THEMEN DER ZEIT
Gesundheitsfachberufe: Auf akademischen Wegen
;


Foto: vario images
Bereits in den 70er Jahren wurden in der Bundesrepublik Deutschland die ersten Pflegestudiengänge eingeführt. Zunächst gab es primär funktionsbezogene Studiengänge, wie Pflegemanagement und Pflegepädagogik. Heute werden darüber hinaus auch fachlich breiter ausgerichtete Studiengänge in Pflegewissenschaft angeboten. Inzwischen gibt es mehr als 50 Studiengänge in der Pflege, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten oder an unterschiedlichen Standorten angeboten werden.
Seit Ende der 90er Jahre haben sich zunehmend auch Studiengänge in den therapeutischen Gesundheitsfachberufen entwickelt. Heute gibt es für die Physiotherapie 14, für die Logopädie neun und für die Ergotherapie acht Studienangebote für ein grundständiges Studium an Hochschulen, das zumeist mit einem Bachelor abgeschlossen wird. Hinzu kommen noch weiterführende Studienangebote, die zu einem Masterabschluss führen. Weitere Studienangebote sind für die therapeutischen Fachberufe in der Planung. Seit 2008 bestehen auch ein grundständiger und seit 2009 ein weiterführender Studiengang im Fach Hebammenwissenschaft. Für dieses Fach gibt es ebenfalls Vorbereitungen für weitere Studienangebote.
Anforderungen an die Fachberufe nehmen zu
In Diskussionen und Stellungnahmen anderer Berufsverbände zeigt sich, dass es auch dort Bestrebungen gibt, die neben beziehungsweise ergänzend zu den Fachschulausbildungen akademische Ausbildungsgänge befürworten und für entsprechende Änderungen in den Berufsgesetzen eintreten.
Für die Ergänzung der Fachausbildung durch akademische Studiengänge oder den Ersatz der Fachausbildung durch ein Studium werden vor allem folgende Gründe genannt:
Die Anforderungen an die Gesundheitsfachberufe wachsen, weil
– sich die Krankheitsspektren wandeln
– die Anforderungen insbesondere in Richtung Qualität und Evidenzbasierung zunehmen
– die Entwicklungen und Spezialisierungen im arbeitsteiligen Versorgungssystem neue Qualitäten in der Zusammenarbeit erfordern
– die Wissenschafts- und Technikentwicklungen in den Basisdisziplinen entsprechende Entwicklungsschritte in Theorie und Praxis der Gesundheitsfachberufe herausfordern.
In vielen anderen europäischen und außereuropäischen Ländern ist eine akademische Ausbildung in vielen Gesundheitsfachberufen gängige Praxis. Die deutschen Fachschulabschlüsse erweisen sich gegenüber diesen ausländischen akademischen Abschlüssen als ein Hindernis für eine internationale Zusammenarbeit und für eine berufliche Mobilität, die auf die Erlangung von Auslandserfahrungen oder auf eine Berufsausübung im Ausland gerichtet ist. Auch die Einwerbung von Drittmitteln in der Europäischen Union ist ohne Bezug zu einer Hochschule in der Regel nicht möglich.
Fragen der Arbeitsteilung im Gesundheitssystem und zwischen den Heilberufen stehen angesichts der steigenden Kosten im Gesundheitswesen, der wachsenden Gesundheitsaufwendungen und angesichts kritischer Prognosen zum Ärztemangel heute schon vielfach in der Diskussion. Hier wünschenswerte Veränderungen auf den Weg zu bringen, sei eher möglich, wenn die Heilberufe auf eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung gegründet wären.
Die Lehrbelastungen
sind an den
Fachhochschulen
höher als an den
Universitäten.
Darunter leidet
dann auch die
Forschung. Foto: picture-alliance
ein Weiterbildungsstudium, das erst begonnen wird, wenn die fachschulische Berufsqualifikation bereits vorliegt. Dabei können Teile der Fachschulausbildung als Studienzeiten anerkannt werden, was dann zu einer verkürzten Studienausbildung führen würde;
ausbildungsintegrierte Studiengänge, bei denen eine Verzahnung von Fachschul- und Hochschulausbildung besteht und die deshalb auch als duale Studiengänge bezeichnet werden. Hierbei gibt es sehr verschiedene Modelle, die mit unterschiedlichen curricularen Konzepten ein Ineinandergreifen von Fachschul- und Hochschulausbildungseinheiten anbieten. Die ausbildungsintegrierten Studiengänge sind so geplant, dass eine Ausbildungsverkürzung gegenüber einer rein sequenziellen Abfolge von Fachschul- und Hochschulausbildung möglich wird;
primärqualifizierende Studiengänge, bei denen die Gesamtverantwortung für die Ausbildung – also grundsätzlich auch für den praktischen Teil – bei einer Hochschule liegt. Entsprechend ist die Abschlussprüfung eine Hochschulprüfung, die auch zum Führen der Berufsbezeichnung im entsprechenden Gesundheitsfachberuf berechtigt.
Primärqualifizierende Studiengänge sind derzeit grundsätzlich nur aufgrund von Modellklauseln in den Berufsgesetzen möglich und bedürfen zudem jeweils der Genehmigungen und Ausführungsbestimmungen der Länder. Für die akademische Ausbildung in den Pflegeberufen hat die Novellierung des Krankenpflegegesetzes im Jahr 2003 unterstützende Impulse gegeben. Gleichwohl haben sich primärqualifizierende Studiengänge bisher hier nur in Ansätzen entwickelt.
Eine dem Krankenpflegegesetz entsprechende Novellierung erfolgte für die Berufsgesetze der therapeutischen Gesundheitsfachberufe und für das Hebammenwesen erst Mitte 2009. Mit der Erweiterung der Berufsgesetze für die therapeutischen Gesundheitsfachberufe und für den Fachberuf der Hebammen sind wohl weitere Auf- und Ausbauplanungen von Studiengängen in diesen Berufsfeldern zu erwarten, sofern die Länder hier entsprechende Zustimmung geben und Vor-aussetzungen schaffen.
Medizinische Fakultäten sind kaum beteiligt
Die Studiengänge für die Gesundheitsfachberufe sind überwiegend an Fachhochschulen angesiedelt. Diese Studienangebote werden derzeit ungefähr je zur Hälfte von öffentlich-rechtlichen und von privaten Fachhochschulen angeboten. Es ist abzusehen, dass künftig mehr private Fachhochschulen mit Studiengebühren von circa 3 000 bis 10 000 Euro pro Studienjahr auf den Markt zur Ausbildung in Gesundheitsfachberufen mit akademischen Abschlüssen drängen.
An Universitäten gibt es vergleichsweise wenige Studiengänge (Tabelle 1). Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass die wenigsten der universitären Studiengänge einer medizinischen Fakultät angegliedert sind. Der Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonferenz weist derzeit zehn grundständige und 14 weiterführende Studiengänge zu den Gesundheitsfachberufen an Universitäten aus. An medizinischen Fakultäten werden davon aber nur vier durchgängige Universitätsstudiengänge angeboten, die über einen Bachelor- zu einem Masterabschluss oder direkt zu einem Diplomabschluss führen, sowie drei Masterstudiengänge, die einen anderweitig erworbenen Bachelorabschluss voraussetzen. Es sind auch nur zwei medizinische Fakultäten (Halle und Marburg), die die zum Klinikum gehörende Fachschule für ein integriertes Studienangebot nutzen, also für ein Studium, an dem sowohl die Fakultät als auch die Fachschule beteiligt sind. Dabei sind den meisten Universitätsklinika Fachschulen angegliedert, die nicht nur zur Bedarfsdeckung der Kliniken mit Absolventen aus den Gesundheitsfachberufen, sondern auch für integrierte Studiengänge genutzt werden könnten.
Insgesamt bieten 31 Hochschulkliniken in den zugehörigen Berufsfachschulen Ausbildungsplätze für Gesundheitsfachberufe an; es werden dort mehr als 14 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt (2006). Wie der Wissenschaftsrat hervorhebt, sind die Universitätsklinika ebenso wie bei der Facharztweiterbildung auch in der Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen überproportional beteiligt.
Diese wesentlich auf die Fachhochschulen konzentrierte Entwicklung und die vergleichsweise geringe Beteiligung der medizinischen Fakultäten an universitären Studiengängen in den Gesundheitsfachberufen führen möglicherweise dazu, dass sich unterschiedliche akademische Kulturen bei den Gesundheitsfachberufen und den Medizinern entwickeln, die ein wechselseitiges Verständnis und die notwendige Zusammenarbeit im alltäglichen Versorgungsgeschehen behindern.
Sehr ungleiche Verteilung der Geldmittel
Wesentliche Ziele, die mit der Akademisierung von Gesundheitsfachberufen angestrebt werden, sind nicht allein durch die Einrichtung von Studiengängen zu erfüllen. Vielmehr ist hierzu vor allem auch der Aufbau einer qualitativ ausgewiesenen Forschung unabdingbar. Forschungen in den Gesundheitsfachberufen sind vor allem in drei Richtungen erforderlich:
Mit einer grundlagenorientierten Forschung können theoretische Modelle und Konzepte für die Berufsfelder entwickelt werden. Diese müssen bei neuen Problemlagen auf ihre Gültigkeit überprüft und weiterentwickelt werden.
Aufbauend auf diesen Modellen und Konzepten kann eine empirische Erprobung und Überprüfung stattfinden, das heißt der Übergang zur patientenorientierten Forschung. Dabei hat der Nachweis der Wirksamkeit von Handlungskonzepten in den Gesundheitsfachberufen sowohl für die Fächer selbst als auch für das Gesundheitssystem hohe Bedeutung. Oft gibt es eine Vielfalt von Behandlungskonzepten, die ungeprüft nebeneinander bestehen und Anwendung finden, ohne dass über deren jeweilige Wirksamkeit gesicherte Aussagen gemacht werden können. Hier werden insbesondere auch von den Kostenträgern Erwartungen an verbesserte Wirkungsnachweise gestellt. Fragen der Zusammenarbeit der Gesundheitsfachberufe mit den ärztlichen Professionen bieten ein lohnendes Feld für die Versorgungsforschung, weil hier wesentliche Potenziale zur Verbesserung diagnostischer und therapeutischer Leistungen brachliegen.
Der Aufbau der Forschung in den Gesundheitsfachberufen steht in Deutschland zumeist noch in den Anfängen und ist auch in den einzelnen Fächern unterschiedlich entwickelt. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen:
An den Hochschulen waren die fachlich zuständigen Professoren vom Aufbau und Ausbau der Studiengänge stark in Anspruch genommen, so dass nur wenig Zeit für Forschung zur Verfügung stand.
Es standen und stehen bisher nur wenig Mittel für die Forschung zur Verfügung. Die Eigenmittel der Hochschulen sind ohnehin zumeist sehr knapp und bieten gerade auch neuen Fächern kaum die Ausstattung, die für eine qualitativ gute Forschung benötigt wird. Drittmittel sind für die Fächer schwer zu erhalten, weil hier vielfach von vornherein ein hohes Forschungsniveau vorausgesetzt wird und weil es kaum spezifische Förderprogramme gibt. Ausnahmen sind Schwerpunkte für die Pflegeforschung beim Bundesministerium für Bildung und Forschung und bei der Robert-Bosch-Stiftung.
Die Hochschulen haben in den Fächern der Gesundheitsfachberufe vielfach noch kein ausreichend qualifiziertes Personal, das selbstständig Forschung planen und durchführen könnte.
Neben diesen Gründen ist vor allem auch die Fokussierung der Akademisierung in den Gesundheitsfachberufen auf die Fachhochschulen ein für die Forschungsentwicklung erschwerender Faktor. Die Fachhochschulen haben kein eigenes Promotionsrecht, oft fehlt dort noch ein forschungsaufgeschlossenes Klima, die Lehrbelastungen sind an den Fachhochschulen höher als an den Universitäten. Gravierend ist aber vor allem die deutlich geringere Grundausstattung der Fachhochschulen im Vergleich zu den Universitäten. Die Ausstattungsunterschiede manifestieren sich besonders deutlich in der Fachgruppe Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften. Und mit geringerer Grundausstattung schwinden dann auch die Chancen, Drittmittel einzuwerben (Tabelle 2).
Gegenwärtig geht es um die Weichenstellung, wohin sich der Auf- und Ausbau der Forschung in den Gesundheitsfachberufen entwickeln wird. Es geht um die Frage, ob es – ähnlich wie die Fokussierung der Studiengänge an den Fachhochschulen – auch eine auf die Fachhochschulen fokussierte Forschungsentwicklung und -ausrichtung geben wird und welche Entwicklungsmöglichkeiten diese angesichts der an den Fachhochschulen bestehenden Gegebenheiten haben. Ist unter diesen Gegebenheiten überhaupt eine qualitativ hochwertige patientenorientierte Forschung in der nötigen Breite möglich, die ja ein multiprofessionelles Zusammenwirken und eine hohe Mittelausstattung zur Durchführung von Studien voraussetzt? Es geht somit darum, ob eine an den Fachhochschulen konzentrierte Forschung den Bezug zu ihren Basisfächern, die weitgehend an den Universitäten vertreten sind, noch ausreichend wird nutzen können.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2010; 107(9): A 386–90
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Guido Adler (Vorsitzender des Gesundheitsforschungsrats des BMBF)
Dr. med. Jost-H. von dem Knesebeck
Zentrum für Innere Medizin
Klinik für Innere Medizin I
Albert-Einstein-Allee 23
89081 Ulm
Empfehlung des Forschungsrats
Der Gesundheitsforschungsrat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung befasste sich auf seiner Sitzung am 3. Februar 2010 mit dem Auf- und Ausbau der Forschung in den Gesundheitsfachberufen. Er empfahl die Einrichtung einer Arbeitsgruppe mit Vertretern der Gesundheitsfachberufe aus Fachhochschulen und Universitäten sowie Vertretern der Basisfächer – insbesondere auch aus medizinischen Disziplinen. In der Arbeitsgruppe soll ein Konzept erarbeitet werden, das wesentliche strukturelle und inhaltliche Schwerpunkte zum Auf- und Ausbau der Forschung benennen soll, die für eine qualitativ hochwertige, integrative, nachhaltige und für die Gesundheitsversorgung relevante Forschung in Feldern der Gesundheitsfachberufe erforderlich sind.
Der Gesundheitsforschungsrat verbindet mit seiner Empfehlung die Erwartung, dass eine strategische Diskussion innerhalb und zwischen den Wissenschaftsdisziplinen darauf hinwirken kann, ein Zusammenwirken der Forschung in Feldern der Gesundheitsberufe zu erhalten und zu erweitern. Dieses Zusammenwirken ist nicht zuletzt auch im Hinblick auf integrative Versorgungskonzepte zum Nutzen der Patienten unabdingbar. Das von der Arbeitsgruppe erarbeitete Konzept soll schließlich auch dafür genutzt werden, mögliche Partner – Hochschulträger, Hochschulen, medizinische Fakultäten, Forschungsförderer, Kostenträger im Gesundheitswesen – hinsichtlich der Ziele zu überzeugen und sie zur Unterstützung beim Auf- und Ausbau der Forschung zu gewinnen.
Tabelle 1
Tabelle 2