassen, und 1858 legte Württemberg dann in einer weiteren Verordnung fest, dass neben den akademischen Ärzten, die eine zusätzliche Ausbildung in der Chirurgie absolviert hatten, nur noch eine Klasse von Handwerkschirurgen existieren sollte, für welche die vielsagende Bezeichnung „niedere Wundärzte“ eingeführt wurde. Seit 1873 wurden keine Wundärzte mehr zugelassen; die bereits praktizierenden handwerklichen Chirurgen durften weiterhin tätig bleiben. Zu diesem Zeitpunkt war übrigens in Preußen längst das gesetzliche Aus für den Wundarztberuf verfügt worden. Da die Ausgrenzung der Handwerkschirurgen aus der Heilkunde in den meisten deutschen Staaten deutlich früher erfolgte als in Württemberg, kam den dortigen Wundärzten eine absolute Sonderstellung zu: Bereits 1876 war jeder dritte deutsche Handwerkschirurg in Württemberg tätig, und bis 1898 stieg der Anteil der württembergischen Wundärzte an der Gesamtzahl der Handwerkschirurgen des Deutschen Reiches auf zwei Drittel an.
Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik Gross
Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
@Quellen und Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit0710
Hilden feiert seinen Sohn
Aus Anlass des 450. Geburtstags des berühmten Wundarztes Wilhelm Fabry unternimmt die Stadt Hilden 2010 eine Reise in die Vergangenheit. Über das ganze Jahr verteilt werden mehr als 100 Veranstaltungen und Projekte Hilden in die „Fabry- Stadt“ verwandeln. Bei den Aktivitäten werden sowohl medizinische, historische als auch wissenschaftliche Aspekte berücksichtigt. Informationen über das „Fabry-Jahr“ und die damit verbundenen Veranstaltungen unter: www.fabry-jahr.de oder www.wilhelm-fabry-museum.de.
1.
Zugrunde gelegte Quellen: Wundärztezahlen: vgl. StAL E 161 I, Bü 1709-1778 sowie E 179 II, Bü 2191, 2201, 2212, 2222, 2243, 2254, 2279, 2290, 2300, 2311, 2334, 2344, 2355 (für die Jahre bis 1850/54), Med. Corresp.bl. Württ. Ärztl. Ver. 30 (1860), S. 306; 34 (1864), S. 297 u. 38 (1868), S. 371, Med.-Bericht Württemberg (1872), S. 49; (1910), S. 13 (für die Jahre 1880-1910) sowie (1932), S. 8 (für das Jahr 1918). Je nach Quelle differieren die Angaben zur Zahl der Wundärzte im Jahr 1872 zwischen 644 und 662: vgl. Med.-Bericht Württemberg (1872), S. 49 bzw. (1910), S. 13.
2.
Ärztezahlen: vgl. Drees (1988), S. 164f sowie Med. Corresp.bl. Württ. Ärztl. Ver. 30 (1860), S. 305; 34 (1864), S. 297; 38 (1868), S. 371; (1910), S. 13; (1932), S. 8.
3.
Bevölkerungszahlen: vgl. Württemb. Jahrb. (1819/20), S. 202 und (1828), S. 433; Med. Corresp.bl. Württ. Ärztl. Ver. 30 (1860), S. 305; 34 (1864), S. 297 u. 38 (1868), S. 379 (für die Jahre 1830/34-1866), Württemb. Jahrb. (1912), S. 195 (für die Jahre 1872-1910); Württemb. Jahrb. (1919/20), S. 256 (für 1918). Ferner: Lang (1903), S. 14.
Tabelle
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