MEDIZIN: Aktuell
Magenschrittmacher-Implantation: Neue Therapie der Gastroparese
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Die Magenentleerung ist ein äußerst komplexer, vielfältig regulierter und bisher noch nicht in allen
Einzelheiten erforschter Vorgang. Der Magen hat zum einen in seinem proximalen Anteil, dem Fundus, eine
anpassungsfähige Reservoirfunktion, zum anderen werden im distalen Magen, dem Antrum, die
Nahrungspartikel zerkleinert - Antrummühle - und erst ab einer Größe von etwa 1-2 mm durch den Pylorus in
das Duodenum entleert. Die Kontraktionen des Antrums werden von einem endogenen Schrittmacher im
proximalen Magenkorpus gesteuert (Grafik 1). Großkurvaturseitig liegen dort myogene Schrittmacherzellen,
die eine spontane Aktivität von drei Impulsen pro Minute haben (langsame Potentialwellen - "slow waves") (3,
8). Erst wenn bei der Füllung des Magens das Membranpotential dieser Zellen einen bestimmten
Schwellenwert erreicht, treten zusätzlich "Spike"-Aktivitäten auf, die im Magenkorpus beginnende und nach
aboral gerichtete peristaltische Kontraktionen auslösen. Deshalb ist das zahlenmäßige Verhältnis zwischen den
Schrittmacherimpulsen und der meßbaren motorischen Antwort der Magenmuskulatur größer als eins. Der
zeitliche Zusammenhang zwischen der elektrischen und der mechanischen Aktivität der glatten Muskulatur des
Magens bleibt dabei bis heute unklar. Die erste Messung der elektrischen Aktivität des Magens wurde bereits
1921 von Alvarez in den USA durchgeführt (1). Aber erst seit Ende der 80er Jahre konnten technisch
beträchtlich fortentwickelte elektro-gastrographische Untersuchungen des Magens die klinische Diagnostik
erweitern.
Die physiologische, portionierte Magenentleerung hängt von vielen Faktoren ab, vor allem von der Füllmenge
des Magens sowie der Konsistenz und Zusammensetzung der Nahrung. Der Organismus stellt auf diese Weise
sicher, daß nur jeweils die Nahrungsmenge in den Dünndarm gelangt, die optimal aufgespalten und resorbiert
werden kann.
Ursachen der Gastroparese
Eine Vielzahl muskulärer und neurogener Erkrankungen kann das oben dargestellte komplexe Zusammenspiel
stören und zu einer Verzögerung der Magenentleerung, das heißt zu einer Gastroparese, führen (Textkasten).
Bei diesen Erkrankungen wird in erster Linie die Entleerung fester Nahrung gestört, in Spätstadien kann aber
auch die Entleerung von Flüssigkeiten beeinträchtigt sein. Der Diabetes mellitus mit der sogenannten
diabetischen Gastroparese ist wohl die bekannteste Erkrankung, die zu einer Verzögerung der
Magenentleerung führt. Betroffen sind meist Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus, bei denen es
bereits zu anderen Spätkomplikationen der Grunderkrankung im Sinne von mikroangiopathischen
Organveränderungen an Niere und Auge oder Neuropathien gekommen ist. Die Gastroparese wird als
Ausdruck der diabetischen Neuropathie des Gastrointestinaltraktes angesehen. Störungen der Magenmotilität
lassen sich bei Diabetikern auch dann oft nachweisen, wenn eine damit verbundene klinische Symptomatik
noch nicht vorliegt. Bei der diabetischen Gastroparese beobachtet man vor allem eine Verminderung der
postprandialen Antrummotilität und eine Dysfunktion des Pylorus (4, 6). Man weiß allerdings heute, daß
sowohl die phasischen Kontraktionen des Magenantrums als auch der Tonus des Magenfundus alleine durch
eine Hyperglykämie per se (auch ohne manifesten Diabetes) vermindert werden können (2). Eine klinisch
manifeste Gastroparese steht nur bei wenigen Diabetikern im Vordergrund, möglicherweise deshalb, weil bei
der diabetischen Neuropathie nicht nur der efferente (motorische), sondern auch der afferente (sensible)
Schenkel des autonomen Nervensystems geschädigt ist und damit Mißempfindungen des Patienten im Sinne
von epigastrischem Druck- und Völlegefühl gemindert werden.
Eine Verzögerung der Magenentleerung wird auch bei Patienten mit Kollagenosen, vor allem bei der
Sklerodermie, bei Neuro- und Myopathien und nach operativen Eingriffen am Magen (zum Beispiel
Vagotomie) beobachtet. Schließlich kann eine Gastroparese auch ohne erkennbare Ursache auftreten, die
sogenannte idiopathische Gastroparese. Unabhängig von der Ätiopathogenese manifestiert sich die
Gastroparese klinisch mit ähnlichen Symptomen, vor allem in Form dyspeptischer Beschwerden wie
Völlegefühl, epigastrischem Druckgefühl und rezidivierendem Erbrechen (6).
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie der Gastroparese besteht in der Gabe prokinetisch wirksamer Pharmaka. Die uns
zur Zeit zur Verfügung stehenden Medikamente gehören vier pharmakologischen Gruppen an: DopaminAntagonisten (Metoclopramid, Domperidon), Cholinergika (Bethanechol), 5-HT4-Antagonisten (Cisaprid) und
Motilide (Erythromycin). Dabei scheint das Cisaprid praktisch allen anderen Prokinetika an Effektivität
überlegen zu sein. Es eignet sich auch für die langfristige Behandlung, ohne auf Dauer an Wirkung zu
verlieren (7). Mit Cisaprid gelingt es in der Regel, die klinischen Symptome günstig zu beeinflussen,
wenngleich das nicht unbedingt mit einer Beschleunigung der Magenentleerung einhergehen muß.
Eine neuartige Therapiemöglichkeit könnte der Einsatz von Erythromycin sein, da dieses MakrolidAntibiotikum bereits in relativ niedriger Dosierung die gastroduodenale Motilität günstig beeinflußt. Nachteilig
ist allerdings seine eigentliche antibiotische Wirkung, die die Entwicklung resistenter Keime zur Folge haben
kann. Im Rahmen klinischer Studien werden bereits Substanzen eingesetzt, die, ähnlich dem Erythromycin,
über den Motilinrezeptor die gastroduodenale Motilität positiv beeinflussen können.
Die meisten Patienten mit einer Gastroparese und bestehender klinischer Symptomatik können mit
prokinetischen Pharmaka effektiv behandelt werden.
Glücklicherweise bleibt nur bei einer kleinen Zahl dieser Patienten die konservative Therapie ohne Erfolg.
Patienten, die unter therapierefraktärer Gastroparese - insbesondere mit stark ausgeprägter Übelkeit und mit
rezidivierendem Erbrechen - leiden, benötigen oft intensive therapeutische Maßnahmen, meistens unter
stationären Bedingungen. Die Retention der Nahrung im Magen bei massiv verzögerter aboraler Passage macht
häufig eine parenterale Ernährung oder, im besseren Fall, die Ernährung über eine Jejunalsonde notwendig.
Besonders betroffen sind Diabetiker, bei denen die Einstellung der Blutzuckerwerte auf ein akzeptables Niveau
praktisch nicht möglich ist. Darüber hinaus ist auch von Bedeutung, daß aus dem rezidivierenden Erbrechen
eine beträchtliche psychische Belastung für die Patienten resultieren kann.
Magenschrittmacher-Therapie
Die Häufigkeit einer therapierefraktären Gastroparese mit rezidivierendem Erbrechen wird in den Vereinigten
Staaten, unabhängig von der Ätiopathogenese, auf einen Fall pro 100 000 Einwohner geschätzt. Für die
europäische Bevölkerung gibt es diesbezüglich keine genauen Angaben, eine Prävalenzrate in derselben
Größenordnung ist allerdings wahrscheinlich. Für diese Patienten besteht seit kurzer Zeit eine neue
Therapieoption, die auf elektrischer Stimulation des Magens basiert. Bereits 1972 wurden erste
Untersuchungen zur Anregung der Magenperistaltik und Beschleunigung der Magenpassage über elektrische
Stimulation des endogenen Magenschrittmachers durchgeführt (5). Diese äußere Stimulation erfolgte zunächst
mit einer Frequenz von drei Impulsen pro Minute, war also identisch mit derjenigen der endogenen
Schrittmacherzellen. Leider hatte diese Behandlung weder einen Effekt auf die Magenentleerungsrate noch auf
die klinische Symptomatik. Erst im Jahre 1993 wurde eine neue klinische Studie begonnen, wobei der Magen
mit einer höheren Frequenz als der eigenen stimuliert wurde (Grafik 2). Die ersten Ergebnisse wurden 1996
anläßlich des Jahreskongresses der Amerikanischen Gesellschaft für Gastroenterologie in San Francisco und
während der Europäischen Gastroenterologischen Woche in Paris präsentiert (9). Ausgewertet wurden die
Ergebnisse von 21 Patienten mit Gastroparese (fünf Diabetiker und 16 Patienten mit idiopathischer
Gastroparese), die mit einem neuartigen Magenschrittmacher behandelt worden waren. Indikation zur
operativen Implantation des Schrittmachers war eine therapierefraktäre Gastroparese mit ausgeprägter Übelkeit
und rezidivierendem Erbrechen. Bei 19 der 21 Patienten sistierten Erbrechen und Übelkeit bereits innerhalb
weniger Tage nach der Implantation. Drei Monate nach Schrittmacheranlage waren alle Patienten
beschwerdefrei. Auch bei Kontrolluntersuchungen nach mehr als sechs Monaten ließ sich eine klinische
Symptomatik der Gastroparese nicht mehr feststellen. Allerdings war nur bei der Hälfte der Patienten die
deutliche Besserung der klinischen Symptomatik von einer signifikanten Beschleunigung der Magenentleerung
begleitet (Grafik 3). Die Implantation der Magenschrittmacher erfolgte entweder während einer Laparotomie
oder laparoskopisch. Bei den im Rahmen dieser Studie in unserer Klinik behandelten Patienten wurde der
Magenschrittmacher laparoskopisch implantiert, wobei die Dauer des Eingriffs weniger als eine Stunde betrug.
Der postoperative Verlauf war bei allen Patienten völlig komplikationslos und ermöglichte die Entlassung
innerhalb einer Woche.
Die bisherigen Ergebnisse dieser Studie sprechen für eine sehr hohe klinische Effektivität der
Elektrostimulation des Magens in der Behandlung der therapierefraktären Gastroparese. Wie erste
Auswertungen nahelegen, kann die Magenentleerungsrate offensichtlich erst nach mehrmonatiger Stimulation
durch den Schrittmacher erhöht werden, und es bleibt abzuwarten, ob tatsächlich bei allen Patienten mit einem
Magenschrittmacher letzten Endes eine meßbare Beschleunigung der Magenpassage erzielt werden kann. Es
läßt sich aber schon jetzt erkennen, daß das neue Therapieprinzip zu einer deutlichen Verbesserung der
Lebensqualität von Patienten mit einer medikamentös nicht behandelbaren Gastroparese führt.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-1871-1873
[Heft 27]
Literatur
1. Alvarez WC: The electrogastrogram and what it shows. J Am Med Assoc 1922; 78: 1116-1119.
2. Fraser R, Horowitz M, Maddox A, Harding P, Chatterton B, Dent J: Hyperglycaemia slows gastric emptying
in type 1 (insulindependent) diabetes mellitus. Diabetologia 1990; 33: 675-680.
3. Hinder RA, Kelly KA: Human gastric
pacesetter potential: site of origin, spread, and response to gastric transection and proximal gastric vagotomy.
Am J Surg 1977; 133: 29-33.
4. Horowitz M, Harding PE, Maddox A et al.: Gastric and oesophageal emptying in insulin-dependent diabetes
mellitus. J Gastroenterol Hepatol 1986; 1: 97-113.
5. Kelly KA, La Force RC: Role of gastric
pacesetter potential defined by electrical pacing. Am J Physiol 1972; 222: 588-594.
6. Malagelada JR, Camilleri M, Stanghelini V: Gastric motility disturbances. In: Malagelada JR: Manometric
diagnosis of gastrointestinal motility disorders. New York: Thieme Medical Publishers Inc, 1986; 68-81.
7. Rothstein ED, Alavi A, Reynolds JC: Electrogastrography in patients with gastroparesis and effect of longterm cisapride. Dig Dis Sci 1993; 38: 1518-1524.
8. Szurszewski JH: Electrical basis for gastrointestinal motility. In: Johnson LR: Physiology of the
gastrointestinal tract, 2nd Edition. New York: Raven Press, 1987; 383-422.
9. The GEMS Study Group: Second report of a multicenter study on electrical stimulation for the treatment of
gastroparesis. Gut 1996; 39: A 103.
Anschrift für die Verfasser
Priv.-Doz. Dr. med. Jan W. Konturek
Medizinische Klinik und Poliklinik B
Westfälische Wilhelms-Universität
Albert-Schweitzer-Straße 33
48129 Münster
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