DEUTSCHER ÄRZTETAG
Versorgungsforschung: Mit gebremster Kraft in die nächste Förderphase
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Richtig ums Geld für die Versorgungsforschung wird es im nächsten Jahr, auf dem 114. Deutschen Ärztetag in Kiel, gehen. Bis dahin soll die Bundesärztekammer (BÄK) eine Konzeption zur Fortentwicklung der Förderinitiative einschließlich eines Finanzierungsrahmens erstellen – so lautet das zustimmende Votum des diesjährigen Ärztetages zum Beschlussantrag des BÄK-Vorstands. Gleichzeitig halten die Delegierten „eine Fortsetzung der Bemühungen um eigene Beiträge zur Versorgungsforschung für erforderlich und befürworten eine im Lichte der bisherigen Erfahrungen angepasste Fortsetzung“.
„Die Versorgungsforschung ist
auch jenseits der Wissenschaft
bei der Ärzteschaft auf größeres
Verständnis gestoßen.“ Peter C. Scriba
Im Jahr 2011 läuft die sechsjährige Förderinitiative zur Versorgungsforschung aus, die der 108. Deutsche Ärztetag 2005 beschlossen hatte und die eine jährliche Förderung von Projekten zur Versorgungsforschung durch die BÄK in Höhe von 750 000 Euro vorsah. Angesichts kritischer Stimmen im Vorfeld, die sich gegen eine weitere finanzielle Belastung durch die Förderung der Versorgungsforschung ausgesprochen hatten, legte der BÄK-Vorstand den Delegierten einen Beschlussantrag vor, der niemandem wehtat und der gleichzeitig die Tür für eine zweite Förderphase weit offen hielt. Diese sollte – hier kam man den Kritikern entgegen – „finanziell an die Möglichkeiten der Bundesärztekammer angepasst und damit enger als bisher ausgestaltet werden“. Zudem sollten ärztlich relevante Versorgungsaspekte – ohne Einbuße an Wissenschaftlichkeit – bei der Formulierung der Forschungsfragen mehr im Vordergrund stehen.
Seinen persönlichen Beitrag
zur Versorgungsforschung
wollte er gleich persönlich leisten.
Ulrich Schwantes überreichte dem
BÄK-Vorstand einen Fünfeuroschein.
Dagegen sieht Scriba die Typ-II-Projekte, bei denen auf Symposien das vorliegende wissenschaftliche Material zu aktuellen Themen zusammengetragen und in der Folge als „Report Versorgungsforschung“ veröffentlicht wird, als geeignete Basis für die Ärzteschaft, sich gerade auch zu politischen Themen fundiert äußern zu können. Diese Projekte seien kostengünstiger als originäre Forschung, hätten aber einen höheren Multiplikatoreffekt. Auch die als Typ-III-Projekte bezeichneten Literaturreviews und Expertisen ermöglichten eine kurzfristige Bearbeitung enger umschriebener konkreter Fragestellungen. Als beispielhaft bezeichnete Scriba den im Deutschen Ärzteblatt erschienenen wissenschaftlichen Beitrag „Finanzierung von Arzneimittelstudien durch pharmazeutische Unternehmen und die Folgen“, der auf ein großes öffentliches Interesse gestoßen sei.
Bernard Lenhard will erst zweifelsfrei
geklärt sehen, welchen Nutzen die
Versorgungsforschung bringt, bevor er der
Verlängerung der Förderung zustimmt.
Die vorweggenommene Selbstbeschränkung bei der Planung der nächsten Förderphase wird ihren Teil mit dazu beigetragen haben, dass sich bei den Delegierten nur vereinzelter Widerstand gegen eine weitere Finanzierung durch die Ärzteschaft regte. So brachte Dr. med. Bernhard Lenhard mit weiteren Delegierten aus Rheinland-Pfalz einen Antrag auf Aussetzung des Projekts ein. „Was ist denn der Nutzen all dieser Projekte für die Ärzteschaft?“, fragte er die Delegierten. Dies müsse erst zweifelsfrei geklärt sein, bevor man über eine Fortsetzung der Förderung entscheiden könne.
„Vom Glanz und
von den Grenzen
ärztlicher Behandlungsleitlinien“
berichtete Hans-
Konrad Selbmann.
Sein Dank galt der
BÄK-Förderinitiative:
„Sie haben die
Leitlinienentwicklung
in Deutschland
vorangebracht.“
Unterstützung fand er bei Dr. med. Joachim Calles, Bayern, der bereits 2009 auf dem Deutschen Ärztetag in Mainz mit einem ähnlichen Antrag auf externe Evaluation gescheitert war. „Kein Mensch hat etwas dagegen, Einzelprojekte, die von Bedeutung sind, aus Mitteln der Ärzteschaft zu bezahlen“, betonte Calles. Er wende sich aber gegen das Gießkannenprinzip, mit dem auch vieles an wissenschaftlicher Expertise gefördert werde, was man bereits mit gesundem Menschenverstand erkenne. Zum Teil seien es Selbstverständlichkeiten, die es da zu lesen gebe. „Ein ,Weiter-so-wie-bisher‘ darf es nicht geben“, forderte Calles.
Dr. med. Günther Jonitz, BÄK-Vorstand und Präsident der Ärztekammer Berlin, hielt dagegen: „Um glaubhaft zu sein, braucht man mehr als das persönliche Erleben.“ Für die gesundheitspolitische Diskussion benötige man wissenschaftlich belastbare Daten und Fakten. „Wenn wir dem Vorstandsantrag nicht zustimmen, dann schießen wir uns aus der Diskussion heraus“, mahnte Jonitz. „Als eine Investitionsentscheidung zugunsten eines bis dahin vernachlässigten Forschungszweiges“, bezeichnete BÄK-Vizepräsidentin Dr. med. Cornelia Goesmann, die bei diesem Tagesordnungspunkt die Sitzungsleitung übernommen hatte, die Förderinitiative. Die dafür aufgewendeten Mittel seien gut ausgegebenes Geld. Forschungsergebnisse bildeten die Grundlage für eine ernstzunehmende Politikberatung. Unterstützung für die Weiterführung Förderung der Versorgungsforschung kam in der Debatte zu TOP II noch von weiteren Vorstandsmitgliedern. Dr. med. Andreas Crusius, Präsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern: „Man braucht Beweise, die man staatlichen Stellen vorlegen kann.“ Prof. Dr. med. habil. Jan Schulze, Präsident der Landesärztekammer Sachsen: „Eine Aussetzung können wir uns nicht leisten. Eine Beteiligung der Ärzte ist wichtig, um gestalten zu können.“
Plädoyer für einen Zugriff
auf Routinedaten für ärztliche
Körperschaften. Thomas Mansky:
„Agieren können Sie nur, wenn Sie
die Daten haben.“
Zugriff auf Routinedaten
In einem weiteren Entschließungsantrag forderten die Delegierten eine gesetzliche Regelung, mit der alle von den Krankenkassen erhobenen Leistungs- und Abrechnungsdaten für die Zwecke der Versorgungsforschung zugänglich gemacht werden. Die verstärkte wissenschaftliche Nutzung von Routinedaten ermögliche aussagefähigere Ergebnisse der Versorgungsforschung. Zuvor hatte Prof. Dr. med. Thomas Mansky von der Technischen Universität Berlin über einige Ergebnisse seiner Expertise zur „Notwendigkeit eines ungehinderten Datenzugangs (. . .) für ärztliche Körperschaften“ referiert. Ein Ergebnis: „Bei der Zusammenführung und Auswertung von Routinedaten sind wir weit hinter dem zurück, was möglich wäre. Über Abrechnungsdaten der Krankenversicherung sind Diagnosen, Prozeduren, Heil- und Hilfsmittelverbrauch, Arzneiverordnungen, Todeszeitpunkte, Pflegestufe und andere Informationen längst verfügbar.“ Die Krankenkassen seien derzeit bereits in der Lage, die Daten sektorenübergreifend auszuwerten. Mansky: „Es kann nicht sein, dass diese Daten von einer Seite monopolisiert verarbeitet werden.“ Eine Datenzusammenführung auf Bundesebene sei zwar nach § 303 SGB V bereits vorgesehen, aber von den GKV-Vertragspartnern noch nicht realisiert. Demnach wäre die Bundesärztekammer nicht direkt, sondern nur indirekt durch die Förderinitiative Versorgungsforschung über hochschulangehörige Projektnehmer zugangsberechtigt. Die vorgelegte Expertise zeige anhand von Beispielen auf, in welcher Weise die Daten von der BÄK genutzt werden könnten. Ziel sei es, die BÄK in die Lage zu versetzen, nicht nur zu reagieren, sondern zu agieren. Mansky: „Agieren können Sie nur, wenn Sie die Daten haben. Wenn Sie im richtigen Moment die richtigen Analysen haben wollen, brauchen Sie das geeignete Instrumentarium. Lassen Sie sich das nicht aus der Hand nehmen.“
Ein wenig auf die falsche Fährte geführt wurden einige Delegierte vom dritten Vortragenden zu diesem TOP II. Prof. Dr. rer. biol. hum. Hans-Konrad Selbmann, Vorsitzender der Ständigen Kommission für Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, referierte über den grundsätzlichen Nutzen von Leitlinien zur Verbesserung der Qualität in der Medizin. Die Umsetzung von Leitlinien im ärztlichen Alltag und deren Auswirkungen auf die Ergebnisqualität waren zwei Schwerpunkte der BÄK-Versorgungsforschungsförderung. Einige Delegierte nahmen dies zum Anlass, sich über die Notwendigkeit und den Nutzen von Leitlinien in der ärztlichen Versorgung auszutauschen. Dies war im Rahmen dieses TOPs wenig zielführend, zeigte aber deutlich, dass noch immer reichlich Aufklärungsbedarf über die Erstellung und Verwendung von Leitlinien besteht.
Thomas Gerst
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