MEDIZIN: Die Übersicht
Die eßgestörte Athletin
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Ein zentraler Punkt in der Vorbereitung der Sportler auf einen Wettkampf ist sicherlich die regelmäßige
Kontrolle des Körpergewichtes. Die Notwendigkeit der Gewichtskontrolle liegt den folgenden Sportarten
naturgemäß zugrunde:
Bei Sportarten mit Gewichtsklassen (Boxen, Gewichtheben, Judo, Leichtgewichtsrudern, Ringen und andere),
aber auch bei Jockeys muß ein Gewichtslimit eingehalten werden. Darüber hinaus kann durch Gewichtsabnahme
("Gewichtmachen") ein Vorteil erzielt werden, wenn man in der nächstniedrigen Gewichtsklasse gegen relativ
schwächere Gegner antritt. Bei gleicher Leistung im Gewichtheben gewinnt der leichtere Sportler.
Bei Ausdauersportarten bedeutet ein niedrigeres Körpergewicht - genaugenommen ein niedrigerer
Körperfettanteil - indirekt eine Verbesserung der maximalen Ausdauerleistungsfähigkeit. Je geringer das
Körpergewicht bei gleicher absoluter maximaler Sauerstoffaufnahme wird, desto höher wird die relative
maximale Sauerstoffaufnahme pro Kilogramm Körpergewicht. Das bringt Vorteile für Langstreckenläufer, die
weniger Ballast mitzuschleppen haben.
In ästhetischen Sportarten ist ein niedriges Körpergewicht für den Bewegungsablauf günstiger (zum Beispiel bei
Turnerinnen, Ballettänzerinnen, Tanzsportlerinnen). Zudem besteht hier die Vorstellung, daß mit einem
schlanken Körper eine höhere Bewertung durch die Punktrichter erzielt werden kann.
Die Sportlerinnen dieser Sportarten befinden sich immer auf einem schmalen Grat zwischen
Wettbewerbsnachteilen (durch zu hohes Gewicht) und Leistungseinbußen (durch zu niedriges Gewicht). Es liegt
daher auf der Hand, daß diese Sportlerinnen ihr Körpergewicht kontrollieren müssen. Wird das individuelle
optimale Verhältnis zwischen Gewicht und Leistung nicht erkannt, kann sich hieraus eine Leistungsminderung
mit der Gefahr einer gesundheitlichen Störung ergeben.
Die bewußte Verringerung des Körpergewichtes bis zur Grenze des Untergewichtes, um eine bestimmte
sportliche Leistung zu erreichen und um Anerkennung zu gewinnen, wird als Anorexia athletica (besser wäre
vielleicht Pseudoanorexia athletica) bezeichnet. Der Begriff wurde von Smith (17) und Pugliese et al. (15)
geprägt, um deutlich zu machen, daß diese Form der Eßstörung ausschließlich sportinduziert ist (Tabelle 1). Die
Athletin vergleicht sich mit ihren Konkurrentinnen, sie beurteilt ihren Körper kritisch. Sie kann selbstbestimmt
in Abhängigkeit von der Trainingsphase und nach Beendigung der sportlichen Laufbahn ihre Ernährung
umstellen und wieder zunehmen.
Anorexia athletica
neben dem klinischen Bild der Anorexia nervosa
Die Anorexia athletica ist keine psychiatrische Erkrankung. Es besteht jedoch die Gefahr, daß das
Kontrollverhalten bei entsprechender Prädisposition - aufgrund der Legitimation durch den Sport meist
unbemerkt - in pathologische Dimensionen entgleist: Die Denkweise, daß ein deutlich verringertes Gewicht ein
besseres sportliches Leistungsvermögen bedeutet, veranlaßt eine Reihe von Sportlerinnen zu so starkem
Abmagern, daß daraus katabolische Zustände resultieren können. Eine optimale Leistungsfähigkeit ist dann nicht
mehr gegeben. Da in der Anfangsphase der Gewichtsreduktion durchaus bessere Leistungen erzielt werden
können, realisieren die Athletinnen die Grenze nicht, unter der die Erfolgskurve ebenfalls bergab geht. Ab einem
gewissen Punkt kann sich die Gewichtsreduktion verselbständigen, die Sportlerinnen geraten in das Vollbild
einer Anorexia nervosa (21). Als kritische Grenze muß ein Body-Mass-Index (BMI) von < 18 kg/m2 angesehen
werden.
Die Anorexia nervosa ist eine Erkrankung von Mädchen und jungen Frauen, bei denen die Selbsteinschätzung
der Körperform gestört ist und der Gewichtsverlust zum Inhalt des Denkens und Handelns wird. Dazu kommen
ein hoher Leistungswille auf unterschiedlichen Ebenen, Konflikte in oder mit der Familie, Abhängigkeit von der
Beurteilung durch andere Personen, Familie, Freunde, Partner oder Trainer. Ein Entkommen aus diesem
Teufelskreis ist meistens nur mit therapeutischer Hilfe möglich, teilweise nur während einer stationären
Behandlung. Die Kombination mit weiteren psychiatrischen Auffälligkeiten ist häufig der Fall. Der
psychologische Befund zeigt in der Mehrzahl der Fälle leichtere bis schwere depressive Verstimmungen, in
Einzelfällen kann auch eine Euphorie beobachtet werden. Oft finden sich Übergangsformen zwischen Anorexia
athletica und Anorexia nervosa, häufig kombiniert mit einer Bulimia (Freßsucht) mit Heißhungerattacken,
absichtlichem Erbrechen und/oder Abführen.
Gesundheitliche Folgen können in beiden Formen gleichermaßen auftreten. Die Dauer des Untergewichtes mit
dem chronischen Mangelstoffwechsel entscheidet über die Folgen auf den Knochenstoffwechsel, den
Hormonhaushalt, das Wachstum und die psychische Gesundheit.
Die Klinik der Anorexia nervosa ist als das Ergebnis der Interaktion einerseits organischer, andererseits
psychischer Faktoren zu sehen, die nicht voneinander unabhängig betrachtet werden können und sich gegenseitig
beeinflussen und verstärken. Die Anorexia ist von der Bulimia nervosa abzugrenzen (Textkästen Anorexia
nervosa und Bulimia nervosa) (3).
Als Kernsymptom der Pubertätsmagersucht muß die Körperschemastörung angesehen werden, welche die
Anorexie mit der Bulimie gemeinsam hat. Darunter versteht man eine
perzeptionelle und konzeptionelle Störung des eigenen Körperbildes: magersüchtige Patienten überschätzen
ihren Körperumfang und halten sich trotz Untergewicht für zu dick (6, 9).
Diagnostische Hilfen
Zur Beurteilung der kindlichen und jugendlichen Entwicklung sind die Daten des Wachstums wesentliche
Parameter. Für einen durchschnittlichen, normalen Entwicklungsverlauf sind Perzentilkurven als Referenzgrößen
nutzbar. Sie ermöglichen das Feststellen von Normabweichungen. Bei sportlich hochbelasteten Kindern und
Jugendlichen wird das Anlegen und Führen von Wachstumskurven als Basisdiagnostik empfohlen, zumal die
Verlaufsbeurteilung von besonderer Bedeutung ist. Für jedes chronisch kranke Kind ist dies aufgrund der
abnormen beziehungsweise hohen organischen Beanspruchung selbstverständlich. Für leistungssporttreibende
Kinder ist diese Empfehlung aufgrund der hohen Belastung und eventuellen Beanspruchung sinnvoll. Damit sind
dann auch Aussagen zur Toleranz der sportlichen Belastung und zur Ernährungsweise möglich. Zur exakten
Beurteilung von Normabweichungen dieser Daten sind weitere Zusatzinformationen erforderlich wie die
genetische Disposition, Reifestatus, Körperbautyp und Körpermassenzusammensetzung. Wichtig sind das
Abgehen von einer verallgemeinernden engen Körpermassenorientierung bei leistungssporttreibenden Kindern
und Jugendlichen und das stärkere Beachten der individuellen organischen Bedingungen und Erfordernisse als
Grundlagen für den Schutz einer gesundheits- und leistungsdienlichen Ernährungsweise (5).
Die Bestimmung des Körperdepotfetts (KDF) spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Sie
erfolgt indirekt, das heißt durch Messung der Hautfalte. Die Berechnung des prozentualen Anteils des
Körperdepotfettes an der Körpermasse erfolgt mit Hilfe von Regressionsgleichungen, die auch tabellarisiert sind.
Seit vielen Jahren hat sich in der Sportpraxis das Verfahren von Parízková (12) bewährt. Als Meßpunkte werden
zehn Meßstellen am Körper untersucht, die gleichzeitig einen Überblick über die Verteilung des Körperfettes am
gesamten Organismus angeben.
Sport: Risiko für die
(endokrine) Entwicklung?
Die Entwicklung des weiblichen Organismus in der Pubertät und Adoleszenz ist ein Zeitabschnitt, in dem sich
charakteristische funktionelle und morphologische Organveränderungen vollziehen, die den Frauenarzt wie den
Sportarzt in der medizinischen Betreuung gleichermaßen interessieren. Diese Organveränderungen werden bei
sporttreibenden Mädchen von biologischen Adaptationen durch ein regelmäßiges Training überlagert oder
modifziert.
Aus gynäkologisch-reproduktionsbiologischer Sicht besteht an der Klärung der Frage einer Menarche- oder
Entwicklungsverzögerung durch sportliches Training und damit verbundenen Restriktionen wie
Mangelernährung in der sensitiven Phase der Pubertät und deren möglichen Folgen ein großes Interesse. Immer
wieder findet man in pädagogischen und gynäkologischen Lehrbüchern heute noch das Zitat eines Postulates von
R. Frisch (4): "Jedes Jahr Training vor der Menarche ergib eine Menarcheverzögerung von fünf Monaten". "No
sports" für Kinder und Jugendliche? Sicher eine gefährliche Meinung im Angesicht der real zu beobachtenden
Freizeitgestaltung unserer Jugend und Plänen, den Schulsportunterricht zu reduzieren.
Erfahrungen mit der Betreuung von über 300 ehemaligen hoch trainierenden DDR-Sportlerinnen, Tänzerinnen
einer staatlichen Ballettschule sowie des Opernballetts aus einer speziellen "sportgynäkologischen
Sprechstunde" (Marx) zeigen bezüglich der Menarche eine relativ klare Gruppentrennung, die wesentlich von
der Körperkonstitution abhängig ist. Das mittlere Menarchealter aller 329 Sportlerinnen lag bei 13,57 ± 1,27
Jahren, was im Vergleich mit Literaturangaben zum Menarchealter etwa um ein halbes Jahr verspätet erscheint
(Tabelle 2), jedoch insgesamt im normalen Erwartungsbereich der Menarche liegt. Eine deutlich spätere
Menarche (14,8 ± 1,5 Jahre) fand sich ausschließlich in den Sportarten, die besonders schlanke, eher spät
pubertierende (retardierte) Mädchen selektieren: Turnen, Gymnastik, Ballett, Langstreckenlauf, Wasserspringen,
Hochsprung (Gruppe II, vergleiche Graphik). Die restlichen Sportlerinnen (Gruppe I) wiesen ein normales
mittleres Menarchealter von 13,1 ± 1,2 Jahren auf. Nur sieben Prozent der Sportlerinnen (n = 24) zeigten eine
echte Menarcheverzögerung über das 16. Lebensjahr hinaus (dabei 22 aus Gruppe II). Die meisten Sportlerinnen
lagen im normalen Schwankungsbereich für das Auftreten der Menarche (Tabelle 2).
Die 201 Sportlerinnen mit einem Prämenarchetraining (durchschnittlich 4,3 Jahre) wiesen mit 13,86 Jahren ein
um 0,88 Jahre späteres Menarchealter als 117 Sportlerinnen ohne Prämenarchetraining (12,98 Jahre) auf. Dies
ergäbe eine rechnerische "Verzögerung" von zwei Monaten je Prämenarchetrainingsjahr. Das höhere
Menarchealter der Sportlerinnen mit Prämenarchetraining wird dabei jedoch erneut insbesondere von den 71
sehr schlanken Sportlerinnen der Gruppe II beeinflußt (14,91 gegenüber 13,29 Jahren in der Gruppe I).
Die Einzelergebnisse zeigen, daß eine spätere Menarche gehäuft in Sportarten, die sich körperbaulich sehr
schlanke und zum Teil entwicklungsretardierte Mädchen selektionieren, zu beobachten ist, während es sowohl
bezüglich Trainingsbeginn und -umfang vor der Menarche als auch innerhalb der Sportartengruppen ganz
heterogene Beobachtungen gibt, die einen einheitlichen Einfluß dieser Größen mit großer Sicherheit
ausschließen. Im Vergleich von Schwimmerinnen und Turnerinnen mit gleichem sehr frühzeitigen
Trainingsbeginn (siebtes/achtes Lebensjahr) und etwa vergleichbarem, schon im Kindesalter sehr hohem
Trainingsumfang findet sich bei Schwimmerinnen ein normales Menarchealter, während die Turnerinnen als
Mittelwert 15,04 ± 1,83 Jahre aufweisen.
Die vorn angeführte These "jedes Jahr Training vor der Menarche ergibt eine Menarcheverzögerung von fünf
Monaten" von Frisch kann in ihrer Pauschalität hinsichtlich der alleinigen Negativbeeinflussung des
Menarchealters durch Training keinesfalls bestätigt werden. Vielmehr erscheint das Menarchealter auch im
Zusammenhang mit sportlichem Training eher individuell determiniert (körperbauliche und soziale Selektion,
insbesondere genetische Voraussetzungen, Ernährung, Psyche - aber natürlich auch zuviel individuelles
Training). Es ist zweifelhaft, ob man im Rahmen der normalen Schwankungsbreite der Menarche überhaupt von
einer Verzögerung reden sollte.
Ein erniedrigtes Körpergewicht geht deutlich überproportional mit Zykluspathologien, wie späterer/verspäteter
Pubertät und Oligo-/Amenorrhöen einher. Sämtlichen Zyklusstörungen ist der längerfristige Östrogenmangel
gemeinsam, der neben dem Ausbleiben der Regelblutung auch mit einer Minderung der Knochenmasse
(Belastungs- und Ermüdungsfrakturen) verbunden ist. Auch sind gegebenenfalls emotionelle Zeichen wie
depressive Verarbeitungsstörungen, Schlafstörungen, Antriebsarmut und Leistungsverlust nachweisbar.
Eßstörungen und die damit häufig verbundenen Störungen der Ovarialfunktion können zu Entkalkungen des
Skelettsystems führen. Kommt es zu einer deutlichen Verminderung der Knochenmasse und zu einer
Verschlechterung der Knochenmikroarchitektur, spricht man von Osteoporose. Die wesentlichen
Krankheitsfolgen der Osteoporose im fortgeschrittenen Stadium sind Knochenbrüche, vor allem des
Oberschenkelhalses, des Unterarms und der Wirbelkörper. Außerdem besteht bei Sportlerinnen eine erhöhte
Gefährdung für Streßfrakturen bei hohen mechanischen, also sportlichen Belastungen.
Die Dexa-Messung (dual X-ray absorptiometry) bietet derzeit die beste Datenbasis für die individuelle
Frakturabschätzung bei gleichzeitig sehr geringer Strahlendosis. Aufgrund lokaler Adaptationen des
Skelettsystems an sportbedingte mechanische Belastungen (zum Beispiel Calcaneus bei Läuferinnen, Radius bei
Tennisspielerinnen) trotz generell reduzierter Knochenmasse sollten bei Athletinnen als Meßort Wirbelsäule und
Femur bevorzugt werden.
Wenn bei einer Sportlerin durch gezielte Anamnese (insbesondere Menstruationsanamnese und Eßverhalten) und
körperliche Untersuchung Risikofaktoren herausgefunden wurden, sollte eine osteodensitometrische Diagnostik
zur Abschätzung der Therapiebedürftigkeit und zur Verlaufskontrolle veranlaßt werden (13, 14).
Dabei muß man prinzipiell davon ausgehen, daß die Verspätung der Östrogenproduktion (primäre Amenorrhö
bei Pubertas tarda) im Hinblick auf die Knochenentwicklung mit anderen Begleiterscheinungen verbunden ist als
der abrupte Abfall der Östrogenproduktion
nach bereits vorangegangener normaler pubertärer Reifung (sekundäre Amenorrhö).
Im Prinzip sollte jeder (Sportler-)
Patientin mit einer längerfristigen Amenorrhö von mehr als sechs Monaten wegen der Gefahr der Entwicklung
einer zum Teil erheblichen Osteopenie beziehungsweise Osteoporose zu einer Substitution geraten werden.
Zahlreiche Leistungssportlerinnen äußern jedoch zum Teil erhebliche Bedenken gegenüber einer
Östrogensubstitution im Hinblick auf Gewichtszunahme, Leistungsverlust, Veränderungen der erwünschten
Spannkraft und eher knabenhafter Statur in Richtung Verweiblichung und den Wiederbeginn der Menstruation,
was von ihnen eher ablehnend erlebt wird. Aus diesem Grunde sind großes Fingerspitzengefühl und
Einfühlungsvermögen erforderlich, um eine geeignete Substitutionsform zu finden (19).
Prävention und Therapie durch bedarfsangepaßte Ernährung
Eine bedarfsangepaßte und vollwertige Ernährung ist eine wesentliche Voraussetzung für Gesundheit,
Wohlbefinden und sportliche Leistungsfähigkeit. Eine unzureichende Energie- und Nährstoffaufnahme kann
dagegen die Leistung beeinträchtigen und die Gesundheit gefährden (2, 7). Sportler, die vegetarische oder
vegane Kost bevorzugen, kommen leicht in eine Minderversorgung.
Die gemeinsamen Anforderungen an eine gesundheitsschützende und leistungsfördernde Ernährung werden im
Textkasten Ernährung dargestellt. Der zuletzt genannte Gesichtspunkt trägt ganz wesentlich zur Regeneration
und damit zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit bei. Zahlreiche Gründe (Textkasten Nährstoffmangel) führen zu
einem Nährstoffmangel, das heißt die Nährstoffversorgung wird unsicher (7).
In kritischen Fällen kann auch über eine Ernährungsberatung (Textkasten Ernährungsberatung) Hilfe geboten
werden. Ernährungsprotokolle sollten einerseits als Möglichkeit gesehen werden, auf Fehler in der Ernährung
aufmerksam zu machen, andererseits sollte aufgezeigt werden, daß sie Hilfe bedeuten und daß sie davor
bewahren, zu viel zu essen und befürchten zu müssen, daß die Gewichtszunahme dadurch nicht kontrollierbar
sein könnte (Angst vor dem Zu-dick-Werden). Mit der Athletin/Patientin sollte die Zielvorgabe (auch
Zielgewicht) genau definiert und begründet werden, daß das niedrige Gewicht nicht mit einer Höchstleistung im
Sport auf Dauer vereinbar ist (10).
Rezepte können zumindest für den Anfang mitgegeben werden, sollten aber keine Dauerlösung sein, weil die
Patientin lernen sollte, selbst die Initiative zu ergreifen. Über diesen Weg kann sich aber zumindest ein Gefühl
für Mengen entwickeln.
Praktische Hinweise
für das Erkennen der
Anorexia athletica
Das Erkennen einer Anorexia athletica setzt regelmäßige Gewichts- und Körperhöhenkontrolle voraus. Der BMI
sollte nicht unter 17,5 kg/m2 liegen und die kindliche Wachstumsgeschwindigkeit 4 cm/Jahr nicht
unterschreiten. Die sportliche Leistungskurve darf keinen unerklärbaren Knick zur Leistungsminderung erfahren.
Körperfettmengenschätzung (Kalipermetrie) und Regelanamnese, einschließlich möglicher
Sexualhormoneinnahme, geben wichtige Hinweise ebenso wie Medikamentenge(miß-)brauch (Abführmittel,
Abmagerungsmittel und ähnliches). Spontanfrakturen, Ermüdungsbrüche und Osteonekrosen weisen auf
ernsthafte Störungen hin. Betreuende (Sport)Ärzte sollten im Gespräch mit der auffälligen Athletin gezielt nach
den Symptomen der Anorexia nervosa unter Zuhilfenahme der diagnostischen Kriterien der International
Classification of Diseases 10 (3) fahnden. Werden pauschale Hinweise auf Gesundheitsgefahren bei niedrigem
Körpergewicht erteilt, fühlen sich die Betroffenen häufig nicht angesprochen, Nichtbetroffene eher verunsichert.
Der individuellen Beratung ist nach Kenntnis der Familien- und Sozialanamnese der Vorzug zu geben.
Es ist die Aufgabe der sportmedizinischen Betreuung, durch Thematisierung, insbesondere durch gezielte
Ernährungs- und Trainingsberatung, das Abgleiten einer Anorexia athletica in eine Anorexia nervosa/Bulimie zu
vermeiden beziehungsweise den Beginn der Anorexia nervosa zu erkennen und einer fachgerechten Behandlung
zuzuleiten.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-1998-2002
[Heft 30]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck,
anzufordern über die Verfasser.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Dirk Clasing
Lohöfener Weg 31 · 48153 Münster
1. | Bernoth E, Link M, Weise W: Gynäkologie " Differentialdiagnose und Klinik. Thieme Leipzig 1984. |
2. | Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr. Frankfurt 5. Aufl. 1991. |
3. | Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information: ICD 10 " Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, Urban & Schwarzenberg München, Wien, Baltimore 1994. |
4. | Frisch RE, Wyshak G, Vincent L: Delayed menarche and amenorrhoea in ballet dancers. New Engl J med 1980; 303: 17"19. |
5. | Föhner G, Wagner K: Anwendungsorientierungen der Anthropometrie in der Betreuung von Sportlern. Leistungssport 1996; 26: 2: 12"16. |
6. | Gerlinghof M, Backmund H, Mai N: Magersucht und Bulimie verstehen und bewältigen. Ratgeber Psychologie 2. Aufl Beltz-Verlag 1995. |
7. | Hamm M: Nährstoffmangel und Leistungsfähigkeit " Prävention und Therapie durch optimale Ernährung: In: Clasing D, Damm F, Marx K, Platen P (Hrsg.): Die eßgestörte Athletin. Sport und Buch Strauß GmbH Köln 1996, 105"107. |
8. | Heinz M (Hrsg.): Gynäkologie im Kindes- und Jugendalter. Thieme Verlag Leipzig 1985. |
9. | Herpetz-Dahlmann B, Remschmidt H: Anorexia und Bulimia nervosa im Jugendalter. Dt Ärzteb 1994; 191: 1210"1218. |
10. | Korsten-Reck U: Was kann die Ernährungsberatung leisten? In: Clasing D, Damm F, Marx K, Platen P (Hrsg.): Die eßgestörte Athletin. Sport und Buch Strauß GmbH Köln 1996, 109"114. |
11. | Largo RH, Prader A: Pubertal development in Swiss girls. Helv. Paediatr. Acta 1983; 38: 229"243. |
12. | Parizková J: Rozvoj aktivni hmoty a tuku u deti a mladeje. SZN Praha 1962. |
13. | Platen P: Mobilität, Fitneß und Osteoporoseentstehung " Körperliche Belastung und Knochenmasse. Dtsch Z Sportmed 1995; 46: Sonderheft, 48"56. |
14. | Platen P: Die Diagnostik der Knochendichte. In: Clasing D, Damm F, Marx K, Platen P (Hrsg.): Die eßgestörte Athletin. Sport und Buch Strauß GmbH Köln 1996, 75"77. |
15. | Pugliese MT, Lifshitz F, Grad G, Fort P, Marks-Katz M: Fear of obesity. A cause of short stature and delayed puberty. New Engl J Med 1983; 309: 513"518. |
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18. | Sungot-Borgen J: Prevalence of eating disorders in elite female ahtletes. Int J Sport Nutr 1993: 3: 29"40. |
19. | Wolf AS: Sport " Risiko für die endokrine Entwicklung? "Hormontherapie ja/nein. In: Clasing D, Damm F, Marx K, Platen P (Hrsg.): Die eßgestörte Athletin. Sport und Buch Strauß GmbH Köln 1996, 89"92. |
20. | Wolf AS, Marx K: Leistungssport bei kleinen und heranwachsenden Mädchen. In: Heinz M (Hrsg.): Kinder- und Jugendgynäkologie in Sprechstunde und Klinik. Deutscher Ärzteverlag 1994. |
21. | Wurster KG, Weiske R, Keller E: Sind Zyklusstörungen ein Risiko für den Knochenstoffwechsel junger Frauen? In: Wurster KG, Weiske R (Hrsg.): Ermüdungsbruch durch Osteoporose. Risiken von Zyklusstörungen und Leistungssport. Springer Verlag Berlin 1991. |
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