BRIEFE
Interview: Erschreckend glatt


Welche Tautologie! Die Frage ist doch gerade, welche Aufgaben streitig sind. Anders gesagt: Angesichts limitierter Mittel erfolgt schon jeden Tag eine Bewertung, teils durch Ärzte am Krankenbett, teils durch den G-BA, vielleicht durch das IQWiG, vielleicht durch Sozialfachangestellte in Prüffunktionen bei Kostenträgern. Mit seiner Suggestion, es sei ein Gebot ärztlicher Ethik, das Bewerten zu verweigern, verkürzt der Bundesminister die Sache unzulässig. Jedes System hat Grenzen, nie können die Mittel unendlich sein, immer wird es Interventionen geben mit einem nicht akzeptablen Kosten-Nutzen-Verhältnis. Priorisierung ist immanent und nicht unethisch. Im Gegenteil wäre es unethisch, real existierende Budgets durch Verweigerung von Reflexion über Prioritäten schlecht zu nutzen.
Allerdings ist das unausweichliche Bewerten von Prioritäten seiner Natur nach nicht Medizin und nicht Wissenschaft, sondern ein politischer Akt von Wertentscheidungen, die einer demokratischen Kontrolle unterliegen müssen, weil es um den Umgang mit zwangssolidarisch aufgebrachten Mitteln Dritter geht. Niemand anders als der Bundesminister für Gesundheit wäre mehr prädestiniert, einen politischen Prozess zu organisieren mit der Funktion, gesamtgesellschaftlichen Konsens zu erarbeiten über Eckpunkte von Priorisierung. Der Bewertungsvorgang benötigt Fakten zur Quantifizierung des Nutzens, die es zu einem guten Teil noch gar nicht gibt. Es gäbe also viel zu organisieren.
Dr. med. Mathias Bertram, 22457 Hamburg
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