ArchivDeutsches Ärzteblatt26/1997Ein Vorlesungsversuch zur Homöopathie

MEDIZIN: Kurzberichte

Ein Vorlesungsversuch zur Homöopathie

Krämer, Hans-Joachim; Habermann, Ernst

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LNSLNS Niemand möchte sich durch einen mißratenen Unterrichtsversuch blamieren; zu schnell ruft das Versagen des Experimentators Mißtrauen gegen das Fach hervor, für das er einsteht. Besonders schlimm ist es, wenn das widerspenstige Experiment als Schlüssel für das ganze Fach gilt. Otto Loewis
Entdeckung der neurohumoralen Übertragung wurde erst dann anerkannt, als Zweifler seine Experimente am Froschherzen wiederholt hatten.
Auch am Anfang der Homöopathie steht ein Schlüsselexperiment, nämlich Hahnemanns oft zitierter Selbstversuch (1). Er dient bis heute als Beleg, daß Homöopathie eine Erfahrungsheilkunde sei (14). Hahnemann beschreibt ihn ausführlich: "Schon im Jahr 1790 . . . machte ich mit der Chinarinde den ersten reinen Versuch an mir selbst . . ., und mit diesem ersten Versuch ging mir zuerst die Morgenröthe zu der bis zum hellsten Tag sich aufklärenden Heillehre auf" (7). Als Fußnote (2) gibt er zu Protokoll:
"Ich nahm des Versuches halber etliche Tage zweimahl täglich jedesmahl vier Quentchen gute China ein; die Füse, die Fingerspitzen u.s.w. wurden mir erst kalt, ich ward matt und schläfrig, dann fing mir das Herz an zu klopfen, mein Puls ward hart und geschwind; eine unleidliche Ängstlichkeit, ein Zittern (aber ohne Schauder), eine Abgeschlagenheit durch alle Glieder; dann Klopfen im Kopfe, Röthe der Wangen, Durst, kurz alle mir sonst beim Wechselfieber gewöhnlichen Symptomen erschienen nacheinander, doch ohne eigentlichen Fieberschauder. Mit kurzem: auch die mir bei Wechselfieber gewöhnlichen besonders charakteristischen Symptomen, die Stumpfheit der Sinne, die Art von Steifigkeit in allen Gelenken, besonders aber die taube widrige Empfindung, welche in dem Periostium über allen Knochen des ganzen Körpers ihren Sitz zu haben scheint - alle erschienen. Dieser Paroxysm dauerte zwei bis drei Stunden jedesmahl, und erneuerte sich, wenn ich diese Gabe wiederholte, sonst nicht. Ich hörte auf, und ich war gesund."
Die neue "Heillehre" war das Simileprinzip, nach dem die Homöopathie benannt ist. Cortex chinae war als Heilmittel bei Wechselfieber bekannt, aber - so der Versuch - es erzeugte eine Arzneimittelkrankheit, die dem Wechselfieber entsprach. Hahnemann zog den Schluß: Wenn ein Arzneimittel ein bestimmtes Krankheitsbild erzeugt, dann kann es eine natürliche Krankheit mit vergleichbaren Symptomen auch heilen.


Experimentelles
Der simple Versuch sollte sich ohne sonderlichen Aufwand an Zeit und Material in die Gießener Vorlesung (E. H.) über "besondere Therapierichtungen" einbauen lassen. Also maß der Hochschullehrer (70 Jahre, 64 kg) Körpertemperatur (oral) und Puls vor und nach der Vorlesung. Er demonstrierte den Studenten pulverisierte Cortex chinae (3); beiläufig stellte er die Droge als Phytopharmakon mit großer Geschichte vor. Dann suspendierte er die zuvor abgewogene Menge (1,6 g entspricht 1 neuem Quentchen) in einem Glas Wasser, rührte kräftig mit einem Kaffeelöffel und trank. Er mußte gut nachspülen, um auch die Reste aus dem Glas zu gewinnen und vor allem den widerlich bitteren Geschmack los zu werden. Der Umrechnungsfaktor (1,66 g = 1 Quentchen) galt erst ab 1858; Hahnemann mag ein Quentchen höher veranschlagt haben, vermutlich 3,64 g (9). Seine Dosierung lag im damals üblichen therapeutischen Bereich (1), eine "Arzneimittelkrankheit" oder Vergiftung war eigentlich nicht zu befürchten.
Träfe Hahnemanns Beschreibung zu, dann sollte die Vorlesung binnen kurzem ihr Ende finden. Aber es passierte nichts Berichtenswertes, außer daß sich der Vortragende wie eine redende Flasche Tonic Water fühlte. Die Körpertemperatur hatte sich nicht verändert (35,8 Celsius vor der Vorlesung, 36,15 danach); der Puls blieb unauffällig. Für die Studenten (nicht unbedingt für den Vortragenden) war der Versuch vergnüglich und dürfte in dauernder Erinnerung bleiben. Eine Verdoppelung der Dosis änderte nichts am Ergebnis.
Drei mögliche Einwände waren auszuräumen:
1 Der Proband sei ungeeignet. Er sei zu alt und stünde überdies unter Antihypertensiva (Betablocker und Diuretikum). Auch könne er als Hochschullehrer der Pharmakologie voreingenommen sein, wenn es um Homöopathie geht, und daher die "Arzneimittelkrankheit" wie ein Indianer am Marterpfahl überstehen.
1 Die Dosis sei zu niedrig, eine Beobachtungszeit von 45 Minuten zu kurz.
1 Die Daten seien unzureichend.
Daher wurde der Vorlesungsversuch mit höherer Dosis unter Laborbedingungen durch einen unabhängigen Kollegen wiederholt. Der Arzt H. J. (37 Jahre, 80 kg) maß sich dreimal im Abstand von 30 Minuten Blutdruck, Puls und Temperatur. Dann nahm er in einem Experiment 3,3 g, in einem anderen 8 g Cortex chinae und wiederholte die Messungen viermal im Abstand von 30 Minuten. Weder die unter Cortex chinae gemessenen Daten noch die Befindlichkeit wichen von der Norm ab. Die Zahlen für die stärkste Exposition seien kurz angeführt. Hier lag der Puls unmittelbar vor der Droge bei 89/Minute mit maximalen Abweichungen von ± 5 über zwei Stunden. Die Temperatur blieb bei 36,5 Celsius mit maximalen Abweichungen von + 0,2 Celsius und 2 0,5 Celsius. Auch der Blutdruck des Probanden (140/80) änderte sich nicht. Dieser Versuch wurde in einer gekürzten (40 Minuten) Version, aber mit grundsätzlich gleichen Ergebnissen, auch in der Vorlesung des Sommersemesters 1997 demonstriert.


Diskussion
Wir sind nicht sicher, ob der Versuch von Hahnemann selbst oder von wem auch sonst unter Originalbedingungen, das heißt mit Cortex chinae in hoher Dosis, jemals wiederholt wurde. Prüfungen mit Chinin, bereits 1841 angestellt, erbrachten nicht das erwartete Ergebnis (1). Der Greifswalder Pharmakologe Schulz, sicher kein Gegner der Homöopathie (8), fand unter niedrigen Dosen Chinin (5 bis 10 mg, äquivalent etwa 100 mg Rohdroge) die Körpertemperatur gesunder Probanden unverändert (13). Hahnemann selbst hatte noch kein Fieberthermometer. Entsprechend der damaligen Definition setzte er Fieber mit beschleunigtem Puls gleich (4). Daher rechnete er auch sehr starken Kaffee oder Branntwein neben Ignazbohne, Arsenik und Pfeffer zu den fiebererzeugenden, das Wechselfieber spezifisch hemmenden Substanzen (2). Änderungen der Herzaktion durch China-Alkaloide sind bekannt (5), desgleichen Rötung der Haut; beide Kreislaufreaktionen wurdenn auch von Hahnemann registriert. Aber daß sich die Bedeutung des Wortes Fieber seither gewandelt hat, ist manchem Vertreter der Homöopathie unbekannt (14).
Hahnemanns Epigonen ist eine weitere Erklärung eingefallen. Ihr Meister verbrachte 1777 kurze Zeit in Siebenbürgen, wo es damals Malaria gab. Aus seiner Erlanger Zeit (11) und auch aus dem Jahr 1808 (6) stammen Berichte, die auf gelegentliche Anfälle von Malaria schließen lassen. In Erlangen, wo er 1779 promovierte, vertrug er die beim Selbstversuch angewandte Dosis anstandslos. Zur Erklärung dieser Unstimmigkeit wurde unterstellt (1), daß Hahnemann zwischen 1779 und 1790 überempfindlich gegen Chinin oder einen anderen Inhaltsstoff von Cortex chinae geworden sei. Aber das "Arzneimittelbild", wie es Hahnemann mit erfreulicher Deutlichkeit beschreibt, paßt nicht recht zu den Symptomen, die man bei einer Überempfindlichkeit gegen Chinin erwarten würde (5). Und vor allem: Wer das Schlüsselexperiment an einer Allergie Hahnemanns festmachen möchte, entwertet es.
Bayr (1) meint schließlich: Hahnemann entdeckte das Similia similibus, weil er ein wissenschaftlich fehlerhaftes Experiment homöopathisch richtig interpretierte. Führte man Bayrs Gedanken weiter, dann wäre Homöopathie keine Erfahrungs-, sondern eine Irrtumswissenschaft. Dieser Geburtsfehler besteht fort: Wenn sich ein Schlüsselexperiment als fehlerhaft erweist und nicht widerrufen wird, gedeiht kein Fortschritt. Die seitherige Geschichte der Homöopathie (10, 12) ist dafür ein Lehrstück.
Ärzte, die unsere Befunde überprüfen wollen, sind zu weiteren Selbstversuchen, vor allem solchen mit höherer Dosis, in unserem Labor herzlich eingeladen. Reisekosten innerhalb Deutschlands werden erstattet.


Klinische Pharmakologie, Klinikum der Justus-Liebig-Universität Gießen

Zitierweise dieses Beitrags:Dt Ärztebl 1997; 94: A-1811-1812[Heft 26]Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.Anschrift für die VerfasserProf. Dr. med. Ernst HabermannKlinische PharmakologieJustus-Liebig-Universität GießenGaffkystraße 11c35385 Gießen

Kommentare

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Avatar #79783
Practicus
am Sonntag, 12. Januar 2014, 15:40

wozu noch weiter prüfen?

Ist doch die völlige Wirkungslosigkeit der homöopathischen Zubereitungen seit langem in unendlich vielen Experimenten eindeutig widerlegt worde!
Dass Homöopathie als Placeboverstärker unabhängig davon wirkt, ob die rezeptierte Zubereitung verabreicht wurde oder nicht - es ist eine Selbsttäuschung des Patienten, verstärkt durch eine Selbsttäuschung des Arztes. Das gilt gleichermaßen für die Akupunktur, bekanntlich hilfreich, egal ob und wo gestochen wird, wie für die Antroposophie, Kinesiologie, Elektroakupunktur, Bioresonanz, Bachblüten und Gesundbeterei in allen Formen, von Exorzismus bis Reiki, Schamanismus und Voodoo.
Den Vertetern der Homöopathie fehlt einfach der Mut, das eigene Tun immer wieder neu auf den Prüfstand zu stellen - und natürlich das Hahnemann-Unfehlbarkeitsdogma - im Gegensatz zur verteufelten Schulmedizin, die ihre Annahmen und Prozeduren ständig aufs neue überprüft, gegebenenfalls verwirft und so das erzeugt, was wir Fortschritt nennen
Avatar #645735
chinamed
am Sonntag, 12. Januar 2014, 13:14

Versuchsanordnung muss überprüft werden

Die Quellenangabe zu 1) und adneren Stellen fehlt leider. Ich habe deshalb das Apothekerlexikon von Hahnemann zu rate gezogen:
"Ein vortreffliches Chinaextrakt (Extr. novum cort. peruviani, in america australi paratum) kömmt über Spanien nach England, welches vom stärksten Chinageruche und Geschmack, ohne Bränzlichkeit, etwas weich von Konsistenz und von dunkler Farbe ist... Ein kräftiges Chinaextrakt muß daher ganz ohne Kochen bereitet werden, durch lauen oder doch nur warmen (120°-150°) Aufguß und durch Abdünsten im Wasserbade. (eigene Anmerkung: die Temperatur kann nicht mit unserer heutigen überein stimmen).
[Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon, S. 273. Samuel Hahnemann: Gesammelte Werke, S. 5235 (vgl. Apothekerlexikon-Bd. 1/2, S. 299)]
Soweit zur Herstellung des Präparates nach Hahnemann, davon schreibt der Autor nichts, also gehe ich davon aus, dass er die Hahnemannschen Regeln zur Herstellung nicht eingehalten hat.
Dann zu den Prüfungssymptomen nach Hahnemann:
Erst Schwindel und Schwindel-Uebelkeit, dann allgemeine Hitzempfindung8.
Eingenommenheit des Kopfs, wie Schwindel vom Tanze und wie beim Schnupfen.9
Er ist von langsamer Besinnung, hat grosse Abneigung vor Bewegung, und ist mehr zum Sitzen und Liegen geneigt.
[Samuel Hahnemann: Reine Arzneimittellehre, S. 155. Samuel Hahnemann: Gesammelte Werke, S. 23742 (vgl. Arzneimittellehre-Bd. 3, S. 123)]
Hahnemann schreibt nicht, dass er als Prüfungssymptom Fieber entwickelt hätte. Das ist eine Erfingung des Autors. Die richtigen Prüfungssymptome habe ich hier eingestellt. Die hat der Autor nicht einmal erheben können, wenn er das Mittel In der Vorlesung eingenommen hat. Da musste er sicher auf andere Dinge achten, als auf mögliche symptomatische Veränderungen. So wie hier von ihm dargestellt, kann jedenfalls keine homöopathische Arzneimittelprüfung durchgeführt werden. auch nicht mit der unpotenzierten Ausgangssubstanz.





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