ArchivDeutsches Ärzteblatt PP5/2010Psychosoziale Arbeitsbelastungen bei chirurgisch tätigen Krankenhausärzten: Ergebnisse einer bundesweiten Befragung

WISSENSCHAFT

Psychosoziale Arbeitsbelastungen bei chirurgisch tätigen Krankenhausärzten: Ergebnisse einer bundesweiten Befragung

Knesebeck, Olaf von dem; Klein, Jens; Frie, Kirstin Grosse; Blum, Karl; Siegrist, Johannes

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LNSLNS Die Arbeitssituation des Krankenhauspersonals in Deutschland ist gekennzeichnet durch steigende Patientenzahlen und kürzere Verweildauern (1). Vor diesem Hintergrund sind psychosoziale Arbeitsbelastungen bei Krankenhausärzten und die daraus erwachsenden Folgen in den vergangenen Jahren immer stärker in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses und der Öffentlichkeit gerückt (25). Dabei scheinen chirurgisch tätige Krankenhausärzte besonders belastet zu sein (6, 7). Dennoch gibt es in Deutschland für diese Gruppe kaum Studien, die generalisierbare Aussagen zulassen und sich an aktuellen theoretischen Modellen zur Erfassung von psychosozialen Arbeitsbelastungen orientieren. Diese defizitäre Forschungslage bildete den Hintergrund für eine bundesweite Untersuchung der Situation bei chirurgisch tätigen Krankenhausärzten.

In dieser Studie wurde auf zwei etablierte Modelle zur theoretischen Fundierung und Erfassung psychosozialer Arbeitsbelastungen zurückgegriffen:

• Gemäß dem Anforderungs-Kontroll-Modell (8) sind im Hinblick auf die Arbeitssituation zwei Dimensionen entscheidend: Zum einen sind dies Anforderungen, die an die arbeitende Person gestellt werden. Zum anderen ist es der Umfang von Kontrollchancen, die diese Person bei der Ausübung der Tätigkeit besitzt. Arbeiten, die durch die Kombination (quantitativ) „hohe Anforderungen“ und „niedrige Kontrollmöglichkeiten“ gekennzeichnet sind, können chronischen Distress („Job Strain“) hervorrufen.
• Ausgangspunkt des Modells beruflicher Gratifikationskrisen (9) bildet das vertraglich gestaltete, auf der Norm sozialer Reziprozität beruhende Arbeitsverhältnis. Es wird postuliert, dass diese Norm unter bestimmten Bedingungen verletzt wird, indem hohe geleistete Verausgabung bei der Arbeit nicht mit entsprechenden Gratifikationen belohnt wird. Berufliche Gratifikationen umfassen Geld, Wertschätzung und Anerkennung, Aufstieg und Arbeitsplatzsicherheit. Erweitert wird das Modell durch die intrinsische Komponente der übersteigerten beruflichen Verausgabungsneigung. Hierbei handelt es sich um ein motivationales Muster, das eine unrealistische Einschätzung von Anforderung und Belohnung kennzeichnet und die psychosozialen Arbeitsbelastungen zusätzlich verstärken kann.

Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, das Ausmaß an psychosozialen Arbeitsbelastungen bei chirurgisch tätigen Krankenhausärzten in Deutschland anhand der beiden skizzierten Modelle sowie ausgewählter zusätzlicher Indikatoren zu beschreiben. Zudem sollen Zusammenhänge mit soziodemografischen (Geschlecht), berufs- und arbeitsplatzbezogenen Merkmalen (Position und Fachabteilung) aufgezeigt werden.

Methode
Die Grundgesamtheit der im Jahr 2008 durchgeführten bundesweiten Befragung umfasste alle hauptamtlichen Ärzte in Allgemeinkrankenhäusern ab 100 Betten mit einer Fachabteilung für Chirurgie und/oder Gynäkologie beziehungsweise Geburtshilfe. Die Auswahl erfolgte über eine zweifach (auf Krankenhaus- und Arztebene) geschichtete disproportionale Zufallsstichprobe, damit vor allem größere Krankenhäuser mit vielen Ärzten in ausreichender Zahl vertreten waren. Deshalb wurden alle Krankenhäuser mit 300 Betten und mehr um eine Teilnahme an der Studie gebeten (Vollerhebung), wohingegen bei Häusern unter 300 Betten eine Zufallsstichprobe gezogen wurde. Auf Arztebene wurden in Einrichtungen unter 600 Betten jeweils drei Ärzte pro Fachabteilung zufällig ausgewählt und in größeren Einrichtungen – weil dort insgesamt deutlich mehr Ärzte arbeiten – jeweils neun Ärzte pro Abteilung. Die Kategorisierung der Krankenhausgrößen orientierte sich an der üblicherweise vom Deutschen Krankenhausinstitut verwendeten Einteilung. Es wurden 922 Krankenhäuser (681 mit chirurgischer und 241 mit gynäkologischer Fachabteilung) angeschrieben. Dies entspricht einer Ausgangsstichprobe von 3 648 Ärzten. Die Verteilung der Ärzte nach chirurgischen und gynäkologischen Abteilungen stimmt dabei näherungsweise mit der Verteilung in der Grundgesamtheit überein.

Im Anschreiben wurde der ärztliche Direktor darum gebeten, die Fragebögen an die (je nach Krankenhausgröße) drei beziehungsweise neun Ärzte weiterzuleiten. An der standardisierten schriftlichen Befragung nahmen 1 311 Krankenhausärzte aus 489 Krankenhäusern teil, das heißt 53 % der 922 angeschriebenen Krankenhäuser haben sich an der Untersuchung beteiligt. Bezogen auf die Ausgangsstichprobe von 3 648 Ärzten haben 36 % der Ärzte auf die Befragungen geantwortet. Die Rücklaufquote bezogen auf die Ärzte in den teilnehmenden Krankenhäusern betrug 65 %.

Der bereits in zahlreichen Untersuchungen psychometrisch getestete Fragebogen zur Messung beruflicher Gratifikationskrisen (10) enthält 6 Items zur Verausgabung. 10 Items beziehen sich auf die Belohnung, bestehend aus den drei Subskalen Wertschätzung (4 Items), Gehalt/beruflicher Aufstieg (4 Items) und Arbeitsplatzsicherheit (2 Items). Die Antworten wurden jeweils anhand einer 5-Punkte-Likert-Skala gegeben, die das Ausmaß der empfundenen Belastung abbildet. Für die Analysen wurden die Werte summiert. Um die Stärke der psychosozialen Arbeitsbelastungen in einem Zahlenwert auszudrücken, entwickelte Siegrist einen Verausgabungs-Belohnungs-Quotienten, der bei einem Wert über 1 auf eine berufliche Gratifikationskrise hinweist (10). Die berufliche Verausgabungsneigung wurde mit 6 Items erfasst, wobei die Befragten anhand einer 5-Punkt-Skala das Ausmaß ihrer Zustimmung zu verschiedenen Aussagen ausdrücken konnten.

Das Anforderungs-Kontroll-Modell wurde mit der 16-Items-Version des vielfach validierten Job Content Questionnaire (11, 12) erhoben. Anforderung und Kontrolle wurden mit jeweils 8 Items einer vierstufigen Antwortskala von „stimme voll zu“ bis „stimme gar nicht zu“ erfragt. Auch hier wurden die Werte der Items summiert. Mittels Mediantrennung der beiden Komponenten Anforderung und Kontrolle wurden die Ärzte gemäß der Modellvorgaben gruppiert. Dabei war insbesondere die Gruppe bedeutsam, deren Mitglieder unter chronischem Distress beziehungsweise Job Strain litten, das heißt, bei denen hohe Anforderungen bei gleichzeitig niedriger Kontrolle vorherrschten.

Neben diesen beiden Modellen wurden weitere Indikatoren für Arbeitsbelastungen beziehungsweise daraus erwachsende Folgen ermittelt. Dazu zählen zwei selbst entwickelte Items, die sich mit der Übertragung von Belastungen im Beruf auf das Privatleben beschäftigen. Im Einzelnen wurde erfasst, inwieweit die berufliche Beanspruchung Unternehmungen mit der Familie oder persönliche Interessen beeinträchtigt. Auch in diesem Fall hatten die befragten Krankenhausärzte die Möglichkeit, die Fragen zu diesen beiden Punkten anhand einer 4-Punkte-Skala zu beantworten. Darüber hinaus wurde gefragt, wie häufig die Ärzte in den letzten 12 Monaten daran gedacht haben, ihren Beruf aufzugeben oder aufgrund der hiesigen Arbeitsbedingungen im Ausland zu arbeiten (1 = nie, 2 = einige Male im Jahr, 3 = einige Male im Monat, 4 = einige Male in der Woche, 5 = jeden Tag). Des Weiteren wurde mit Hilfe einer selbst entwickelten 4-stufigen Skala (1 = nie, 2 = selten, 3 = manchmal, 4 = oft) ergründet, wie häufig Überarbeitung und Zeitdruck die Qualität der Patientenversorgung beeinträchtigen.

Für die Zusammenhangsanalysen wurden Kreuztabellen und logistische Regressionen berechnet. Da die Angaben zu den psychosozialen Arbeitsbelastungen nicht normal verteilt sind, wurden für die Mittelwertvergleiche nichtparametrische Testverfahren (Mann-Whitney U-Test) angewendet. Alle Analysen wurden mit dem Statistikpaket SPSS 15.0 durchgeführt.

Ergebnisse
Grafik 1 (gif ) zeigt, dass etwa ein Viertel der chirurgisch tätigen Krankenhausärzte unter einer beruflichen Gratifikationskrise, das heißt, unter einem Missverhältnis von Verausgabung und Belohnung leidet. Die Prävalenz ist bei Assistenzärzten mit und ohne Weiterbildung deutlich höher als bei Ober- und Chefärzten, wohingegen sich im Hinblick auf das Geschlecht und die Fachabteilung (Gynäkologie/Geburtshilfe versus [Allgemein]Chirurgie) nur geringfügige Unterschiede zeigen. Betrachtet man die einzelnen Dimensionen des Modells beruflicher Gratifikationskrisen (Tabelle 1 gif ), so wird deutlich, dass Assistenzärzte ausschließlich bei Belohnungen, und hier insbesondere bei der empfundenen Angemessenheit des Gehalts und der Wertschätzung/Anerkennung, niedrigere Werte aufweisen als ihre höher gestellten Kollegen. Demgegenüber neigen Chef- und Oberärzte eher zu übersteigerter beruflicher Verausgabung.

Bei mehr als 22 % der Krankenhausärzte liegt nach dem Anforderungs-Kontroll-Modell Job Strain vor (Grafik 2 gif ), das heißt, die Ärzte sind mit hohen Anforderungen bei gleichzeitig niedriger Kontrolle konfrontiert. Der Anteil ist bei Frauen im Vergleich zu Männern und bei Assistenzärzten im Vergleich zu Chef- und Oberärzten erhöht. Dies liegt vor allem daran, dass Frauen und Assistenzärzte den Handlungs- und Entscheidungsspielraum (Kontrolle) bei ihrer Arbeit deutlich geringer einschätzen (Tabelle 1). Krankenhausärzte aus der (Allgemein-)Chirurgie weisen höhere Anforderungs- aber auch Kontrollwerte auf, so dass sich im Hinblick auf die Kombination beider Dimensionen (Job Strain) nur geringfügige Unterschiede zu Ärzten aus der Gynäkologie/Geburtshilfe zeigen.

72 % der befragten Ärzte gaben an, durch den Beruf so stark beansprucht zu sein, dass sie zu müde sind, etwas mit dem Partner oder mit den Kindern zu unternehmen. Knapp 80 % sind durch die berufliche Beanspruchung zu erschöpft, um sich noch persönlichen Interessen zuwenden zu können. Die letztgenannte Übertragung von beruflichen Belastungen auf das Privatleben wurde besonders häufig von Frauen und Assistenzärzten beklagt.

Rund ein Fünftel der chirurgisch tätigen Krankenhausärzte haben einige Male im Monat oder häufiger daran gedacht, ihren Beruf aufzugeben. Noch mehr Ärzte (etwa ein Drittel der Befragten) haben einige Male im Monat oder häufiger daran gedacht, aufgrund der hiesigen Arbeitsbedingungen im Ausland zu arbeiten. Besonders häufig ist dies bei männlichen Ärzten, Assistenzärzten und Chirurgen. Etwa 44 % der befragten Ärzte sehen die Qualität der Patientenversorgung manchmal oder oft durch Überarbeitung beeinträchtigt. Etwa zwei Drittel gehen davon aus, dass Zeitdruck die Qualität manchmal oder oft vermindert. Diese Beeinträchtigungen werden häufiger von Frauen und Assistenzärzten wahrgenommen.

Tabelle 2 (gif ) zeigt die Zusammenhänge zwischen den beiden Modellen psychosozialer Arbeitsbelastungen und den Angaben zu beruflichen Plänen und zur Qualität der Patientenversorgung anhand von logistischen Regressionsanalysen. Chirurgisch tätige Krankenhausärzte mit erhöhten psychosozialen Belastungen weisen signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeiten auf, im letzten Jahr einige Male im Monat oder häufiger daran gedacht zu haben, den Beruf aufzugeben oder im Ausland zu arbeiten. Darüber hinaus geben diese Ärzte häufiger an, dass die Qualität ihrer Patientenversorgung durch Überarbeitung oder Zeitdruck beeinträchtigt ist.

Diskussion
Legt man das Anforderungs-Kontroll-Modell (8) und das Modell beruflicher Gratifikationskrisen (9) zugrunde, stellt man fest, dass chirurgisch tätige Krankenhausärzte verglichen mit der deutschen Erwerbsbevölkerung hoch belastet sind (1214). So liegt zum Beispiel der Mittelwert des Quotienten aus Verausgabung und Belohung in der Erwerbsbevölkerung zwischen 0,5 (12) und 0,6 (13), bei Allgemeinmedizinern bei etwa 0,8 (14) und bei chirurgisch tätigen Krankenhausärzten bei etwa 0,9 (Tabelle 1). Ein Vergleich der Ergebnisse der vorliegenden Studie mit Untersuchungen aus anderen Ländern, die ebenfalls mit Ärzten durchgeführt wurden, zeigt, dass insgesamt ähnlich hohe Belastungswerte erzielt wurden (1418). Die Belastungen hängen häufig zusammen mit Aspekten des familiären und privaten Lebens, mit der Planung der weiteren beruflichen Laufbahn und der wahrgenommenen Qualität der Patientenversorgung. Als besonders hoch belastet erwiesen sich Assistenzärzte mit und ohne Weiterbildung. Zudem ergaben sich geschlechtsspezifische Unterschiede mit – wenn auch nicht konsistent – höheren Belastungswerten für Frauen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass Frauen unter den Assistenzärzten überrepräsentiert sind. Vereinzelt zeigten sich Unterschiede zwischen Gynäkologie/Geburtshilfe und (Allgemein-)Chirurgie, ohne dass sich ein klares Muster abzeichnete. Darüber hinaus waren die Belastungen in größeren Krankenhäusern stärker ausgeprägt als in kleineren (im Ergebnisteil nicht dargestellt).

Beide genannten stresstheoretischen Modelle gehen von einer erhöhten Gesundheitsgefährdung bei psychosozialer Arbeitsbelastung aus. Diese Annahme ist für beide Modelle für verschiedene Gesundheitsindikatoren beziehungsweise Erkrankungen in nationalen und internationalen Studien sowohl im Querschnitt als auch prospektiv bestätigt worden (10, 16, 19, 20). Man kann also davon ausgehen, dass die Arbeit als chirurgisch tätiger Krankenhausarzt sowohl das Risiko für psychosoziale Arbeitsbelastungen als auch für daraus resultierende gesundheitliche Beeinträchtigungen erhöht (21).

Klärungsbedürftig ist die Frage, ob die deutlichen Unterschiede zwischen Assistenzärzten mit und ohne Weiterbildung auf der einen und Chef- und Oberärzten auf der anderen Seite auf Positions- oder Kohorteneffekte zurückzuführen sind. Sollte es sich um einen Positionseffekt handeln, würde man erwarten, dass sich die Belastungen im Zuge der ärztlichen Karriere verringern. Einen solchen Effekt findet man auch im Modell beruflicher Gratifikationskrisen (9): Demzufolge werden hohe Kosten bei niedrigem Gewinn teilweise aus strategischen Gründen in Kauf genommen, weil man sich von erbrachten Vorleistungen bessere Chancen für ein berufliches Fortkommen zu einem späteren Zeitpunkt verspricht. Denkbar ist aber auch ein Kohorteneffekt, das heißt: Die jetzigen Assistenzärzte fühlen sich durch die Arbeitsbedingungen stärker belastet als die Assistenzärzte früher. Dies würde bedeuten, dass sich diese Ärzte auch später unabhängig von ihrer Position als stärker belastet empfinden. Um zu klären, welche Rolle Positions- und Kohorteneffekte bei den gefundenen Unterschieden spielen, sind Längsschnittdaten notwendig.

Implikationen
Gesundheitspolitisch besonders bedeutsam ist der Befund eines Zusammenhangs zwischen psychosozialer Arbeitsbelastung und der subjektiv wahrgenommenen Qualität der Patientenversorgung. Viele Krankenhausärzte gaben an, dass Faktoren wie Überarbeitung oder Zeitdruck die Qualität der Versorgung häufig beeinträchtigen. Bislang ist ein solcher Zusammenhang nur in wenigen Studien systematisch untersucht worden (2225). Ein Grund für dieses Forschungsdefizit mag darin bestehen, dass eine solche Untersuchung komplexe methodische Designs erfordert. Auch die hier dokumentierten Befunde zu möglichen Auswirkungen von Arbeitsbelastungen auf die Patientenversorgung sind vor dem Hintergrund methodischer Begrenzungen zu sehen (siehe unten). Dennoch weisen die Ergebnisse darauf hin, dass eine stärkere Patientenorientierung und eine optimalere Versorgungsqualität an eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für das Krankenhauspersonal gebunden sind. Solche Verbesserungen können zum Beispiel durch Maßnahmen zur Stressprävention oder die Weiterentwicklung der betrieblichen Gesundheitsförderung im Krankenhaus realisiert werden. Zu denken ist hierbei auch an Änderungen der Arbeitsorganisation etwa durch innovative Arbeitszeitmodelle, Entlastung von Dokumentation und Administration sowie Delegation ausgewählter ärztlicher Tätigkeiten an anderes Personal.

Das Modell der beruflichen Gratifikationskrisen legt zudem nahe, dass in Bezug auf Belohnungen neben dem Gehalt die Anerkennung und Wertschätzung durch Vorgesetzte und Kollegen besonders wichtig sind, dies gilt insbesondere für Assistenzärzte. Gemäß dem Anforderungs-Kontroll-Modell spielt darüber hinaus die Erweiterung des Handlungs- und Entscheidungsspielraums eine große Rolle.

Methodische Limitationen
Bei der Einordnung der präsentierten Studienergebnisse sind methodische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Aufgrund der geschichteten Stichprobe lassen sich verschiedene Rücklaufquoten für die Befragung der Krankenhausärzte berechnen. Bezogen auf die Ärzte in den teilnehmenden Krankenhäusern ergab sich eine Rücklaufquote von etwa 65 %. Eine solche Ausschöpfung ist angesichts der Population, die als vergleichsweise schwer befragbar gilt, zumindest zufriedenstellend.

Methodisch relevant ist darüber hinaus die Tatsache, dass alle in den Analysen verwendeten Variablen auf Selbsteinschätzung beruhen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie valide die Angaben der Krankenhausärzte insbesondere zu den psychosozialen Arbeitsbelastungen sind. Bei der Messung mithilfe der beiden stresstheoretischen Modelle konnte auf validierte Instrumente zurück gegriffen werden (10, 11, 12), die auch in anderen Ärztebefragungen erfolgreich eingesetzt worden sind (1418). Die übrigen Indikatoren wurden für die Studie entwickelt oder aus anderen Untersuchungen abgeleitet (23); sie müssen somit als bislang nicht hinreichend validiert gelten. Schließlich muss betont werden, dass aufgrund des Querschnittdesigns der Studie aus den Zusammenhangsanalysen keine kausalen Schlüsse gezogen werden können.

Fazit
Mit der vorgelegten Studie ist ein Beitrag zur systematischen Untersuchung von Arbeitsbelastungen bei Krankenhausärzten geleistet worden. Die Studie zeigt, dass chirurgisch tätige Krankenhausärzte in Deutschland einem erhöhten Risiko für psychosoziale Arbeitsbelastungen ausgesetzt sind. Das gilt in besonderem Maße für (jüngere) Assistenzärzte. Solche Belastungen stellen ein Risiko für die Gesundheit der Ärzte und die Qualität der Patientenversorgung dar. Die Einbeziehung von etablierten Modellen zur Untersuchung von psychosozialen Arbeitsbelastungen erlaubt es, theoriegeleitete Interventionen zur Stressprävention und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Krankenhaus zu entwickeln.

Danksagung
Die Studie wurde von der Hans-Böckler-Stiftung finanziell unterstützt.
Die Autoren danken allen 1 311 Krankenhausärzten, die an der Befragung teilgenommen haben.

Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten
eingereicht: 26. 5. 2009, revidierte Fassung angenommen: 5. 10. 2009


Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. phil. Olaf von dem Knesebeck
Institut für Medizin-Soziologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52, 20246 Hamburg
E-Mail: o.knesebeck@uke.uni-hamburg.de


SUMMARY
Psychosocial Stress Among Hospital Doctors in Surgical Fields: Results of a Nationwide Survey in Germany
Background: The aim of this paper is to analyze psychosocial stress in the workplace among hospital doctors working in surgical fields in Germany with the aid of the demand-control model, the effort-reward imbalance model, and selected additional indicators.
Methods: A written questionnaire was answered by a stratified random sample consisting of 1311 hospital doctors working in surgical fields in 489 hospitals in Germany. Validated instruments were used to make measurements according to the demand-control and effort-reward imbalance models.
Results: The working conditions of about a quarter of the hospital doctors surveyed were characterized by an effort-reward imbalance. 22% of them have “job strain” according to the demand-control model, i.e., they are confronted with high demands, yet have a low degree of control. Residents and assistant physicians not occupying training positions were both found to have an especially high degree of psychosocial stress. Furthermore, about one-fifth of the hospital doctors surveyed thought about giving up their profession at least a few times per month. 44% of them considered that the quality of patient care was sometimes or often impaired by an excessive physician workload.
Conclusion: An investigation of psychosocial stress in the workplace among hospital doctors in surgical fields in Germany indicates that this group suffers from more severe stress at work than other occupational groups. Such working conditions pose a threat to these physicians’ own health and to the quality of the health care that they provide.

Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2010; 107(14): 248–53
DOI: 10.3238/arztebl.2010.0248

@The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
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