DEUTSCHER ÄRZTETAG
Patientenrechte: Ein Gesetz löst die Probleme nicht
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DÄ plus


Zum zweiten Mal in Folge hat sich der Deutsche Ärztetag mit der gesetzlichen Regelung von Patientenrechten beschäftigt. Während die Delegierten in Mainz das Thema vor allem im Zusammenhang mit der Rationierung von Leistungen im Gesundheitssystem diskutierten, ging es beim 113. Deutschen Ärztetag in Dresden auch um eine Positionierung der Ärzte vor dem Hintergrund der politischen Bestrebungen, ein entsprechendes Gesetz zügig auf den Weg zu bringen. So befürworten inzwischen alle Parteien ein „Patientenrechtegesetz“ oder – wie es noch im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP heißt – ein „Patientenschutzgesetz“. Die Bundesregierung will bis Ende 2010 Eckpunkte für einen Gesetzesentwurf vorlegen. Zuvor hatte bereits die SPD-Fraktion einen Antrag in den Bundestag mit Anforderungen an ein solches Gesetz eingebracht. Die Ärzte blicken auf diese Bemühungen unverändert mit Skepsis. Sie befürchten, dass im Rahmen der Diskussion versucht wird, von dem eigentlichen Problem – Priorisierung und Rationierung – abzulenken. Denn aus ihrer Sicht sind die im Behandlungsvertrag definierten individuellen Patientenrechte in Deutschland in mehreren Gesetzen, in den Berufsordnungen der Ärzte sowie in der Rechtsprechung umfassend geschützt.
Frank Ulrich Montgomery:
„Wir wollen nicht esoterisch über längst
geregelte rechtsdogmatische Fragen
diskutieren.“
Berufsordnung schützt die individuellen Rechte
Der beste Patientenschutz gehe von der Berufsordnung der Ärzte aus, betonte der Vizepräsident der BÄK, Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, in seinem Grundsatzreferat. „Transparenter, nachvollziehbarer, gerechter und präziser kann man individuelle Patientenrechte überhaupt nicht verankern, als wir das tun“, fügte er hinzu. Die individuellen Rechte des Patienten auf eine angemessene Information und Beratung, auf eine standardgemäße Behandlung und Dokumentation, auf die Einsicht in die Behandlungsunterlagen sowie auf Vertraulichkeit und Datenschutz seien dabei „in ärztlichen Pflichten sozusagen ‚reziprok‘ geregelt“, führte der BÄK-Vizepräsident aus und zitierte aus § 7 der (Muster-)Berufsordnung: „Jede medizinische Behandlung hat unter Wahrung der Menschenwürde und unter Achtung der Persönlichkeit, des Willens und der Rechte der Patientinnen und Patienten, insbesondere des Selbstbestimmungsrechts, zu erfolgen.“
„Patientenrechte werden
in der Europäischen Union
vor allem als das Recht auf
angemessene Behandlung
verstanden. Das ist ganz
im Sinne der deutschen
Ärzteschaft.“ Peter Liese
Montgomery stellte darüber hinaus klar, dass die Bundesärztekammer den Ausbau kollektiver Patientenbeteiligung befürwortet. Als Beispiel nannte er die Entwicklung nationaler Versorgungsleitlinien beim Ärztlichen Zentrum für Qualität der BÄK und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die eine Patientenbeteiligung einschließt. Allerdings sei klarer zu definieren, wer im politischen Prozess als Patientenvertreter infrage komme – etwa Vertreter der Selbsthilfegruppen oder der Verbraucherzentralen, Interessenorganisationen oder die „Unabhängige Patientenberatung Deutschlands“. „Wir sind bereit, mit allen zu reden, aber wir müssen dabei höllisch aufpassen, dass nicht eine neue Beteiligungsbürokratie entsteht, die sich für die Fortentwicklung vor allem der medizinischen Professionalität eher hinderlich als förderlich auswirkt“, warnte Montgomery.
Andreas Scholz
verwies auf
das Problem der
stark gestiegenen
Haftungsprämien.
Einen konstruktiven Austausch und viel Übereinstimmung gibt es mit dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung. Wolfgang Zöller gehe es nicht darum, in die bestehenden Rechte einzugreifen und etwas zu ändern, berichtete Montgomery, „das hat er mir in einem Gespräch vor einigen Tagen bestätigt“. Zöller lehne den Begriff eines „Patientenschutzgesetzes“ genauso vehement ab wie die Ärzte. „Patienten muss man in Deutschland nicht schützen – schon gar nicht vor ihren Ärzten. Patienten sind weder eine rare noch eine schlecht behandelte Spezies, die man wie im ‚Vogelschutzgesetz‘ oder ‚Tierschutzgesetz‘ schützen müsste“, spottete der BÄK-Vize. Auch habe sich der Patientenbeauftragte gegen eine Umkehr der Beweislast im Haftungsprozess ausgesprochen, da dies zu einer starken Verrechtlichung und Bürokratisierung medizinischer Verfahren führen würde. „Da ist ihm uneingeschränkt zuzustimmen“, meinte Montgomery.
Zöller wolle auch eine gleiche Augenhöhe zwischen Patienten und Ärzten erreichen. „Das begrüßen wir. Gleiche Augenhöhe ist ein Ausdruck von Partnerschaft im therapeutischen Arbeitsbündnis“, so Montgomery. Man dürfe jedoch nicht verkennen, dass das Verhältnis von Patient und Arzt immer von einer Asymmetrie geprägt sein werde: Der eine sei krank, suche Hilfe und Heilung und brauche daher vor allem Vertrauen und Verständnis, wohingegen der andere gesund sei, über das Wissen des Arztes verfüge und dieses anwenden könne. „Vertrauen und Dialog sind nun einmal die Kernelemente einer partnerschaftlichen, erfolgversprechenden Beziehung zwischen Patient und Arzt. Sie müssen gestärkt werden“, betonte Montgomery. Als Grundlage jeder Diskussion über ein Patientenrechtegesetz nannte er acht Forderungen (Kasten), die zu berücksichtigen seien.
„Wir wollen nicht esoterisch über längst geregelte rechtsdogmatische Fragen diskutieren“, so das Fazit Montgomerys. Nötig sei eine klare, gesellschaftliche, lösungsorientierte und pragmatische Debatte über die Priorisierung ärztlicher Leistungen in einer Zeit, in der die Schere zwischen Ressourcen und Möglichkeiten erkennbar immer weiter aufgehen werde.
Wulf Dietrich
warb für eine
bessere Fehlerkultur
in der Praxis.
Für eine ausreichende Information und Aufklärung der Patienten und die Nutzung der Prinzipien einer gemeinsamen Entscheidungsfindung und des „Informed Consent“ warb auch Dr. med. Peter Scholze (Bayern). Ein entsprechender Passus hierzu wurde im Leitantrag ergänzt.
Angenommen wurde darüber hinaus ein Antrag von Holger Werner und Dr. med. Ludger Meinke aus Rheinland-Pfalz, der gleiche Regelungen im Haftungs- und Leistungsrecht fordert und den Gesetzgeber auffordert sicherzustellen, dass Leistungszusagen an Patienten auch eine Finanzierungszusage für die Leistungserbringer gegenübersteht. Darüber hinaus forderten die Delegierten den Gesetzgeber auf, die „besonders schützenswerte Patient-Arzt-Beziehung insbesondere dadurch wiederherzustellen, dass in der Strafprozessordnung zukünftig wieder Ärzte mit Strafverteidigern, Seelsorgern und Abgeordneten gleichgestellt werden“. Das Telekommunikationsüberwachungsgesetz habe zu einer zunehmenden Verunsicherung der Telefonkommunikation zwischen Patienten und Ärzten geführt, hatte zuvor Erik Bodendieck (Sachsen) erläutert.
In einem weiteren Antrag bekundeten die Delegierten ihre Sorge über den fortschreitenden Abbau der rechtsmedizinischen Versorgung und forderten die Bundesregierung auf, in Abstimmung mit den zuständigen Ministerien und den Bundesländern den notwendigen Bestand der Institute zu prüfen.
Der gesundheitspolitische Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Dr. med. Peter Liese, berichtete in einem Gastvortrag, dass derzeit auch die Europäische Union (EU) verstärkt die Patientenrechte in den Blick nehme: „Am 1. Dezember 2009 ist der Vertrag von Lissabon und damit die Charta der Grundrechte in der EU in Kraft getreten.“ Darin sei auch eine Reihe von Patientenrechten verankert wie das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit sowie das Recht auf einen Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung. „Auch der Passus ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘ aus dem deutschen Grundgesetz wurde aufgenommen. In der EU hat es das bislang nicht gegeben“, erklärte Liese. Die Charta schaffe jedoch keine neuen Kompetenzen für die EU, sie biete lediglich eine Orientierung für die Mitgliedstaaten.
Aktuell werde im Ministerrat über die geplante Richtlinie zur Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung diskutiert, berichtete Liese. Sie war im Juli 2008 von der Europäischen Kommission vorgeschlagen worden. Im vergangenen Jahr hat sie das Europäische Parlament mit großer Mehrheit unterstützt. Mit dieser Richtlinie sollen Patienten künftig eine geplante Operation, auf die sie in ihrem Heimatland zu lange warten müssen, auch in einem anderen EU-Mitgliedstaat durchführen lassen können. Den Eingriff bezahlen muss dann die gesetzliche Krankenversicherung im Heimatland des Patienten. „Aktuell werden Patientenrechte in der Europäischen Union vor allem als das Recht auf angemessene Behandlung verstanden, die auch erstattet werden muss“, erläuterte der EU-Abgeordnete. „Ich glaube, das ist ganz im Sinne der deutschen Ärzteschaft.“
Durch gute Zusammenarbeit mit der BÄK viel erreicht
Die Entscheidungen der Europäischen Union gewönnen einen immer stärkeren Einfluss auf die Tätigkeit der Ärzte in Deutschland, betonte der Europaabgeordnete. „Deshalb begrüße ich die Entscheidung der Bundesärztekammer sehr, ihr Brüsseler Büro deutlich auszubauen.“ Er bedankte sich ausdrücklich bei der BÄK für die gute Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren. So habe man beispielsweise den Beschluss des Ministerrats zur Arbeitszeitrichtlinie, der eine Rückkehr zu den Marathondiensten bedeutet hätte, „in einer beispiellosen Mobilisierungsaktion“ zu Fall gebracht.
Liese berichtete, dass viele Länder der Europäischen Union bereits Patientenrechtegesetze beschlossen hätten, darunter Dänemark, Finnland und Frankreich. Der „European Health Consumer Index“, der seit 2005 die Patientenrechte in EU-Mitgliedstaaten vergleicht, sieht Deutschland regelmäßig auf einem der vorderen Plätze. Demnach gebe es keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein eines Patientenrechtegesetzes und der Qualität der Patientenrechte. „Ich kann daher nicht sagen, dass ein eigenes Patientenrechtegesetz zwingend erforderlich ist“, meinte Liese.
Heike E. Krüger-Brand, Falk Osterloh
Prüfsteine für Patientenrechte
Statt eines neuen Gesetzes fordern die Ärzte die verlässliche Sicherung der folgenden grundlegenden Patientenrechte in der Gesundheits- und Sozialgesetzgebung:
• Der Patient hat Anspruch auf eine individuelle, nach seinen Bedürfnissen ausgerichtete -Behandlung und Betreuung.
• Der Patient hat Anspruch auf die freie Arztwahl.
• Der Patient hat Anspruch auf Transparenz.
• Der Patient hat Anspruch auf Wahrung des Patientengeheimnisses.
• Der Patient hat Anspruch auf die Solidarität der Versicherten.
• Der Patient hat Anspruch auf eine solidarische Krankenversicherung, die diesen Namen -verdient.
• Der Patient hat Anspruch auf ein bürgernahes Gesundheitswesen.
• Der Patient erwartet Fürsorge und Zuwendung von den im Gesundheitswesen Tätigen.
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